Warum die Erstellung von Gutachten oftmals sehr lange dauert, kann mehrere Gründe haben.
InterviewOberstaatsanwalt Bremer aus Köln erklärt, warum oft viele Monate verstreichen, bis Gutachten fertig sind
Anderthalb Jahre sind seit dem Bahnunglück vergangen, bei dem im Mai 2023 in Hürth zwei Bahnarbeiter ums Leben gekommen sind. Die Gutachten zum Hergang haben sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Erst in dieser Woche konnte die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen einen der beiden Männer erheben, gegen die sie wegen fahrlässiger Tötung ermittelt hatte. Die Einschätzung der Sachverständigen steht auch in zwei weiteren Fällen aus, die für Schlagzeilen gesorgt hatten: zum einen der Unfalltod zweier Frauen im Dezember 2023 auf der A 555 bei Wesseling, zum anderen der tödliche Arbeitsunfall im März 2024 im Phantasialand in Brühl. Für Angehörige der Opfer wie für Beschuldigte kann das Warten auf Gutachten, ohne die es nicht zur Anklage kommen kann, zu einer zermürbenden Geduldsprobe werden. Jörn Tüffers sprach mit Ulrich Bremer, Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Köln, über die Gründe für die lange Wartezeit.
Herr Bremer, trifft die Beobachtung zu, dass es allgemein zunehmend länger dauert, bis Gutachten in Ermittlungsverfahren vorliegen?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Zum einen kommt es ganz entscheidend auf den Gegenstand des Sachverständigengutachtens an. Standardisierte Expertisen, etwa zum Blutalkoholgehalt von Verkehrssündern liegen uns sehr zügig vor. Je umfangreicher der Gutachtenauftrag der Staatsanwaltschaft zu komplexen Fragen ist, zum Beispiel zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeiten in einem Industrieunternehmen, desto mehr Zeit wird der Sachverständige benötigen. Zeit, die wir ihm grundsätzlich auch zugestehen, denn auch hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Niemand außer dem Angeklagten wird ein Interesse daran haben, dass die Staatsanwaltschaft in einer Gerichtsverhandlung mit einem lückenhaften und damit angreifbaren Gutachten aufwartet.
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Was sind die Gründe für solche Verzögerungen?
Verzögerungen können zum Beispiel dadurch eintreten, dass ein sehr großer Umfang an Beweismitteln – denken Sie an das Verfahren „Kölner Stadtarchiv“ – ausgewertet werden muss. Oder die Fragen der Staatsanwaltschaft sind so speziell, dass sie nur von wenigen Sachverständigen, etwa zur Auswertung von modernen Pkw als „rollende Computer“, kompetent beantwortet werden können. Diese Experten sind natürlich bundesweit sehr stark gefragt. Bei Arbeitsunfällen können die Sachverhalte derart komplex sein, dass ein ganzes Sachverständigenteam für die Beantwortung der Frage des Unfallhergangs erforderlich ist, was natürlich Auswirkungen auf die Dauer der Gutachtenerstellung hat.
Warum nehmen die Gutachten in den geschilderten Fällen so viel Zeit in Anspruch – ich meine den tödlichen Unfall auf der A 555, den tödlichen Arbeitsunfall im Phantasialand und die beiden getöteten Bahnarbeiter in Hürth.
All solchen Fällen liegt der Vorwurf eines fahrlässig begangenen Fehlverhaltens zugrunde, bei denen den Beschuldigten ein sogenannter Sorgfaltspflichtverstoß, der zum Beispiel für den Tod eines Verkehrsteilnehmers oder eines Angestellten in einem Betrieb ursächlich war, konkret zugerechnet werden muss. Diese Verfahren dauern naturgemäß länger, weil die Staatsanwaltschaft alternative Tatabläufe ausschließen muss, um einen lückenlosen Beweis führen zu können.
Sind Arbeitsunfälle gesondert zu betrachten?
Bei einem Arbeitsunfall ist oftmals zu klären, ob den Geschädigten eine Mitschuld trifft, wie die Arbeitsabläufe definiert sind, wer diese Abläufe vorgegeben hat, wer sie zu überwachen hatte beziehungsweise an wen Überwachungspflichten unter Umständen delegiert worden sind. Ermittlungszeiträume von mindestens einem Jahr sind da keine Seltenheit, zumal die Staatsanwaltschaft dem Sachverständigen zunächst alle Anknüpfungstatsachen liefern muss, auf deren Grundlage das Gutachten dann erstattet werden kann.
Formulieren Sie als Staatsanwaltschaft Fristen, wann Ergebnisse vorliegen müssen?
Wenn Gutachten sehr eilbedürftig sind, wie in Haftsachen, geben wir den Sachverständigen natürlich Fristen vor. In anderen Fällen fragen wir regelmäßig nach dem Fortgang und dem Zeitpunkt der Fertigstellung der Gutachten an.
Haben Sie Handhabe, die Gutachter anzuhalten, ihre Arbeit zu beschleunigen?
Sofern der Sachverständige öffentlich bestellt ist, ist er nach der Strafprozessordnung zur Erstattung des von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachtens verpflichtet. Weigert er sich oder versäumt er eine abgesprochene Frist, kann gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt und es können ihm zudem die durch sein Verhalten verursachten Kosten auferlegt werden.
Arbeiten Sie stets mit denselben Gutachtern zusammen?
Eine Vielzahl von Gutachten, zum Beispiel waffenrechtliche Beurteilungen, DNA-Expertisen oder Spurengutachten erstellen die Polizeibehörden von Amts wegen. Rechtsmedizinische Untersuchungen nimmt regelmäßig das ortsansässige, sehr renommierte Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln vor. Im Bereich der externen Sachverständigen versuchen wir die Beauftragungen je nach Verfügbarkeit aus Gründen der Neutralität breit zu streuen. Wir wollen uns vor Gericht nicht dem Vorwurf aussetzen, „Lieblingsgutachter“ zu betrauen.
Lässt sich die Größe dieses Kreises im Landgerichtsbezirk Köln beziffern?
Aufgrund der Vielfalt der Themenfelder kann ich hierzu keine verlässlichen Angaben machen.
Wie gehen Sie mit Kritik von Angehörigen/Hinterbliebenen um, dass Verfahren mitunter so viel Zeit in Anspruch nehmen?
Natürlich sehen wir, dass Verfahren, die sich über einen langen Zeitraum hinziehen, insbesondere für die Beschuldigten, für die die Unschuldsvermutung gilt, als auch für Angehörige von Unfallopfern – sehr belastend sein können. Aber gerade sie haben auch ein Anrecht darauf, dass wir den Sachverhalt möglichst lückenlos aufklären.