AboAbonnieren

Standorte ab sofort geheimScharfe Kritik an Entscheidung zu Blitzern im Rhein-Erft-Kreis

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Foto ist ein Pkw mit geöffnetem Kofferraum zu sehen, in dem eine Tempomessanlage installiert ist.

Mit einer ähnlichen Technik wie dieser blitzt die Kreisverwaltung im Rhein-Erft-Kreis.

Die Ankündigung des Kreises, die Blitzer-Standorte nicht mehr bekannt zugeben, stößt auf Unverständnis.

Der ADAC Nordrhein kritisiert die Entscheidung der Kreisverwaltung in Bergheim, Standorte und Termine für die mobile Geschwindigkeitsüberwachung nicht mehr zu veröffentlichen. Erfahrungsgemäß hätten Verkehrsteilnehmer mehr Verständnis für solche Kontrollen, wenn sie vorher bekanntgegeben würden, sagt Automobilclub-Sprecher Johannes Giewald. Durch diese Transparenz lasse sich dem Vorwurf entgegenwirken, Geschwindigkeitskontrollen nur für die Kasse durchzuführen, ohne den Zweck der Verkehrssicherheit zu erfüllen.

Ein Sprecher der Kreisverwaltung hatte die geänderte Praxis in der Vorwoche damit begründet, dass „die Effektivität der Verkehrssicherheitsmaßnahmen erhöht und die Anzahl der schweren und tödlichen Unfälle reduziert“ werden sollen. Damit folge der Kreis der „Fachstrategie Verkehr“ des NRW-Innenministeriums, die sich an die Polizeibehörden richtet.

Fraktionen im Kreistag kritisieren Kreis und sprechen von „Alleingang“

Als Folge daraus gibt die Kreispolizei in Bergheim bereits seit Februar 2024 keine Messstandorte mehr bekannt. Die Frage, auf welchen Erkenntnissen die Einschätzung fußt, wonach durch die Nichtbekanntgabe der Standorte die Verkehrssicherheit erhöht und Unfälle vermieden werden, lässt der Behördensprecher in Bergheim unbeantwortet.

Kritik an der Abkehr der bisherigen Handhabung mit den Blitzerstandorten äußern Vertreter mehrerer Fraktionen im Kreistag, sie sprechen von einem Alleingang. Beim Thema Verkehrssicherheit sei die Transparenz von Kontrollstandorten wichtig, sagt der Fraktionsvorsitzende Dierk Timm.

So sei aus Sicht der SPD auch der landesweite Blitzermarathon immer wichtig gewesen, um die Aufmerksamkeit auf die Verkehrssicherheit zu lenken. Dies habe immer dazu geführt, dass viele Autofahrer sich über die Gefährlichkeit von zu schnellem Fahren Gedanken gemacht haben und die Geschwindigkeit daraufhin angepasst haben.

Ich halte das Vorgehen der Verantwortlichen für sehr bedenklich
Karl Heinz Spielmanns

Schließlich sei dies der Kerngedanke und nicht das Einkassieren von Bußgeldern. Timm äußert zudem sein Unverständnis darüber, dass Landrat Frank Rock (CDU) die Fraktionen nicht über die veränderte Handhabung informiert habe.

Ähnlich äußern sich Die Linke/BSW/+ und die Freien Wähler. Deren Fraktionsvorsitzender Karl Heinz Spielmanns bezeichnete es das Vorgehen der Verantwortlichen als „sehr bedenklich“, auch wenn er die Beweggründe nachvollziehen könne. Linken-Politiker Hans Decruppe teilte mit, er bezweifle, dass die Nichtbekanntgabe von Geschwindigkeitsmessungen die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhe.

Auf dem Foto ist ein Blitzer zu sehen, bei dem die Glasscheiben demoliert worden sind.

Der Blitzer an der Ortsumgehung Hermülheim (B 265n) war zerstört worden, bevor er überhaupt in Betrieb genommen werden konnte.

Im Gegenteil dürfte die öffentliche Ankündigung, regelmäßig vor Gefahren- oder häufigen Unfallstellen – unter anderem vor Schulen, Krankenhäusern, Alten- und Heimen für Menschen mit Behinderung sowie in verkehrsberuhigten Zonen und an polizeibekannten „Raserstrecken“ – zu messen, wesentlich hilfreicher sein, Verkehrsverstöße zu verhindern und die dortigen Unfallgefahren zu vermindern. Decruppe vermutet daher, dass hinter dem Vorgehen der Kreisverwaltung „niedere pekuniäre Interessen“ stehen.

Jedes Jahr streicht der Kreis durch Tempoverstöße zwischen 4 und 4,5 Millionen Euro ein. Ob diese Summe auch 2024 erreicht wird, erscheint fraglich: Mehrere neue stationäre Blitzer konnten monatelang nicht in Betrieb genommen werden, weil sie nicht mit der im Erdreich liegenden Technik der vorherigen Anlagen verbunden werden konnten. Als dies auffiel, waren alte Messgeräte bereits demontiert worden.

Zudem waren einige Anlagen mit Farbe besprüht oder deren Glasfläche demoliert worden. Dies hatte die Kreisverwaltung schon vor Monaten dazu veranlasst, Presseanfragen nicht mehr zu beantworten. Indirekt sei die Berichterstattung für die Zerstörungswut verantwortlich.

Skepsis auch bei der FDP: Fraktionschef Dr. Christian Pohlmann bezweifelt, ob das Verschweigen der Standorte die Verkehrssicherheit erhöhe. Ihn habe der umgekehrte Weg beispielsweise durch Speedmarathons eher überzeugt. Die Liberalen, die mit CDU und Grünen eine Koalition im Kreistag bilden, war in die Entscheidung, von der bisherigen Praxis abzurücken, nicht eingebunden.

Wenn niemand zu schnell fährt, was ja ganz einfach ist, wird auch keine Kasse gemacht
Elmar Gillet

Gregor Golland vom Koalitionspartner CDU versichert, es gehe nicht um Einnahmen, sondern darum, die Verkehrssicherheit mit unvorhersehbaren und wechselnden Kontrollen zu erhöhen. Auch immer mehr Kreispolizeibehörden in NRW folgten dieser Linie. Ähnlich argumentiert Elmar Gillet (Grüne): „Überhöhte Geschwindigkeit ist die Hauptursache schwerer Unfälle, und wenn sie bekämpft wird, ist das vollkommen in Ordnung. Wenn niemand zu schnell fährt, was ja ganz einfach ist, wird auch keine Kasse gemacht.“

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, die Wirksamkeit der Ankündigung von Kontrollstellen bei der Tempoüberwachung sei nicht nachgewiesen. Daher kontrolliere die Polizei nunmehr grundsätzlich unangekündigt und halte Raser stets an. Diese Kontrollform ermögliche die eindeutige Identifizierung des Fahrers und zudem, ihn direkt mit seinem Vergehen zu konfrontieren. Das ist bei den Kontrollen durch die Kreisverwaltung nicht vorgesehen.

Diese Praxis hält auch der ADAC am wirkungsvollsten. Von schriftlichen Anhörungsbögen, die erst Wochen nach dem Verstoß beim Autofahrer eintreffen, hält er nichts. „Die direkte Ansprache an Temposünder durch Polizeibeamte hat einen größeren pädagogischen Effekt, als das Bußgeldschreiben per Post“, sagt Johannes Giewald.