Axel Reitz rutschte mit 13 Jahren in die Neonazi-Szene in Köln, mit 29 Jahren schaffte er den Ausstieg. Jetzt hält er Vorträge gegen Rechtsextremismus.
NPD-AussteigerDer ehemalige „Hitler von Köln“ war an einer Siegburger Gesamtschule zu Besuch
Er war der „Hitler von Köln“, lief mit Seitenscheitel, Braunhemd und Ledermantel durch die Stadt. Axel Reitz war Agitator und Redner der NPD, lebte in und für die Neonazi-Szene. 2012 ging er in ein Ausstiegsprogramm. Doch eine neue Identität wollte er sich nicht zulegen. „Ich finde es wichtig, zu seinen Fehlern zu stehen“, sagt der heute 41-Jährige.
Die Naumann-Stiftung und die Gesamtschule am Neuenhof haben den früheren Rechtsextremisten gemeinsam nach Siegburg geholt. In der Mensa sprach er zum Jahrgang 12 sowie zum Leistungskurs Geschichte der 13. Es war kein durchgetakteter Vortrag mit Power-Point-Präsentation, sondern eine sehr subjektive, teils emotionale Erzählung. Lediglich das Cover seines Buches war über Beamer zu sehen, mit seinem Konterfei als der „Hitler von Köln“.
Reitz wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf
„Ich habe mich sehr früh radikalisiert“, berichtete er. In einem gutbürgerlichen Elternhaus wuchs er auf, als Nesthäkchen trotz älterer Geschwister wie ein Einzelkind. Doch er lebte in einem enge, sozialen Netz. „Mein Vater war ein echter Diktator. Das hat was mit mir gemacht“, begann er seine Analyse des Einstiegs in die rechtsextremistische Szene. „Ich war angepisst. Ich war sauer.“
Mit dieser Grundhaltung traf er auf eine Lehrerin, die seine Fleißarbeit mit den Programmen aller zugelassenen Parteien zwar mit 1+ bewertete, Republikaner, Deutsche Volksunion und NPD aber rausschmiss. Und als dann noch sein Vater ins gleiche Horn stieß und wiederholte, was die Pädagogin schon getan hatte: „Das diskutiere ich nicht“, schrieb er die so abgekanzelten Parteien noch mal an.
Die NPD lud ihn zu einer Versammlung ein. Reitz tauchte in eine Welt, wo er ernst genommen und in seinem jugendlichen Zorn bestätigt wurde. „Das waren keine Gestalten mit Bomberjacke, Baseballschläger oder Ledermantel. Das waren Fahrlehrer, Rechtsanwälte und Unternehmer.“ Er war 13 Jahre alt und auf einmal etwas ganz Besonderes. „Die haben mir gegeben, was ich gesucht habe: Aufmerksamkeit und Respekt.“
In den folgenden Treffen ging es nicht um Antisemitismus und Holocaust-Leugnung. Er wurde eingeführt in die Welt der Verschwörungstheorien, den Erzählungen von Scheindemokratie und der elitären Exklusivität der geschlossenen Gruppe. „Jeder, der es wagt, sie zu kritisieren, wird kaputt gemacht.“
Reitz diskutierte mit seinen Mitschülern und seiner Lehrerin, fand natürlich die Bestätigung der kruden Verfolgungsvorstellungen. Sein binäres Weltbild - es gibt nur schwarz und weiß - verfestigte sich. Sein Publikum nahm er bei seiner Erzählung mit, sprach sie direkt an, erklärte in einfachen Worten, wie das vonstatten ging. Der „Hitler von Köln“ zeigte seine Rednerqualitäten.
Denn er wurde Berufsdemonstrant, reiste von Kundgebung zu Kundgebung, widmete der Neonazi-Szene sein ganzes Leben. Einmal wurde er beim Plakatekleben von einem Linken mit einem Messer gestochen. Doch es ging nichts ins Krankenhaus, das wurde intern geregelt. Und wieder war es die Bestätigung für das einzig richtig Handeln der eigenen Gruppe.
Die Radikalisierung erfolgt in mehreren Stufen
Damit startete er in die zweite Stufe der Radikalisierung, die Gruppe war wichtiger als die Person. Schnell folgte die dritte Stufe, die Bereitschaft zur Gewalt gegen Andersdenkende.„ Vielleicht wären wir uns damals bei Demo und Gegendemo begegnet. Das Recht auf freie Meinungsäußerung hätte ich euch abgesprochen. Mit dem zuständigen Kriegszustand im Kopf habe ich mich gut aufgehoben gefühlt in der Bewegung.“
Er war strammer Antisemit und hetzte in der Öffentlichkeit. Reitz musste nach vielen Sozialstunden schließlich in Haft. Das brachte erste Zweifel. „Aber es gibt nicht den einen Punkt, es ist keine kitschige Schnulze mit Aha-Erlebnis“, stellte er klar, „der Ausstieg aus dem Extremismus ist ein Marathon.“
Er entlarvte die Mär von Kameradschaft und Gemeinschaft: „Das ist alles Bullshit. Es gibt kein Volk, kein Reich, aber 1000 Führer.“ Er konnte nicht mehr ans Mikro treten, wurde depressiv. Spezialkräfte traten ihm irgendwann die Tür ein. Da wandte er sich schließlich an die Polizei und sagte ihnen, er wolle raus aus der Szene. „Da war ich der Judas.“ Nichts blieb ihm, keine Gruppe, keinen Glauben, keine Kameraden.
Im Ausstiegsprogramm fand er Menschen mit ähnlicher Geschichte: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Er erkannte: „Ich war derjenige, der Sch... gebaut hatte.“ 15 Jahre lang war er Neonazi, 2012 verließ er die Szene. Heute lebte er in toller Beziehung, reist mit seiner Geschichte durch die Republik. Die Schülerinnen und Schüler stiegen in eine lebendige Diskussion mit ihm ein.
Reitz warnte vor den giftigen Algorithmen bei den sozialen Medien und hielt einen flammenden Appell gegen die AfD, die sich stark radikalisiert habe in den vergangenen zehn Jahren. Der so genannten Remigration erteilte er eine deutliche Absage, „Ausländer raus“ könne kein Konzept sein. Die Siegburger Gesamtschüler waren echt angetan.