„Tempelentweihung“, „Schwachsinn“: Die Idee von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, nicht nur Werke Wagners zu spielen, ist für viele ein Sakrileg.
Humperdinck neben WagnerRoths Ideen für die Bayreuther Festspiele finden in Siegburg Unterstützung
Allenthalben heftige Reaktionen gab es auf die kürzlich geäußerte Idee der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, bei den Bayreuther Festspielen nicht nur Werke Richard Wagners, sondern auch die anderer Komponisten zu spielen. Für viele war das ein Sakrileg, im Feuilleton der Welt war von „Tempelentweihung“ und „Schwachsinn“ zu lesen. Roths Ansinnen stehen aber nicht nur deshalb hohe Hürden im Weg. Richard Wagners Sohn Siegfried hatte in seinem Testament 1929 festgelegt, dass nur Werke seines Vaters auf dem Grünen Hügel aufgeführt werden. Nicht aber dessen ersten drei Opern „Das Liebesverbot“, „Die Feen“ und „Rienzi“, die der Meister vorher selbst als nicht „Bayreuth-würdig“ eingestuft hatte.
„Claudia Roths Idee hat mich direkt angesprochen“, berichtet Susanne Haase-Mühlbauer. Nachvollziehbar, vor allem angesichts ihrer Funktion als Vorsitzende der Humperdinck-Freunde Siegburg. Hatte doch die Grünen-Politikerin Humperdincks weltberühmte Oper „Hänsel und Gretel“ für ihr Ansinnen ins Auge gefasst.
Siegburger Vize-Bürgermeisterin findet Roths Idee kreativ
„Jetzt wird Roths Idee heiß diskutiert“, sagt die Vizebürgermeisterin, „aber ihr Thema war gar nicht Humperdinck anstelle Wagner, sondern sie schlug Humperdinck neben Wagner vor.“ Wagner-Puristen gäben sich schier entsetzt“, so die promovierte Musikwissenschaftlerin. Dabei sei Roths Gedanke, die Festspiele „vielfältiger, bunter und jünger“ werden zu lassen, nicht nur verständlich, sondern auch kreativ gedacht.
„Warum sollte das Werk eines Wagner-Schülers aus Siegburg, der mit eigenen Welterfolgen Karriere gemacht hat, nicht an die Seite Wagners passen“, fragt sich Haase-Mühlbauer. Inhaltlich und musikalisch spreche sicherlich nichts dagegen, und warum sollte sich das Wagner-Publikum nicht an Humperdincks Musik erfreuen können?
Gleichwohl teilt sie Roths Ansicht, dass „Kulturpolitik nicht über das Repertoire entscheidet“. Bestimmend hierfür sei die Satzung der Richard-Wagner-Stiftung, die in dem Falle geändert werden müsste. Gelingen könne das Umgestalten aber nur „von innen“, so Haase-Mühlbauer. „Wagners Wille sollte grundsätzlich berücksichtigt bleiben, seine Werke haben an diesem Ort Tradition und Vorrang“, betont sie.
Humperdinck könnte frische Akzente nach Bayreuth bringen
Aus ihrer Sicht spreche für eine Öffnung, dass es mit „Hänsel und Gretel“ einen Welterfolg auf dem Grünen Hügel gäbe, der fast so oft inszeniert werde wie Verdis „Aida“ oder Mozarts „Zauberflöte“. „Der Magnetismus des Humperdinck-Werks ist ungebrochen“ sagt sie, besonders ein jüngeres Publikum dürfte sich damit „in der Welt der Oper gut empfangen fühlen.“ Es sei eine „typische Einstiegsoper.“
„Gut denkbar“ sei, Gast-Komponisten wie Humperdinck oder andere Schüler Wagners ins Haus zu holen, aber außerhalb der Festspielzeit: „Das könnte frische Akzente nach Bayreuth bringen und wäre eine Bereicherung.“ Für Haase-Mühlbauer ist es auch „ein Blick nach vorne“ und im 170. Geburtsjahr von Engelbert Humperdinck zudem ein wunderbares Signal, wenn sich die Richard-Wagner-Stiftung dazu durchringen könnte, ihren Spielbetrieb „für einen auch von Richard Wagner hochgeschätzten Komponisten zu öffnen.“
Das war er gewiss, „musikalischer Ziehsohn Wagners“ wird Humperdinck oft genannt. Der konnte einst das Angebot des berühmten Komponisten („Junger Freund, hätten Sie nicht Lust, nach Bayreuth zu kommen?“) nicht ablehnen. Der Siegburger wurde Assistent und durfte unter anderem für „Parsifal“ einige Erweiterungen komponieren, die der Meister akzeptierte und so ausführen ließ. Das soll für den jungen Mann „die höchstmögliche Auszeichnung“ gewesen sein, die ihm mehr galt „als sämtliche Kompositionspreise.“
Starker Gegenwind für die Roth-Idee weht aus Bayern
Die Zanger Musikexpertin, die Kontakte zu einigen von Wagners Nachkommen und eine „tiefe Freundschaft zu Irmi Wette, Urenkelin der „Hänsel-und-Gretel“-Librettistin und Humperdinck-Schwester Adelheid Wette pflegt, betont, Humperdinck könne nicht auf Hänsel und Gretel reduziert werden. Er sei in der Vergangenheit auch für andere große Opern-Werke weltweit gefeiert worden. Seiner Oper „Königskinder“, die 1910 in der New Yorker Metropolitan Opera uraufgeführt wurde, hätten New Yorker Kritiker attestiert, die „wertvollste Oper der nachwagnerschen Zeit“ zu sein.
Starker Gegenwind für die Roth-Idee weht aus Bayern. Dessen Kunstminister Markus Blume (CSU) ließ jüngst verlautbaren: „Die Satzung ist klar, und es gibt keine Notwendigkeit für eine Änderung. Bayern würde da nicht zustimmen. Wagner ist der Stoff, von dem Bayreuth lebt.“
Doch könnte irgendwann auch hier der Aspekt „Keine Regel ohne Ausnahme“ ziehen. Beethovens „Neunte“ ist nämlich für „besondere Anlässe“ am Grünen Hügel zugelassen. In den letzten neun Jahrzehnten erlebte die Sinfonie sechs Aufführungen auf der Festspielbühne.