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„Im alltäglichen Leben ändert sich viel“Auch Angehörige von Suchtkranken finden bei der Caritas Rhein-Sieg Hilfe

Lesezeit 4 Minuten
Leere Weinflaschen, im Hintergrund unscharf ein Gesicht.

Alkoholkranke Menschen bestimmen oft auch den Alltag ihrer Familien.

Suchtberaterin Tanja Schmidt erklärt im Interview, wieso auch das Thema Angehörige ein wichtiges Thema in der Suchtberatung ist.

Viele Menschen lassen den Festtagen am Jahresende einen „trockenen“ Januar folgen. Suchtkranke Menschen brauchen nicht nur im Januar Unterstützung. Hilfe brauchen auch die Angehörigen, wie das Team der Caritas-Suchtberatung Rhein-Sieg immer wieder feststellt. Ein Interview mit Suchtberaterin Tanja Schmidt.

Warum ist das Thema Angehörige in der Suchtberatung wichtig?

Viele Angehörige wissen gar nicht, dass sie selbst auch Beratung in Anspruch nehmen und in einen Beratungsprozess zur eigenen Unterstützung einsteigen dürfen.

Dabei ist das für viele Menschen aus dem direkten Umfeld eines Suchtkranken hilfreich, oder?

Ja, denn sie sind von der Krankheit mitbetroffen und leiden unter den Folgen. Die Betroffenen sind abhängig von Suchtmitteln, aber ihre Angehörigen entwickeln im Grunde auch eine Art Abhängigkeit, in dem ihr Wohlbefinden immer enger an das (Konsum)-Verhalten der Betroffenen geknüpft ist. Sie können nicht mehr losgelöst von der Sucht agieren – egal ob es sich um ihr Kind, um die eigenen Eltern oder den Partner handelt. Da gibt es Menschen, die schon beim Öffnen der Wohnungstür die Antennen für das Verhalten des suchtkranken Angehörigen ganz fein justieren. Sie werden übersensibel und wollen ihre Angehörigen kontrollieren, um sich sicher zu fühlen. Dabei erleben sie selbst einen Verlust ihrer Selbstwirksamkeit, weil sie das Konsumverhalten des anderen so wenig beeinflussen können.

Sie können wenig tun – und dennoch entwickeln viele Angehörige Schuld- und Schamgefühle?

Ja, das ist so. Die Krankheit geht in der Gesellschaft leider noch immer mit Stigmatisierung einher, ebenso die Frage nach der Schuld. Die Schuldgefühle entspringen häufig einem diffusen Gefühl: Hätte man etwas falsch gemacht, könnte man es richtiger machen und damit auch wirksam helfen.

Tanja Schmidt ist Suchtberaterin  im Caritasverband Rhein-Sieg

Tanja Schmidt ist Suchtberaterin im Caritasverband Rhein-Sieg

Diese Empfindungen und Gefühle sind Teil der Krankheit und im sozialen Umfeld ebenfalls spürbar, was in der Beratung erarbeitet werden kann. Auch Kinder aus Suchtfamilien benötigen hier unbedingt Unterstützung und finden diese bei uns in dem Arbeitsbereich „Jump“ (Junge Menschen mit Potenzial).

Wäre dieses „Aufpassen“ denn überhaupt möglich?

Angehörige können, wenn eine Abhängigkeit zum Beispiel von Alkohol besteht, niemanden vom Trinken abhalten. Wichtig aber ist es, Angehörige zu ermutigen, ihre Bedenken auszusprechen und Dinge zu benennen, die sie stören. Häufig benötigen Angehörige Informationen über die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung, um ihrer Wahrnehmung vertrauen zu können, dass der Konsum wirklich „aus dem Ruder gelaufen ist“ und sie nicht „übertreiben“. Das ist ein häufiger Vorwurf der konsumierenden Familienmitglieder.

Das Thema Sucht wirkt sich zusätzlich auch auf den Alltag der Angehörigen aus, oder?

Unser Gesundheitssystem basiert darauf, dass es eine Diagnose braucht, um medizinische und therapeutische Hilfe zu bekommen. Für Menschen, die eine Abhängigkeit entwickelt haben, sei es von Alkohol, von Medikamenten oder von anderen Suchtmitteln, gibt es in Deutschland ein vielfältiges Hilfenetz, weil hier eine Diagnose gestellt werden kann. Mit einem abhängigen Menschen verpartnert, verwandt oder befreundet zu sein, ist aber keine Erkrankung. Und dennoch müssen wir im Blick behalten: Auch für sie ändert sich an ihrem alltäglichen Leben unglaublich viel. Oft kommt das Gleichgewicht eines ganzen Systems ins Wanken. Hier können wir unabhängig von Diagnosen und medizinischer Einschätzung tätig werden und erste Schritte mit den Betroffenen und den Angehörigen gehen und weiterführende Hilfen planen.

Was kann die Suchtberatung für diese Angehörigen tun?

Wir können den geschützten Raum bieten, Erfahrungen ungeschminkt auszusprechen und zu reflektieren. Für Angehörige ist es wichtig, wieder mehr „Selbstwirksamkeit“ zu erleben, also das eigene Leben wieder mehr selbst in die Hand nehmen und gestalten zu können, statt ausschließlich um die Erkrankung des anderen zu kreisen. Gemeinsam können wir nach einem Weg zu dieser Selbstwirksamkeit suchen. Und dieser Weg ist sehr individuell und wird für jeden oder jede anders aussehen.


Hier finden Sie Beratung und Hilfe

Die Caritas-Suchtberatung an den Standorten Siegburg, Bornheim, Eitorf und Rheinbach berät Angehörige kostenlos, die Schweigepflicht ist dabei selbstverständlich. Termine können unter 02241/1209302 oder per E-Mail vereinbart werden.

Auch die Diakonie Suchthilfe hat Angehörige wie Abhängige im Blick. Terminvereinbarung unter 02241/ 25 444-0. Unterstützung für Angehörige bieten Selbsthilfegruppen. Adressen gibt es bei der Caritas-Suchtberatung sowie bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle Rhein-Sieg-Kreis.