Geflüchtet aus der UkraineJunge Sängerin lebt nun bei Musikerfamilie in Niederkassel
Niederkassel – Der Hauptbahnhof nachts kurz nach halb drei – das war das erste, was Angelika Bondarchuk nach ihrer Flucht aus der Ukraine von Köln zu sehen bekam. „Wegen der späten Uhrzeit wollte sie erst am kommenden Morgen abgeholt werden, aber natürlich bin ich sofort losgefahren“, erinnert sich Friedemann Immer. Seit einigen Wochen lebt die 24-jährige Musikstudentin aus Kiew beim Ehepaar Immer in Rheidt.
Ihrem Gast können der renommierte Trompeter und die Sopranistin nicht nur eine Unterkunft bieten. Hier hat sie auch die Chance, ihre durch den Krieg unterbrochene musikalische Ausbildung fortzusetzen.
Musikhochschule Köln suchte Quartiere
„Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs haben wir uns gefragt, wie wir helfen können“, erzählt Friedemann Immer. Kurz zuvor war der jüngste Sohn aus dem Elternhaus ausgezogen, zwei Zimmer standen leer. Immer erfuhr, dass die Kölner Musikhochschule Quartiere für ukrainische Studierende sucht: „Das war ideal, meine Frau und ich sind beide Musiker; wer zu uns kommt, kann hier auch Musik machen.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte Angelika Bondarchuk bereits dramatische Wochen hinter sich. Nachdem sie ihr Gesangsstudium in Dnipropetrowsk begonnen hatte, war die Sopranistin im vergangenen Jahr an die nationale Musikakademie in Kiew gewechselt: „Ich wollte die bestmögliche Ausbildung – und ich wollte auf der Bühne singen.“
Doch dann kam der Krieg: „Innerhalb kurzer Zeit war die Situation unerträglich geworden. Und niemand kann vorhersagen, wie es weitergeht.“ Bondarchuk schrieb mehrere Musikhochschulen in Europa an; aus Köln kam eine Zusage und sie machte sich auf die lange Reise.
Für Aufnahmeprüfung zugelassen
Friedemann Immer hat selbst viele Jahre an der Kölner Musikhochschule gelehrt. Dort können ukrainische Geflüchtete derzeit als Gasthörer oder Austauschstudenten ein eingeschränktes Angebot nutzen. Angelika Bondarchuk will mehr: „Die Zulassung für die Aufnahmeprüfung zum Gesangsstudium hat sie bereits“, erzählt Claudia Immer.
Doch die wenigen Studienplätze sind begehrt und die Zeit sehr knapp – bereits Anfang Juni stehen die Aufnahmeprüfungen an. Ein Hindernis ist die Sprachbarriere. Dafür gibt eine mit der Familie befreundete pensionierte Lehrerin Angelika Bondarchuk individuellen Deutschunterricht.
Andere Gesangstechnik
Eine weitere Herausforderung liegt im Gesang, erläutert die Studentin: „Bei uns in der Ukraine ist die Vokaltechnik ganz anders, zudem singen wir emotionaler und mit viel mehr Körpereinsatz als in Deutschland.“ Hier übernimmt die Sopranistin und Chorleiterin Claudia Immer das Coaching: „Lika ist eine kluge Sängerin, die sehr schnell lernt und die auch etwas erreichen will. Das erleichtert vieles.“ Auch das Zusammenleben funktioniert: „Wir kommen gut miteinander klar und wir lernen beide voneinander.“
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Aber auch dieses stramme Pensum könne nicht von den Sorgen um die Daheimgebliebenen ablenken, bekennt Bondarchuk: „Beim Singen fühle ich natürlich den Schmerz und die Traurigkeit für meine Heimat.“ Am meisten belaste es sie, dass ihre Heimatregion derzeit von russischen Streitkräften besetzt ist; dort, wo die Familie und viele Freunde leben: „Die Menschen wollen eine freie Ukraine, das wird ihnen verwehrt. Und die Situation verschlechtert sich immer mehr.“