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Sportstadt LeverkusenSo leben junge Talente in Sportler-WGs

Lesezeit 4 Minuten

Treffpunkt auf dem Bett: Annasophie Drees (l) und Anna-Lena Boulouednine teilen sich eine Sportler-WG.

Leverkusen – Mit 16 von Zuhause ausziehen, neue Stadt, neue Schule, neuer Verein. „Ich habe mir das lange überlegt“, sagt Anna-Lena Boulouednine. „Vom Sport her hatte ich Lust, aber ich war mir trotzdem unsicher.“ Letztlich hat die Leidenschaft zum Handball und der Ehrgeiz gewonnen. „In München waren die Möglichkeiten nicht so gut, um mich im Handball weiter zu entwickeln“, sagt die 16-Jährige. Nach einem Probetraining beim TSV Bayer Leverkusen war klar: Hier geht das. Und so sitzt Anna-Lena Boulouednine jetzt mit Annasophie Drees auf deren Bett und lacht. Drees ist ebenfalls im Sommer nach Leverkusen gezogen, die 3000-Meter-Läuferin kommt aus Norddeutschland. Jetzt teilen sich Anna und Anni eine Wohnung.

Heimweh vor Weihnachten

Es ist eine von mehreren Wohngemeinschaften, die das Sportinternat Leverkusen angemietet hat. Betreut werden die Jugendlichen von Daniele Schilling. „Besonders schlimm ist für die meisten die Zeit vor Weihnachten“, sagt die Sozialpädagogin. Die Sportler ziehen im Sommer zum Schuljahresbeginn ein, am Anfang ist noch alles neu und aufregend. Wenn es dann auf Weihnachten zugeht, steigt das Heimweh. „Wir geben uns alle Mühe, aber wir können die Familie nicht ersetzen.“

"Da gehen nur die krassen Athleten hin"

Das sieht Timon Streit anders: „Die Dani und die Steffi (Nerius, Internatsleiterin, d. Red) haben uns überhaupt keine Chance auf Heimweh gelassen, die haben uns den Start ganz leicht gemacht.“ Streit ist Leichtathlet, 200 und 400 Meter. Als sein Trainer aus Essen nach Leverkusen gelockt wurde, nahm er den Sportler kurzerhand mit. „Ich habe mich extrem gefreut. Mein erster Gedanken war: „Internat, wie cool, da gehen nur die richtig krassen Athleten hin“, sagt der 1,93 Meter große Sportler. Dass er einen guten Draht zu seinem Mitbewohner hat, merkt man auf den ersten Blick. Noah Bodelier ist Para-Leichtathlet, er macht Weitsprung und läuft die 100 und 200 Meter mit Prothese.

Verstehen sich blendend: WG-Kollegen Noah Bodelier (l) und Timon Streit

Die beiden 16-Jährigen lachen viel, wenn sie von ihrem WG-Leben berichten. „Es ist schon viel zu tun“, sagt Bodelier grinsend. „Bad putzen, einkaufen. Wir haben keine Spülmaschine, da sammelt sich schon immer einiges an.“ Wenn es zu chaotisch wird oder sich einer der WG-Bewohner beschwert, greift Daniele Schilling ein. „Aber ich drücke auch gerne beide Augen zu. Mal im Ernst: Wann sollen die das auch machen?“ Erst Schule, teilweise mit Training schon am Vormittag, dann Mittagessen im Internat, Hausaufgaben, verpasste Lerninhalte nachholen, wieder Training, am Wochenende Wettkämpfe.

Keine Mutter, die einem hinterherläuft

Die Sportlerinnen und Sportler sind den ganzen Tag unterwegs, kommen häufig erst nach 20 Uhr in die Wohnung. „Dafür hat man dann seine Ruhe und keine Mutter, die ständig hinter einem herläuft“, sagt Noah Bodelier lachend. Daran, dass ihm nicht immer alles hintergetragen wird, musste er sich aber ebenso gewöhnen, wie an das selbstständige Einkaufen und Putzen. Im Gegensatz zu den Mädchen, deren Familien fünf bis sechs Stunden Bahnfahrt entfernt wohnen, fahren die Jungs fast jedes freie Wochenende nach Hause. Entsprechend ist auch das Heimweh nicht so groß. „Nur an der Schule hatte ich ein bisschen Probleme, anzukommen“, sagt Timon Streit. Das Landrat-Lucas-Gymnasium sei einfach riesig, ein Neuling gehe da schnell unter.

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Die Zweier-WGs sind alle ähnlich aufgebaut: Neben dem privaten Zimmer der Bewohner gibt es eine kleine Küche mit Esstisch, ein Badezimmer und ein Extraraum, der als Wohnzimmer dienen kann. „Bei uns ist das allerdings eher ein Abstellraum“, sagen die Jungs, sie sitzen meist bei Noah Bodelier im Zimmer. „Da habe ich sogar meinen persönlichen Besuchersessel“, lacht Timon Streit.

Kochbücher zu Weihnachten

Die Mädchen nutzen den Raum als Gästezimmer. Da sie nicht so häufig nach Hause fahren können, kommen ihre Familien häufiger mal zu Besuch. „Vor Weihnachten hatte ich richtig Heimweh“, erzählt Annasophie Drees. Bei ihr war es der Vater, der den Ausschlag für den Wechsel nach Leverkusen gegeben hat. „Wir waren zusammen hier und haben uns alles angeguckt. Er war total begeistert und hat direkt gesagt: Das machst du.“ Davon hat sich die Läuferin mitreißen lassen. „Erst wollte ich eigentlich nicht so richtig, aber jetzt bin ich froh.“ In den Weihnachtsferien habe sie dann ganz viel mit ihrer Oma gekocht und Kekse gebacken. „Zu Weihnachten habe ich drei Kochbücher geschenkt bekommen“, lacht die 18-Jährige. Offenbar war die Oma nicht überzeugt von ihren Kochkünsten. Das wird sich sicher bald ändern, schließlich übt sie fast jeden Tag: Abends wird in der WG gekocht.

"Sie gehen ihren Weg"

Als Jugendliche alleine leben. Ohne Mama, die die Sportsachen richtet oder Papa, der zum Training fährt. Die einen morgens aus dem Bett schmeißen und Tee kochen, wenn man krank ist. Das ist eine harte Schule, weiß auch Daniele Schilling. „Wir hatten es auch schon, dass jemand im Winter ohne Socken da stand, weil er es nicht geschafft hat, welche zu waschen.“ Aber es macht auch ungemein selbstständig. „Wer das durchgezogen und gemeistert hat, der kommt im späteren Leben immer klar“, sagt die Betreuerin. „Egal, ob sie den sportlichen Durchbruch schaffen, oder nicht. Sie gehen ihren Weg.“