Drei Handwerksbäcker gab es einst im Mucher Zentralort, nun schließt mit Frohn der letzte. Warum der Familienbetrieb nach 97 Jahren aufgibt.
„Die Kleinen werden nicht überleben“Mucher Traditionsbäckerei macht nach 97 Jahren dicht
Sie gehen mit einem weinenden Auge: Reiner, Roswitha und Tobias Frohn machen ihre Bäckerei in der Kirchstraße 10 am Sonntag, 28. Juli, dicht. Nach 97 Jahren. Die 100 noch voll zu machen für ein würdiges Jubiläum, das sei nicht mehr möglich gewesen, bedauert die Familie. Mit Frohns verschwindet die letzte Backstube aus dem Zentralort.
Drei Kollegen waren sie einst, schildert der 68-jährige Bäckermeister. Es gab Zusammenhalt, sogar ihre Betriebsferien sprachen sie ab, lang ist's her. Irgendwann kamen stattdessen zwei Filialisten. Frohns stemmten zwischenzeitlich die Urlaubszeiten noch mit eigenem Personal, seit einigen Jahren aber machten sie im Sommer für zweieinhalb Wochen zu.
Personalmangel in der Backstube und im Laden bedeutet das Aus
Eigentlich schien der Fortbestand des Familienbetriebs durch die vierte Generation gesichert: Urenkel Tobias, jüngster von drei Geschwistern, erwärmte sich für das Bäckerhandwerk, begann 2006 in Bad Honnef seine Ausbildung, kein reines Zuckerschlecken, denn von seiner Wohnung radelte er zur Arbeit, vier Kilometer, nachts bei Wind und Wetter, „im zweiten Jahr hatte ich zum Glück den Führerschein“, sagt der 35-Jährige.
Er sammelte noch Erfahrungen in anderen Betrieben, stieg 2011 bei den Eltern in Much mit ein. Die Zukunft schien gesichert. Doch nun schlage verstärkt der Fachkräftemangel zu, die geburtenschwachen Jahrgänge fänden Stellen mit attraktiveren Arbeitszeiten. Kurz: Ob für die Backstube, wo Nachtarbeit gefordert ist, oder den Laden, in dem am Wochenende der meiste Andrang herrscht, sei kaum noch Personal zu bekommen, schildert Roswitha Frohn.
Sie steht seit mehr als 40 Jahren hinter der Theke. Erledigt auch das Kaufmännische, die Bürokratie werde immer aufwendiger, so die 63-Jährige. Dass die Familientradition mit ihnen endet, das berührt sie sichtlich. Sie sucht nach einem Taschentuch. Die Bäckerei, das sei ihr Leben gewesen.
Hans Frohn, Urgoßvater von Tobias, begründete mit seiner Frau Klara (geborene Fedder) die Tradition, eröffnete 1927 die „Dampfbäckerei und Conditorei“, so stand es auf dem Schaufenster. Das Gebäude an selber Stelle brannte 1947 ab, er baute es wieder auf.
Seniorchef Reiner Frohn packte schon als Schüler mit an
1943 hatte sein Sohn Werner seine Lehre begonnen, wurde dann aber zum Kriegsdienst eingezogen, kam in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr 1949 schloss er die Ausbildung ab, lernte 1950 seine Frau Hildegard kennen, die zweite Generation übernahm den Betrieb. Tatkräftig unterstützt von Klara, die allerdings auch gerne den Ton angab - und sehr auf Pünktlichkeit pochte, erzählt die Familie.
Reiner, der einzige Sohn von Werner und Hildegard, packte schon früh mit an. „Ich brachte morgens die Brötchen ins Kloster, war dort auch Messdiener“, schildert der Seniorchef. Nach der Schule, wenn die Klassenkameraden ins Schwimmbad ausschwärmten, ging er erstmal Heim um zu helfen. Sein Lebensweg war vorgezeichnet, keine Frage: 1971 machte er seine Bäckerlehre, bei Sünner in Siegburg, „in der Stadt, das war schon was“.
Dann ging es zurück ins Dorf, seine Frau Roswitha gab 1983 ihre Stelle beim Fernmeldeamt auf, wohl wissend, was auf sie zukam: „Meine Eltern hatten ein Lebensmittelgeschäft.“ Die kommenden Jahrzehnte bediente sie hinter der Theke, auch Uroma Klara unterstützte die dritte Generation.
Oma Hildegard half bei der Kinderbetreuung, 1984 wurde der erste Sohn von Roswitha und Reiner geboren, 1986 die Tochter, 1988 Tobias. Opa Werner Frohn stand noch lange mit am Ofen, buk, bis er 75 war, sein Schwarzbrot nach eigenem Rezept. Das gibt es heute noch.
Jahrzehntelang fuhren Frohns auch Backwaren aus, anfangs mit dem Pferdefuhrwerk, dann mit dem Lieferwagen. Corona sei ein harter Einschnitt gewesen, alle Feste, die man belieferte, alle Zusammenkünfte fielen weg. Nun also der Abschied. Etliche Kunden hätten schon ihr Bedauern geäußert, ein kleiner Trost. Ihre Nussecken, ihre Mandelhörnchen, ihre Gewürzstangen, das seien die Renner gewesen.
An der Wand hängen zahlreiche Urkunden, Goldmedaillen für Gebäck, Brot und Brötchen. „Qualität war uns immer wichtig.“ Und das zu bezahlbaren Preisen, sagt die Chefin: „60 Cent für ein normales Brötchen zu nehmen, das hätte ich nicht gekonnt.“ Sie freut sich auf Zeit mit ihren drei Enkeln, große Pläne hätten sie nicht. Reiner Frohn hat nun mehr Muße zum Motorradfahren, in der Garage wartet sein BMW-Gespann.
Aber zunächst wird der Betrieb abgewickelt, das Haus mit Backstube, Ladenlokal, Büro- und Wohnraum verkauft. Über die Nachnutzer in der Kirchstraße machten sie sich keine Gedanken, das sei Sache des Maklers.
Sohn Tobias bleibt in der Branche, übernimmt Führungsaufgaben in einer Großbäckerei. Vorteil: regelmäßiger Urlaub. Die Konzentration sei wohl die Zukunft der Branche, sagt Vater Reiner: „Die kleinen Bäckereien werden nicht überleben.“
Bundesweit schloss laut Zentralverband des Bäckerhandwerks seit 2015 ein Viertel der Betriebe. Künstliche Intelligenz könnte helfen, zumindest den Mangel an Verkaufspersonal zu mildern. Derzeit läuft ein von der Einkaufsgenossenschaft Bäko unterstützter Versuch mit Kameras, App und Selbstbedienung in einer Filiale eines Sylter Handwerksbäckers. In der Backstube wird aber noch von Hand gearbeitet.