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Veedels-CheckWeiß – ein Ort zum Wohlfühlen mit Urlaubscharme

Lesezeit 7 Minuten

Köln-Weiß – Niemand in Weiß spricht von einem „Veedel“. Weiß ist ein Dorf am Rhein mit hohem Erholungsfaktor, einer aktiven Dorfgemeinschaft und einem regen Vereinsleben. Die Vereine sind so zahlreich wie Weiß Grauvieh besitzt. Damit hält der Stadtteil im Kölner Süden vielleicht keinen Vereinsrekord, aber mit 15 Grauvieh-Rindern wohl den für die größte Tiroler Rinderherde, die stadtweit auf den Weiden anzutreffen ist. Dass es um Weiß herum keine wohl geschwungenen Hügel gibt, sondern nur lauschige Weiden und Felder, stört beim alljährlichen Almabtrieb niemanden. Hunderte Besucher bevölkern im Herbst in Dirndl und Krachlederner die Wiesen und den Hof bei Bernd Lorbach. Einmal im Jahr ist das Allgäu eben im Rheinbogen. Und es ist bei weitem nicht das einzige Kuriosum.

„Was ich an den Weißern besonders mag, ist, etwas aus nichts zu machen. Ein Almabtrieb, wo die höchste Erhebung ein Maulwurfhügel ist. Ein Weinfest in einem Nichtweinbaugebiet. Ich freue mich wie Bolle auf das erste Turnier im Wellenreiten oder Klippenspringen!“, postete kürzlich ein Fan auf der Facebook Seite der Weißer Dorfgemeinschaft.

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Das historische Kapellchen

„Damals war die Stimmung noch: Nur Weißer sind Weißer. Du musst auf die Menschen hier zugehen. Ein Nachbar hat mich erst nach vier Jahren gegrüßt“, erinnert sich Ralf Perey an seine Anfänge, als er 2005 hierher zog. Um Anschluss zu finden, suchte er die Dorfgemeinschaft auf, dessen Vorsitzende er heute ist. Seine erste Aktion für den Verein war eher aus Eigennutz angetrieben. Perey organisierte eine Dorfführung.

„Hier gibt es soviel Kunst allerorts, kaum einer weiß, woher sie stammt.“ 80 Leute tauchten gleich zur ersten Dorfführung auf, über 150 bei der letzten. „Eigentlich haben wir hier ständig Rekorde“, überlegt Perey bei den seitdem geleisteten Aktionen, die nicht selten Hand in Hand mit den Vereinen stattfinden. Neugierig machte ihn die eigentliche Grenze des Dorfs. „Laut Falkplan gehört Haus Berger eigentlich nicht zu Rodenkirchen. Die Stadt konnte mir bei der Recherche allerdings nicht helfen“, erzählt er zur ersten Grenztour um Weiß herum, die gut zehn Kilometer ausmachte.

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Die frühere Dorfschule  – das heutige Jugendzentrum

Andere Aktionen laufen seit Jahren. Das Kartoffelfest der Löstige Wiever vun St. Georg, das Pfarrfest, die Seniorentreffen und Karnevalssitzungen der Kappelle Jonge oder der Weihnachtsmarkt. Vor sechs Jahren kam der erste Garagenflohmarkt hinzu. „Es ging eigentlich nur ums Kennenlernen“, meint Perey zu der Aktion, die auf dem eigenen Grund stattfindet. In Weiß ist dies gut möglich, denn hauptsächlich ist das Dorf von Einfamilien- und Reihenhäusern geprägt. Der Flohmarkt ist mittlerweile ein fester Bestandteil im Dorfkalender. Die beiden Vereine, Haus Lebenshilfe und der Kleingartenverein, planen ihre Sommerfeste zur gleichen Zeit. 1000 Kölschstangen der DG mit dem Spruch „Verliebt in Weiß“ waren vor einigen Jahren ebenso schnell vergriffen wie gleich lautende Aufkleber, der im Ort viele Autos ziert.

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Der dörfliche Charakter zeichnet Weiß aus. Direkt am Rhein gelegen, gibt es hier  noch Rinder und Pferde.

Wilhelm Brodesser kennt nach eigenem Bekennen jeden einzelnen Stock und Obstbaum in Weiß. Schließlich hat er früher gerne die Früchte in Nachbars Garten geklaut. Da hatten die Weißer noch Spitznamen. Brodesser war der „Holzwurm“, weil er aus einer Schreinerfamilie kam. Das „Vorurteil der Alt-Weißer“ sieht er nicht. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen und wir nehmen gerne Flüchtlinge auf“, meint er lachend zu den vielen Familien, die hier ein Zuhause suchen.

Wohnen wird auch hier teuer

Wie anderenorts sind allerdings auch hier die Immobilienpreise explodiert. Der Stadtteil ist dank guter Kindergarten- und Grundschulversorgung, der vielen Spielplätze und der Rheinnähe sehr beliebt. Verfügbare Grundstücke? Eine Weißer Rarität.

Brodesser ist noch im Dorf zur Schule gegangen, dort, wo das heutige Jugendzentrum untergebracht ist. Mit seinen Freunden hat er in den 1960er Jahren am Rhein gezeltet. Von der Kirche sind sie den Rheinbogen herunter oder zu den Schleppkähnen auf dem Rhein geschwommen.

Das ist heute natürlich strengstens untersagt. Auch heute gilt Weiß als Naherholungsgebiet. Freunde von außerhalb sagen oft: „Warum macht ihr Urlaub? Ihr wohnt doch wie im Urlaub.“ Tatsächlich zieht es viele aus der Innenstadt zur Anlegestelle der Fähre zwischen Weiß und Zündorf. Fußgänger wie Radfahrer nutzen das Erholungsgebiet Weißer Rheinbogen, schauen den Pferden auf den Wiesen zu und genießen den Rhein.

Das Urlaubsparadies ist nur dann wenig paradiesisch, wenn Vater Rhein aus seinem Bett kriecht. Weiß hat kein Hochwasser-, sondern ein Grundwasserproblem. Der alte Rheinarm läuft von der Straße am Damm über den Fußballplatz bis zur Schule. Das Wasser drückt aus der Eifel kommend. „Die Hochwasserschutzmauer haben wir nicht gebraucht“, meint Brodesser. Wenn das Wasser kommt, wird trotz Hochwasserschutz gepumpt oder Keller werden geflutet. Was dann außer Frage steht: Man hilft sich untereinander.

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Ländlich und idyllisch geht es in Weiß zu.

Verschwunden ist eine Insel, die es früher im Rheinbogen gab. Daran erinnert sich der 85-jährige Karl Berger, der den Verein Naturfreunde gründete und 21 Jahre lang den heute noch aktiven Seniorenclub leitete. Berger wohnte direkt neben dem Kapellchen, gegenüber der Bäckerei. In seiner Kindheit wurden vom örtlichen Lebensmittelhändler die Schiffe auf dem Rhein bedient. „Der Bäckersohn fuhr mit dem Pferdewagen auch nach Rodenkirchen, um Brot zu verkaufen. Irgendwann kam das Pferd immer alleine zurück, weil er noch in der Kneipe saß“, kramt er in seinen Kindheitserinnerungen. Er, Berger, habe das Pferd dann füttern müssen.

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Die Alte Rheinstraße war zu der Zeit noch eine Hühnergasse, ergänzt er und zählt die Dinge auf, die in einem Querbau untergebracht waren: Die Feuerwehr, eine Arrestzelle der Dorfpolizei und der Totenwagen. Von zwei Schustern, Metzgern und Bäckern, kleineren Bauernbetrieben, vier Großbauern, fünf Lebensmittelgeschäften, drei Friseuren, einem Haushaltswarenladen und einer Tankstelle ist kaum etwas übrig.

Auch auf dem Kirmesplatz ist seit diesem Jahr Schluss. Nach 14 Jahren werden die Kapelle Jonge erstmalig in der kommenden Session nicht hier ihr Festzelt aufschlagen, sondern in die Aula des Gymnasiums Rodenkirchen ausweichen. „Ständig verschärfte Auflagen seitens der Behörden, steigende Gebühren, Aufwendungen für Zeltaufbau und Künstler und auch die Nachbarn haben uns vor die Wahl gestellt das Sitzungsprogramm einzustellen oder an einen für uns wirtschaftlicheren Standort zu verlegen“, erklärt Literat Hermann Schmitz und schiebt hinterher: „Auch wenn wir Zelt und Dorf schweren Herzens verlassen. Den Einsatz unserer Mitglieder, die Liebe zum Karneval und das Flair – das nehmen wir mit“.

Die Geschichte von Weiß

Wenn man den heutigen Rheinbogen betrachtet, ist es kaum vorstellbar, dass dieser Wald künstlich angelegt wurde“, erzählte der Leiter der städtischen Forstverwaltung, Markus Bouwmann, bei einer Wanderung durch das Landschaftsschutzgebiet. In der Flussaue wurde Landwirtschaft und Weinbau betrieben. Die Fischereirechte standen dem Kölner Severinstift zu. Urkundlich erwähnt wird der Stadtteil erstmalig 1130. In Weiß besaßen die Kölner Antoniter, die Abtei Groß-St.-Martin und das Stift St. Severin Ländereien. 1433 soll Erzbischof Dietrich von Moers den Bau einer Kapelle gestattet haben. Angeblich im Inneren gleich mit der heutigen Kirche St. Georg, die 1954 errichtet wurde. 1887 standen 150 Häuser im Ort, die sich alle entlang den sich kreuzenden Straßen Weißer Hauptstraße und Auf der Ruhr sowie in der sehr kurzen Gasse Alte Rheinstraße reihten. Diese drei Straßen bilden den historischen Ortskern, der auch heute noch von ein- bis zweigeschossigen Giebelhäusern geprägt ist. Das Zentrum bildete der heutige Pflasterhof, ein kurkölnisches Rittergut. Mit der Eingemeindung der Alt-Gemeinde Rodenkirchen kam Weiß 1975 zu Köln.

Offene Baustellen

Mit dem Fahrplanwechsel im Herbst wird die Linie 130 nicht mehr Weiß, sondern das Sürther Feld anfahren. Die verbleibende Linie 131 fährt allerdings nur im 20-Minuten-Takt, abends alle halbe Stunde. Für viele Betroffene ist das wenig attraktiv. Weder zur Sparkasse in Sürth noch zum nächsten größeren Supermarkt in Rodenkirchen kann aus dem Dorf die Kurzstrecke genutzt werden. Das sind 2,90 Euro pro Strecke für kleinere Besorgungen. Zu teuer, sagen die Bewohner und fordern ein attraktiveres Nahverkehrsangebot.Die örtliche Albert-Schweitzer-Grundschule wird nach den Sommerferien mit vier anstatt drei Zügen an den Start gehen. „Der benötigte Aufzug wird nicht rechtzeitig angebaut“, berichtet Schulleiter Ralf Hoffmeister. Die Schule setzt auf gute Zusammenarbeit mit dem Schulamt. Geplant ist auch ein Kolumbarium auf dem Weißer Friedhof. Das Geld käme vor der Dorfgemeinschaft, doch die Stadt zögert, die alte Trauerhalle umzuwidmen, trotz vielfachen Wunsches aus der Bevölkerung. Auch andere Ideen kommen aus dem Dorf, etwa ein Mehrzweckgebäude mit einem Lebensmittelladen. Vielerorts wird die fehlende Nahversorgung bemängelt.