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Steuern eingebrochenWesseling verhängt Haushaltssperre – Veranstaltungen fallen aus

Lesezeit 4 Minuten
Das Foto zeigt einen Blick auf Teile Wesselings

Wesseling muss in der kommenden Zeit den Gürtel enger schnallen. Die Gewerbesteuereinnahmen sind massiv eingebrochen.

Von den im Haushalt 2025 eingeplanten 71,2 Millionen Euro sind bisher nur 3,6 Millionen eingegangen. Insgesamt werden 40 Millionen Euro fehlen.

Erneut wird Wesseling die Abhängigkeit von der Chemieindustrie schmerzhaft vor Augen geführt. Stadtkämmerin Karolin Beloch hat eine Haushaltssperre verhängt, weil sich „die Gewerbesteuerzahlungen im Sturzflug“ befänden, wie sie gestern mitteilte. Das bedeutet für die Stadt am Rhein: Sie streicht sämtliche freiwillige Leistungen, außer die, zu denen sie sich bereits vertraglich verpflichtet hat.

Zudem wird der Familienpass ab dem 1. Mai ausgesetzt. Damit werden normalerweise sozial schwache Familien unterstützt. Auch die Förderung von Vereinen und von Schulprojekten wird gestrichen, teilte eine Rathaussprecherin am Donnerstag (10. April) mit.

Ausgerechnet die sogenannten freiwilligen Leistungen sind es, die unserer Stadt ein Gesicht und ein Herz geben
Ralph Manzke

Auslöser für diese drastische Maßnahmen ist ein Einbruch der der Gewerbesteuereinnahmen. Von den im Haushalt 2025 eingeplanten 71,2 Millionen Euro sind bisher nur 3,6 Millionen eingegangen. Vor dem Hintergrund der ohnehin angespannten Weltwirtschaftslage, der allgemeinen geopolitischen Unsicherheit, die seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine herrschte und vor dem Hintergrund des Transformationsprozesses, in dem sich die Industrie befinde, erwartet Beloch Minderreinnahmen von rund 40 Millionen. Euro.

Bürgermeister Ralph Manzke (SPD) bedauert den Schritt: „Ausgerechnet die sogenannten freiwilligen Leistungen sind es, die unserer Stadt ein Gesicht und ein Herz geben. Hierzu zählen auch Bereiche wie die Offene Kinder- und Jugendarbeit. Hier tun die Streichungen uns allen besonders weh und können langfristig betrachtet sogar schaden. Auch Bereiche, die an einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Stadt mitwirken, wie die städtische Wirtschaftsförderung, werden, Streichungen hinnehmen müssen.“ Die großen Investitionsprojekte wie die Schul- und Kitabau-Projekte sind von der Haushaltssperre gleichwohl nicht betroffen.

Auf dem Foto ist eine Frau mit blondem Haar und einer schwarzen Brille zu sehen.

Kämmerin Karolin Beloch greift zu radikalen Maßnahmen.

Die drei Chemieunternehmen Shell, Evonik und LyondellBasell gehören als größte Arbeitgeber in Wesseling zugleich auch zu den größten Zahlern von Gewerbesteuer. Sobald deren Geschäfte ins Stocken geraten beziehungsweise die gesamte Branche in wirtschaftlichen Problemen steckt, wirkt sich das unmittelbar auf die Finanzen der Stadt im Südkreis aus. Auch große Investitionen führen dazu, dass Unternehmen ihre Steuerlast senken können.

Shell hat beispielsweise erst kürzlich seine Rohölraffinerie abgeschaltet und steckt eine hohe Millionensumme in eine Anlage für hochwertige Grundöle, die als Schmierstoffe oder in Kosmetika verwendet werden. Und LyondellBasell hatte 2024 den Grundstein für die erste chemische Recyclinganlage gelegt. Auch Evonik stellt sich auf sich verändernde Nachfrage ein, was nicht zuletzt das Ziel hat, „sauberer“ und umweltverträglicher zu produzieren sowie neue Produkte auf den Markt zu bringen.

Wesseling: Chemieunternehmen machen keine Angaben zu ihren Zahlen

Äußern möchten sich die Unternehmen zu der Entwicklung am Standort Wesseling und den Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben nicht. Ein Shell-Sprecher teilte mit, das Unternehmen bekenne sich zum Standort Wesseling: „Den aus unserer Geschäftstätigkeit vor Ort resultierenden Steuerverpflichtungen kommen wir selbstverständlich nach.“ Konkrete Angaben zu ihrer aktuellen wirtschaftlichen Lage mache Shell nicht und treffe auch keine Prognosen für die Zukunft. Evonik und LyondellBasell ließen gleichlautende Anfragen unbeantwortet.

Leidtragende solcher Investitionen sind dann Städte wie Wesseling, deren Wirtschaft von wenigen großen Unternehmen geprägt und die Gewerbesteuer von diesen im wesentlichen getragen wird. Daher finden nun städtische Veranstaltungen wie die Seniorenschifffahrt, das Oldtimertreffen und der Jahresempfang des Bürgermeisters nicht statt. Auch das gab die Stadt am Donnerstag bekannt. Dies gilt auch für interne städtische Veranstaltungen wie den Team-Tag und die Weihnachtsfeier.

Auf dem Foto ist die Rheinpromenade in Wesseling zu sehen.

Wesseling besticht auch durch seine Lage am Rhein. Die hohen Gewerbesteuereinnahmen der Vergangenheit ermöglichten es der Stadt, zahlreiche Projekte zu finanzieren.

Zudem werden Personalmaßnahmen wie Wiederbesetzungen und Beförderungen individuell und unter Beachtung der unbedingten Notwendigkeit geprüft bzw. ausgesetzt. Neue Projekte oder Maßnahmen dürfen nicht gestartet werden.

Doch die Wesselingerinnen und Wesselinger müssen trotz der prekären Mindereinnahmen nicht auf alles verzichten. Das Open-Air-Konzert zum Stadtfest am ersten Juli-Wochenende wird jedoch stattfinden – weil die  Verträge mit den Bands bereits abgeschlossen worden seien. Auch für die Feierabendmärkte von Juni bis Oktober an jedem ersten Donnerstag des Monats und das Street-Food-Festival zu Pfingsten seien die Kooperationsverträge mit den Veranstaltungspartnern bereits geschlossen.

Wesseling: Stadt hatte schon 2024 Kredite über 30 Millionen Euro aufgenommen

Für das Stadtfest am 6. Juli, das vorrangig durch ehrenamtliches Engagement getragen wird, werde die Verwaltung nach Lösungen für die Kosten zum Beispiel der Bühnen suchen, damit das Sport- und Spielefest stattfinden könne, so die Sprecherin weiter.

Bereits im Herbst 2024 hatte sich finanzielle Engpässe angebahnt. Seit Oktober hat die Stadt Wesseling eigenen Angaben zufolge Kredite über 30 Millionen Euro aufgenommen, um die Zahlungsfähigkeit der Stadt aufrechtzuerhalten. Das reichte aber am Ende nicht aus – durch  die Haushaltssperre sollen Ausgaben sofort reduziert werden.

Voraussichtlich im Juni wird Kämmerin Beloch einen Nachtragshaushalt einbringen, der noch vor den Sommerferien vom Rat beschlossen werden muss. Die Aufstellung eines solchen Nachtragshaushalts ist gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Realität vom ursprünglich genehmigten Haushalt so weit abweicht wie es jetzt der Fall ist. Nur wenn dieser Nachtragshaushalt von der Kommunalaufsicht genehmigt wird, kann die Stadt wieder höhere Kredite aufnehmen und die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen.