Köln – Siegfried Brockmann (58) untersucht im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft die Ursachen von Unfällen. Nach den verheerenden Auffahrunfällen auf der A 3 und der A 46 sprach Klaus Müller mit dem Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) in Berlin darüber, wie sich Unfälle am Stauende technisch vermeiden ließen und was jeder selbst zu seinem eigenen Schutz machen kann.
Bei drei Unfällen am Stauende auf Autobahnen im Rheinland sind im November vier Menschen ums Leben gekommen, erst am Montag ein 26-jähriger Beifahrer auf der A 46. In allen Fällen waren Lastwagen nahezu ungebremst aufgefahren. Angesichts dieser Ereignisse beschleicht jeden ein mulmiges Gefühl, wenn er selbst an einem Stauende zum Stehen kommt.
Das Problem ist in aller Regel Übermüdung oder Ablenkung. Einige Lastwagenfahrer stehen unter großem zeitlichen Druck und halten die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht ein. Andererseits ist das Fahren monoton, weshalb sie sich leicht ablenken lassen.
Wie kann ich als Autofahrer das Risiko eines solchen Unfalls senken?
Ich persönlich vermeide es auf der rechten Spur zu halten, weil es in aller Regel die Spur ist, auf der die Lkw unterwegs sind. Dann achte ich auf einen größeren Abstand zum Vordermann. Zehn bis 15 Meter. Das lässt mir die Möglichkeit entweder auf den Standstreifen auszuweichen oder aber in die Lücke zwischen zwei Spuren zu lenken.
Das ist aber doch sehr eng.
Aber dadurch senke ich das Risiko zwischen zwei Fahrzeugen zerquetscht zu werden. Im Fall des Auffahrunfalls wird das Auto nicht frontal auf den Vordermann, sondern in die Lücke katapultiert. Wichtig ist vor allem im Rückspiegel den anrollenden Verkehr im Blick zu behalten, denn nur so habe ich überhaupt eine Chance zu reagieren.
Gibt es auch technische Möglichkeiten, um solche Unfälle mit Lastwagen zu verhindern?
Ja. Es gibt schon heute effiziente Notfallbremssysteme, die Fahrzeuge bis zum Stillstand abbremsen können, wenn sie sich auf ein stehendes Hindernis zubewegen. Die sind allerdings teuer und gesetzlich nicht vorgeschrieben, weshalb sie leider in kaum einem Lastwagen zu finden sind.
Was ist der Stand der Technik?
Die in neuen Lastwagen ab November 2015 vorgeschriebenen Notbremsassistenten warnen den Fahrer zunächst optisch und akustisch, wenn der Abstand sich kritisch verringert. Wenn dann der Fahrer nicht reagiert, bremsen sie das Fahrzeug automatisch von 80 auf 70 km/h ab. Das gilt für etwa 25 Prozent aller Lkw, die auf Autobahnen in Deutschland unterwegs sind. Ab 2018 müssen die Lkw vor stehenden Hindernissen dann von 80 auf 60 km/h abbremsen können. Aber wir als Unfallforscher halten das für nicht ausreichend.
Aus welchem Grund?
Wenn es technisch machbar ist, bis auf Null zu bremsen, sollte es auch vorgeschrieben sein. 80 Prozent der schweren Lkw-Unfälle auf Autobahnen ließen sich dadurch vermeiden. Derzeit kann der Fahrer das System außerdem ausschalten. Wir fordern, dass sich der Notbremsassistent automatisch nach wenigen Sekunden wieder einschaltet oder gar nicht erst ausgeschaltet werden kann.
Was ist das Problem?
Ein nationaler Alleingang ist nicht möglich. Dazu bedarf es internationaler Vereinbarungen, weil die Typzulassung in jedem EU-Land verbindlich für alle erfolgen kann. Außerdem sind das auch Wettbewerbsfragen. Das gehört zu den dicken Brettern, die wir in den nächsten Jahren weiter bohren müssen.