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Naturschutzgebiet NutscheidJäger sorgen sich um den Zustand des Waldes

Lesezeit 6 Minuten

Die Jagdpächter Gregor Mertens, Benni Romünder und Robin Romünder (v.l.) sehen die Nutscheid in Gefahr.

Rhein-Sieg-Kreis – Die langen Monate der Lockdowns haben viele Menschen in die Natur getrieben – auch in die Nutscheid, dem größten zusammenhängenden Waldgebiet im Kreis, das sich von Waldbröl im oberbergischen Süden bis nach Hennef zieht und das zudem unter Naturschutz steht. „Es scheint so, als wüssten immer weniger Leute, wie sie sich in der Natur verhalten sollten“, sagt Robin Romünder. Er und sein Bruder Benni sind Jagdpächter dort und auch Mitglieder der Waldnachbarschaft Bladersbach. Deren Gebiet liegt unmittelbar an der Grenze zum Rhein-Sieg-Kreis.

Viele Spaziergänger und Radfahrer verlassen einfach die Wege

Ärgernis Nummer Eins: Viele Besucher verlassen die ausgewiesenen Wege – und das ist in einem Naturschutzgebiet strikt verboten. „Wir erkennen an den Spuren, dass Fahrradfahrer, Reiter und Fußgänger vielfach Wild- und Trampelpfade nutzen und dabei Käfer oder Kröten zertreten oder plattfahren und auch junge Bäume, die noch sehr klein sind, einem Niederwald wie dem unserem aber die Zukunft sichern“, erklärt Benni Romünder.

Genossenschaft aus dem 16. Jahrhundert

Die Waldnachbarschaft Bladersbach ist eine Genossenschaft im Sinne des Gemeinschaftswaldgesetzes, sie hat ihre Wurzeln im 16. Jahrhundert. Noch heute bewirtschaften die 32 Mitglieder gemeinsam den unter Naturschutz stehenden Niederwald auf dem Nutscheid-Höhenrücken bei Waldbröl. Insgesamt gehören dort etwa 90 Hektar zum Besitz der Waldnachbarschaft.

Wesentliches Merkmal der Kulturlandschaft Niederwald ist, dass die Triebe der Laubbäume aus dem Wurzelstock wachsen und nicht – wie bei einem Hochwald – neu in den Boden gesetzt werden. Der Stockausschlag wächst dann in 28 bis 35 Jahren zu mittelstarken Stämmen heran. Spätestens dann muss geschlagen werden. Denn sonst ist die Wurzel zu alt, um neue Triebe bilden zu können.

Jedes Jahr gibt die Waldnachbarschaft etwa 1,5 Hektar zum Abholzen frei – pro zu verlosendem „Ort“ also rund 500 Quadratmeter. So erreicht man nach durchschnittlich 30 Jahren Umtriebszeit wieder denselben Ort. (wil)

Denn in einem Niederwald wird jedes Jahr eine bestimmte Parzelle abgeholzt oder „auf den Stock geschnitten“, wie es im Fachjargon heißt. Danach wird der Boden ganz der Natur überlassen und die forstet selbst wieder auf. Es wächst nach, was die Natur will und zulässt.

Pilzsammler durchkämmen den Wald

„So entstehen hier ganz besondere Waldgebiete, in denen schon mal mehr als sieben verschiedene Baumarten – von der Eiche über die Buche bis zur Weide – nebeneinander stehen“, erklärt Benni Romünder. Wenn sie denn nicht platt getrampelt oder gefahren würden, sei es von ahnungslosen Waldspaziergängern, den seit Corona überaus zahlreichen Fahrradfahrern oder von halbprofessionellen Pilzsammlern, die während der Saison in Scharen den Wald durchkämmten – obwohl das Sammeln dort strengstens verboten ist.

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Im Wald weist Müll auf so manches Picknick hin.

„Die kommen mit Kleinbussen an und bilden regelrechte Ketten wenn sie den Waldboden absuchen“, erzählt Gregor Mertens, ebenfalls Waldnachbar und Jagdpächter. Dabei zerstörten die Sammler nicht nur junge Bäume und Pflanzen, sondern auch die Brutstätten von Tieren, etwa dem äußerst seltenen, aber im Nutscheid beheimateten Haselhuhn.

„Wir könnten Leute, die ihre Hunde abseits der Wege laufen lassen oder ihre Picknickdecken und Einmal-Grills auspacken, zur Rede stellen und sogar offizielle Strafen verhängen“, sagt Robin Romünder und gesteht freimütig: „Aber wir wollen auf keinen Fall eine Eskalation provozieren, denn das Image des Jägers ist eh schon so schlecht, da wollen wir kein Öl ins Feuer gießen.“

Dabei sehen sich Jäger als Hüter des Wildes, und ihre primäre Aufgabe sei es, für den gesunden Erhalt des Wildbestands in seinem Lebensraum zu sorgen. Doch der schrumpft von Jahr zu Jahr. Denn bebaute Flächen dehnen sich kontinuierlich aus. Und zuletzt hat auch das Abholzen kranker Fichten dazu beigetragen, dass der Lebensraum für das heimische Wild weiter geschrumpft ist.

„Und in dem Gebiet, das dann übrig bleibt, wird das Wild immer öfter von Menschen gestört. Die trampeln durch das Wohnzimmer des Wildes“, sagt Robin Romünder. In der Nutscheid machen die Jagdpächter und Waldbesitzer aber nicht nur den deutlich gestiegenen Besucherandrang seit Corona dafür verantwortlich, sondern auch die Stadtentwicklung.

„Waldbröl tut nichts, damit der Wald gesund bleibt“

„Es ist bedauerlich, dass Waldbröl zwar mit dem Naturerlebnispark Panarbora und der Nutscheid als Erholungsgebieten wirbt und Touristen aus ganz Deutschland anlockt, aber nichts dafür tut, dass der Wald – und vor allem das Naturschutzgebiet – gesund bleibt“, urteilt Benni Romünder scharf.

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Auch Autoreifen finden sich inzwischen im Gehölz.

Es fehle etwa an Mülleimern, zumindest an den Straßenbuchten, in denen die Spaziergänger ihre Autos abstellen und an den Bänken, die entlang der offiziellen Wege stehen. Vielleicht würde das dazu beitragen, dass die drei Männer weniger Fast-Food-Tüten, PET-Flaschen, Papiertaschentücher und Zigarettenkippen – die kaum verrotten – im Wald aufsammeln müssen, das hoffen jedenfalls die Brüder Romünder.

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Dass die laminierten Wegweiser längst vergangener Schnitzeljagden sowie die unzähligen, ebenso in Plastik gehüllten Suchanzeigen für entlaufene Haustiere, die an Baumstämme genagelt werden, von den Urhebern wieder abgenommen und entsorgt werden, wäre ein weiterer Wunsch.

Rhein-Sieg-Kreis macht immerhin die Verhaltensregeln deutlich

Eine Bitte der Jagdpächter um Unterstützung an den Oberbergische Kreis als untere Naturschutzbehörde verlief laut Gregor Mertens im Sande. Da ist der Rhein-Sieg-Kreis schon einige Schritte voraus. Die Grenze verläuft mitten durch die Nutscheid und ist erkennbar an den zwei Naturschutzschildern – mit dem Unterschied, dass der Rhein-Sieg-Kreis sein Schild schon lange mit Verhaltensregeln ergänzt hat.

Zudem hat dieser Kreis jüngst unter dem Titel „Natur geht vor“ eine Kampagne gestartet. Seither patrouillieren Mitarbeiter des Ordnungsdienstes und vier Förster in den Naturschutzgebieten und leisten Aufklärungsarbeit. Auch sollen den Schilder Piktogramme bald hinzugefügt werden, sodass keine Sprach- oder Wissensbarriere mehr das Verständnis solcher Regeln verhindert.

Nutscheid ist Schutzwald und Lieferant von Trinkwasser

 Die Nutscheid ist ein Höhenzug zwischen der Sieg im Süden und der Bröl sowie dem Waldbrölbach im Norden. Sie stellt den Kernbereich des größten zusammenhängenden Waldes im Bergischen Land dar und ist mit 1500 Hektar eines der größten Forstgebiete der Gegend. Davon entfallen etwa 75 Hektar auf das Naturschutzgebiet Galgenberg.

„Das Naturschutzgebiet ist als seltener und gefährdeter Lebensraum mit der gesellschaftstypischen Artenzusammensetzung von internationaler Bedeutung“, heißt es unter anderem in der Klassifizierung durch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz. Auf den Informationsseiten der Europäischen Holzroute wird klar darauf hingewiesen, dass es sich um ein Naturschutzgebiet und um „den einzigen ausgewiesenen Schutzwald im Rheinland“ handelt.

Damit nicht genug: Inmitten des Naturschutzgebietes liegt zudem die Trinkwasserquelle für den Ort Bladersbach, abgeriegelt von einer Schranke und gekennzeichnet als Wasserschutzgebiet. Dennoch weisen Pferdespuren, Fußabdrücke und Fahrradrillen darauf hin, dass der schmale und bewachsene Weg zur Quelle, der allein zu Kontroll- und Wartungszwecken betreten werden darf, auch von Waldbesuchern illegal genutzt wird. Ein Tropfen Öl aus einer Fahrradkette oder dem Motor eines Quads könnte dort verheerende Folgen haben.

Die Stadt Waldbröl wirbt sogar mit der Nutscheid: „Über 1500 Hektar unberührte Natur laden zum Wandern ein. Wo es erlaubt ist, bietet der Nutscheid-Forst auch traumhafte Bedingungen zum Mountainbiken oder Reiten. Der Nutscheid-Forst erstreckt sich von Waldbröl bis nach Hennef und ist dadurch auch bei Besuchern aus dem Rheinland und aus dem Ruhrgebiet als Ort der Entspannung beliebt.“