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KrankmeldungenHennefer Ärztin: „Der Ausfall muss ja von den anderen kompensiert werden“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Fieberthermometer, Medikamente und eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Krankmeldung) liegen auf einem Nachttisch (gestellte Szene).

Weltweite Spitze seien die Deutschen bei der Zahl der jährlichen Krankheitstage, sagt der Allianz-Vorstandsvorsitzende Oliver Bäte. Den ersten Krankheitstag sollten die Beschäftigten daher selbst finanzieren.

Unternehmen im Rhein-Sieg-Kreis beobachten, dass die Zahl der Krankheitstage in den vergangenen Jahren angestiegen ist.

„Feiern“ Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland besonders häufig krank, vor allem seit es in Folge der Corona-Pandemie die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung gibt? Oliver Bäte, der Chef der Allianz-Versicherung hat mit seiner öffentlichen Forderung, Arbeitnehmende sollten ihren ersten Krankheitstag selbst finanzieren, eine öffentliche Diskussion ausgelöst.

Während trotz vieler Anfragen bei Unternehmen in der Region keine Stellungnahmen zu bekommen waren, äußerten sich zwei kreiseigene Betriebe, der Gewerkschaftsbund und Ärzte-Sprecherin Dr. Jacqueline Hiepler gegenüber der Redaktion.

Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft sieht keinen Zusammenhang zur telefonischen Krankschreibung

Bei der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft (RSVG), die mit rund 500 Beschäftigten zu den großen Arbeitgebern in der Region zählt, hat sich der Krankenstand seit der Corona-Pandemie tatsächlich deutlich erhöht, wie Pressesprecherin Melanie Matyschok auf Anfrage dieser Zeitung bestätigt. Vor allem zu bestimmten Zeiten, etwa an Karneval, führe das im Linienbetrieb des Verkehrsunternehmens zu erheblichen Problemen, die die Folgen des Fachkräftemangels verschärfen würden. „Allerdings erhalten wir keine erhöhte Anzahl an Krankmeldungen seit der Möglichkeit zur telefonischen Krankmeldung gibt“, so Matyschok.

„Die Forderung, den ersten Krankheitstag nicht mehr zu vergüten, ist für uns als tarifgebundenes Unternehmen derzeit kein Thema“, heißt es bei der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG). „Unsere Mitarbeitenden leisten tagtäglich einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, und wir legen großen Wert auf faire Arbeitsbedingungen und eine angemessene Unterstützung im Krankheitsfall“, sagt Pressesprecher Philip Moll.

Auch wir beobachten, wie viele andere Unternehmen, einen allgemeinen Anstieg der Krankenquote in den letzten Jahren
Philip Moll, Sprecher der RSAG

Als Unternehmen, das stark von der Arbeit unter freiem Himmel geprägt sei, sei sich die RSAG der Herausforderungen bewusst, die Wetterbedingungen und körperliche Belastungen mit sich bringen können. „Auch wir beobachten, wie viele andere Unternehmen, einen allgemeinen Anstieg der Krankenquote in den letzten Jahren.“ Dies decke sich mit den bundesweiten Trends und sei sicherlich auch durch die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung beeinflusst.

Als völlig überflüssig empfindet Judith Gövert, die Regionsgeschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Köln/Bonn, die Diskussion. „Erhebungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen, dass die Behauptung, der Krankenstand in Deutschland sei auf Rekordniveau, überhaupt nicht zutrifft.“ Die Forderung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall am ersten Arbeitstag unter bestimmten Umständen zu streichen, sei weniger ein Beitrag zur Lösung eines konkreten Problems als ein weiterer Versuch „mit der Abrissbirne gegen unser Sozialsystem vorzugehen“, so Gövert.

Probleme löse die Umsetzung des Vorschlags von Allianz-Chef Oliver Bäte nicht, im Gegenteil. „Käme das so wie von ihm gefordert, würden noch mehr Mensch krank zur Arbeit kommen, was den Krankenstand weiter erhöhen würde.“ Dieser sogenannte Präsentismus sei für die Volkswirtschaft schädlich, argumentiert die Gewerkschafterin. „Jeder Arbeitgebende, der klug ist, weiß das und ist wie die Gewerkschaften gegen den Vorschlag."

Hennefer Ärztin möchte auch Arbeitnehmer sensibilisieren

Aus zwei Blickwinkeln sehe sie die Entwicklung, sagte Dr. Jacqueline Hiepler, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diabetologie aus Hennef: „Als Ärztin und als Arbeitgeberin“ nämlich. Seit der Coronapandemie sei die Zahl der Krankheitstage tatsächlich „deutlich gestiegen“. Das, so Hiepler, sei ja „nicht nur die Schuld der Arbeitnehmer“.

So seien beispielsweise die Fachkräfte in Kitas sensibler geworden, was die (Nicht-)Betreuung von Kindern mit einer laufenden Nase angehe. „Das sind ja dann alles Krankentage“, wenn ein Elternteil wegen der Betreuung zuhause bleibe. Auch könne nicht jeder und jede, der am Morgen mit Husten und Schnupfen aufwacht, den Beruf im Zweifelsfall auch aus dem Homeoffice ausüben.

Eine Frau im schwarzen Pullover sitzt am Schreibtisch in einer Arztpraxis. Am Garderobenständer hängt ein weißer Kittel.

Dr. Jacqueline Hiepler ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diabetologie mit eigener Praxis in Hennef.

Gleichwohl habe sie ebenso Verständnis für die Position der Arbeitgeber, sagt Hiepler, die auch Vorsitzende der Kreisstelle Rhein-Sieg-Kreis der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein ist. „Das ist teuer“, und „der Ausfall der Arbeitskraft muss ja von den anderen kompensiert werden.“ Wenn es bei einem Tag Lohnverzicht bleibe, „werde ich ja nicht arm.“

Es ist nicht der Arzt, der die Einstellung ändert
Dr. Jacqueline Hiepler, Fachärztin für Allgemeinmedizin

„Es gibt keine Lösung, die das generell behebt“, betont Jacqueline Hiepler. Viele Arbeitgeber seien schon dazu übergegangen, bereits ab dem ersten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Aber es sei „nicht der Arzt, der die Einstellung ändert.“

Es sei vielleicht „die Hemmschwelle in manchen Fällen niedriger“, nicht zur Arbeit zu gehen, „in Situationen, wo man früher ging.“ Es sei nötig, zu sensibilisieren dafür „wann bin ich so krank, dass ich wirklich nicht mehr arbeiten kann?“ Keine Frage ist das für die Ärztin, wenn beispielsweise Fieber oder Durchfall vorliegen. Sie kenne aber auch Arbeitnehmer, die nach einer Nacht mit schlechtem Schlaf eine Krankmeldung wegen Rückenschmerzen einholen möchten. Da stelle sich die Frage, „ob man sich vielleicht mal zusammenreißen muss.“