Dezernatsübergreifend haben Fachleute aus der Verwaltung Daten zum integrierten sozial- und wohnungspolitischen Bericht zusammengetragen.
Nicht bezahlbarSankt Augustin steht vor größter Krise des Wohnungsbaus seit dem Zweiten Weltkrieg
Die Verwaltung hat den integrierten sozial- und wohnungspolitischen Bericht 2024 vorgelegt. Er zeigt auf, dass bezahlbarer Wohnraum für breite Teile der Bevölkerung eine zentrale und gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist. Unter der Federführung der beiden Dezernenten Dr. Martin Eßer und Rainer Gleß haben die Abteilungen Soziales, Bauen und Planung die Quartiere der Stadt unter die Lupe genommen.
Sie betrachteten die Lebenslagen, benannten die Orte mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf, auch als Grundlage für Quartierssozialarbeit. Diese Profile dienen übrigens auch der Kreissozial- und Gesundheitsplanung. Parallel dazu untersuchten sie die demografische Entwicklung.
Der Ukraine-Krieg brachte einen deutlichen Bevölkerungsanstieg
Deutlich erkennbar aus den Daten der vergangenen beiden Jahre zeigte sich ein Bevölkerungsanstieg durch den Ukraine-Krieg. Das sei gut bewältigt worden, sagte Felix Stiepel, Stadtplaner im Fachdienst Planung und Liegenschaften. Viele hätten inzwischen schon eigenen Wohnraum gefunden. Die Zahl der Single-Haushalte sowie der Bedarf für Haushalte mit fünf und mehr Personen aber steige weiter.
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Der seniorengerechte Umbau von Wohnangeboten - barrierefrei, mit haushaltsnahen Dienst- und Pflegeleistungen, Teilhabe bei eingeschränkter Mobilität - wird ein Thema der nahen Zukunft. Bis 2042 nämlich ist mit einem kräftigen Anstieg der über 80-Jährigen zu rechnen. Auch die Empfänger von Leistungen aus den Sozialgesetzbüchern nimmt kontinuierlich zu. Und sollte die Zentrale Unterbringungseinrichtung wie geplant 2028 aufgegeben werden, müssen Geflüchtete untergebracht werden.
Die Bedeutung des Wohnumfelds werde wachsen. In den Quartieren gebe es, schilderte Marion Kusserow, Fachbereichsleiterin Soziales, Wohnen, Teilhabe, unterschiedliche Sozialstrukturen und damit auch unterschiedliche Bedürfnisse. Wer keinen eigenen Garten hat, ist auf Freizeitflächen außerhalb angewiesen. Ohne Auto sind kurze Wege wichtig. Es gibt Orte, in denen Armut, Alleinerziehende, ältere Menschen weit mehr präsent und prägend seien.
Als Stadt der kurzen Wege will sich Sankt Augustin etablieren, hat dafür schon das städtische Mobilitätsmanagement angeschoben, als wichtigen Beitrag für Teilhabemöglichkeiten von Jung und Alt. Damit könnten auch Quartiersgrenzen überwunden werden.
Der Wohnberechtigungsschein ist für weite Teile der Stadtbewohnerschaft, gerade bei mittleren Einkommen, nutzbar. „2023 überstieg der Bedarf das Angebot um das Sechsfache“, warf Gleß ein. Bis 2042 fallen rund 864 Mietwohnungen aus der Preisbindung, das werde schnell zu höheren Mieten führen. Die Verlängerung im Bestand, die möglich sei, habe als Instrument noch nicht gegriffen. „Viel mehr Menschen werden auf existenzsichernde Transferleistungen angewiesen sein“, prognostizierte Kusserow.
Dagegen bricht der Wohnungs- und Baumarkt ein. „Wir erleben die größte Krise des Wohnungsbaus seit dem Zweiten Weltkrieg“, formulierte es Gleß drastisch. Das Dilemma sei nur durch Neubau zu lösen, doch so viele Baugenehmigungen könnten gar nicht durchgeplant werden. Vor allem aber hätten Investoren für Sankt Augustin schon ausgereifte Konzepte wieder zurückgezogen, wegen der Baukostenexplosion und der steigenden Zinsen. Feststellbar sei in der Stadt bereits sinkende Bautätigkeit.
Die langfristig projektierten Flächen für geförderten Wohnungsbau sind aber in Planung oder Umsetzung, Neues dagegen sei schwierig. Die Anforderungen an geförderten Wohnungsbau stiegen - Klimaschutz, Wärmepumpe, Tiefgarage, Fahrradabstellraum. Die Rentabilität, so Gleß, dagegen falle ab. Er und Eßer forderten gleichermaßen mehr städtisches Engagement auf dem Wohnungsmarkt, können sich auch vorstellen, wieder Flächen zu erwerben. „Wir wollen weiter, aber qualitativ wachsen.“
Das kooperative Baulandmodell ist ein Instrument der Stadtplanung
Dazu gehöre, Armut nicht zu verdichten, sondern Durchmischung zu schaffen. Ein Instrument ist nach Vorstellung der Stadtverwaltung das kooperative Baulandmodell. Ziel ist es, Investoren an der Erreichung städtischer Ziele finanziell zu beteiligen. Das könne aber nur im Austausch und der Systematisierung der schon gängigen Praxis städtebaulicher Verträge realisiert werden.
Bauen müsse darüber hinaus mehr kommunale Aufgabe werden. „Die Stadt muss aktiv werden, um ein bisschen an der Schraube zu drehen“, sagte Gleß. Eigentümergemeinschaften wolle er bündeln, um Projekte zu entwickeln. Das gehe am besten Hand in Hand mit dem Sozialdezernat. Behutsam müsse mit städtischen Reserveflächen umgegangen werden. „Wohnen ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das werden wir nicht als Kommune lösen können“, so der Dezernent.