„Früher durfte es der Nachbar nicht wissen“Auf Secondhand-Tour im Rhein-Sieg-Kreis
- Umweltschutz und Nachhaltigkeit liegen im Trend, und damit auch Secondhand-Kleidung. Secondhand ist längst cool geworden und hat sein Schmuddelimage verloren.
- Grund genug für uns einmal das Angebot im Rhein-Sieg-Kreis unter die Lupe zu nehmen. Wir machten einen Streifzug durch Vintage-Läden, Kleiderstuben und Secondhand-Shops im Kreis.
- Dabei haben wir viele schöne Geschäfte gefunden, die wir Ihnen hier gerne vorstellen möchten.
Rhein-Sieg-Kreis – Das kleine Schwarze glänzt, der quietschgelbe Designer-Rock mit dem knallroten Muster lässt Herzen höher schlagen, und zum hellen Hochzeits-Tülltraum will man einfach nur „Ja“ sagen – Klamotten aus zweiter Hand sind für immer mehr die erste Wahl. Wir machten einen Streifzug durch Vintage-Läden, Kleiderstuben und Secondhand-Shops im Kreis, entdeckten Schrilles und Schickes und ließen uns die schönsten Stücke zeigen.
„Früher durfte es der Nachbar nicht wissen“
Getragenes hat in Zeiten von Umweltbewusstsein und Klimakrise das Schmuddelimage verloren, das berichten die Verkäufer unisono, egal ob Ehrenamtler oder Profis. Hier kramen Gutverdiener auf der Suche nach Originellem ebenso wie Menschen, die den Cent dreimal umdrehen müssen. „Secondhand wird immer mehr“, sagt auch Jannis Vassiliou, Vorstandsvorsitzender des Einzelhandelsverbandes Bonn-Rhein-Sieg.
„Früher durfte es der Nachbar nicht wissen, heute ist man stolz auf das gebrauchte Schnäppchen.“ Die Kleiderstuben seien keine Konkurrenz: „Die Händler spezialisieren sich in der Nische auf Hochwertiges.“ Die Chanel-Robe koste zwar immer noch einen dreistelligen Betrag, aber nur ein Bruchteil des Originalpreises.
Für den schönsten Tag im Leben hängt gleich zehnmal Satin in Weiß und Creme im Gebrauchtkaufhaus. Einmal getragen, ab 75 Euro. „Ein Traum“, schwärmt Mitarbeiterin Natalia Kopylov von dem teuersten Schmuckstück für 150 Euro, nagelneu etwa sechsmal so viel wert. In der Nachbarschaftshilfe in Sankt Augustin an der Bonner Straße 105 ist immer Hochbetrieb, samstags bilden sich Schlangen vor den beiden Umkleiden.
Die Damenabteilung in der ersten Etage bietet alles: vom T-Shirt bis zum Abendkleid, Blusen, Röcke, Hosen und Sportdress , fein sortiert in XS bis XXL. Unten werden Herren und Kinder fündig. Die Riesenauswahl basiert auf Spenden, der Erlös finanziert rund 90 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose. Und der Überschuss fließt an andere wohltätige Einrichtungen.
Die Preise sind unschlagbar
Ein Schaufenster, das fehlt der CDU-Kleiderstube Troisdorf definitiv. An der Frankfurter Straße 15 zwischen Eissalon und Edeka geht’s durch den Hof in den pickepackevollen Verkaufsraum. Klamotten, Gürtel, Taschen, ja sogar Spitzen-BHs haben die acht Frauen schön arrangiert. Die Preise sind unschlagbar: Das meiste gibt’s für ein bis zwei Euro, die Lederjacke für fünf, das paillettenbesetzte kleine Schwarze für acht Euro, schwärmen die Damen.
Im Herbst wird umgeräumt: Die Winterware liegt schon im Nebenraum im Regal, staubfrei verpackt in Kartons. Schon seit 1976, seit 43 Jahren, nehmen die Ehrenamtlerinnen der Frauenunion gut erhaltene und saubere Kleidung gern entgegen. 5000 Euro kommen so im Jahr zusammen für den guten Zweck. Geöffnet ist dienstags von 9.30 bis 12 Uhr und donnerstags von 13.30 bis 17 Uhr.
„Das ist unsere Welt“
Mehr als eine Geschäftsidee sei die Kleidung aus den 1940er, 50er, 60er und 70er Jahren, sagen Martina Herbst und Gesa Wesemeyer. „Das ist unsere Welt.“ Nach Erfahrungen im Online-Handel haben die Freundinnen am Samstag ihr Vintage-Lädchen in der Hennefer City eröffnet. „Die Kunden wollen die Sachen anfassen und anprobieren.“ Die Secondhand-Teile kommen aus der ganzen Welt, daneben hängt Retro-Kleidung, den Originalen nachempfunden.
Der Schritt sei ein Wagnis, so die 44-Jährige mit Petticoat und Bette-Davis-Frisur und die 55-Jährige mit der markanten, schwarzen Brille. Beide haben weiterhin ihre Jobs als Journalistin und im Immobiliensektor. Anfangs hat Vintage, Frankfurter Straße 105, Dienstag bis Samstag ab 10 Uhr geöffnet, so Herbst, „danach richten wir unsere Zeiten nach dem Zuspruch“.
Boutique und soziales Projekt in Einem
Auf den ersten Blick wirkt „Jacke wie Hose“ wie eine Boutique, doch zwei Drittel des Sortiments sind gebrauchte und gespendete Einzelteile. Ein Drittel der Ware kaufe der Betrieb der Arbeiterwohlfahrt zu, so Geschäftsführerin Katja Ruiters. Die Edel-Kleiderstube in Siegburg, Frankfurter Straße 39, erfüllt einen sozialen Zweck: Hier erhalten Frauen durch die Arbeit in der Wäscherei, Schneiderei und im Verkauf eine bessere Perspektive für den Arbeitsmarkt.
„Wer damals zu mir kam, brauchte viel Selbstbewusstsein.“ Anne Knüttgen suchte vor 40 Jahren als junge Mutter von Zwillingen nach Abwechslung, hatte aus London die Secondhand-Idee importiert. Ihren Shop eröffnete sie im eigenen Haus an der Schlossstraße in Hennef-Allner, ohne große Erwartungen: „Hier auf dem Dorf kommt sicher kein Kunde“, habe sie gedacht.
Doch ihre Kollektion, die sie auf Kommissionsbasis zusammenstellte, fand schnell Abnehmerinnen. Fast alles modische Markenklamotten namhafter Hersteller. Kaum getragen, „vieles von Fernsehmoderatoren“. Die 74-Jährige mit Hauptwohnsitz in Berlin, wo sie viele Jahre eine Boutique führte, verbringt gern den Sommer im Rheinland. Sie öffnet nur noch nach Lust und Laune und macht bald ihr Lädchen zu. Mit einem weinenden Auge: „Ich habe so viel tolle Menschen kennengelernt. Die Kunden sind viel spannender als im üblichen Geschäft.“
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