Sahra Vafai erklärt, warum politisches Engagement von Frauen wichtig ist, welche Hürden es gibt und wie sie überwunden werden können.
NetzwerktreffenGleichstellungsbeauftragte aus Rhein-Erft im Interview: „Wir alle sind politisch“
Die Gleichstellungsbeauftragten des Rhein-Erft-Kreises laden für kommenden Mittwoch zu einem Netzwerktreffen mit dem Titel „Mehr Frauen in die Politik“ ein. Warum es wichtig ist, dass sich mehr Frauen politisch engagieren, welche Hürden es gibt und was sie sich von dem Treffen versprechen – darüber sprach Maria Machnik mit Sahra Vafai.
Sie ist Gleichstellungsbeauftragte in Kerpen und Bundessprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten.
Frau Vafai, was sind die größten Hürden, denen Frauen auf dem Weg in die Politik begegnen, und wie können Netzwerktreffen wie das bevorstehende in Erftstadt-Liblar helfen, diese zu überwinden?
Sahra Vafai: Männlich geprägte Strukturen und informelle Spielregeln hindern Frauen oft daran, an der Politik teilzuhaben. Bedarfe aus der Lebensrealität von Frauen finden selten bis keine Berücksichtigung. Oft sind Sitzungszeiten zu lang, es herrscht kein effektives Zeitmanagement, es gibt keine Kinderbetreuung zu Sitzungszeiten, keine Elternzeit für Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, keine umgesetzten Quotierungen für die Ausschüsse. Es ist wichtig, dass dies auch Männer erkennen und sich für Frauenrechte aktiv einsetzen, weshalb die Einladung ausdrücklich an Personen jeglichen Geschlechts, auch Männer mit einbezieht. Immer noch übernehmen hauptsächlich Frauen die Sorgearbeit und kümmern sich um Verwandte und Kinder, sie sind die Hauptansprechpersonen. Das gibt ihnen faktisch weniger Zeit, sich kommunalpolitisch zu engagieren.
Noch schwerer haben es Frauen, die intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sind, das heißt, welche zusätzlich noch wegen Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Sexualität, Behinderung und/oder der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit diskriminiert werden. Für Frauen spielen die persönliche Ansprache und das Vorhandensein eines Vorbilds eine deutliche größere Rolle als bei den Männern. Hier kann dieses Netzwerktreffen „Mehr Frauen in die Politik“ helfen, einen ersten Schritt zu gehen und Frauen Vernetzungsmöglichkeiten anzubieten, bei denen sie gehört und gesehen und wo ihre Anliegen ernst genommen werden. Durch den Austausch mit erfahrenen Politikerinnen erhalten Frauen direkte Vorbilder, die ihnen zeigen, dass Engagement auf hohen Ebenen auch für Frauen erreichbar ist.
Welche konkreten Schritte können Frauen unternehmen, die Interesse an einer politischen Laufbahn, aber noch keinen Zugang zu etablierten politischen Strukturen gefunden haben?
Auf kommunaler Ebene ist es tatsächlich relativ einfach, den Einstieg in die Politik zu finden. Ein erster Schritt könnte sein, sich an Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher zu wenden, die für den eigenen Wohnort zuständig sind, oder per E-Mail, Kontakt zu einer politischen Partei herzustellen – ganz ohne sich direkt festzulegen. Wichtig ist vor allem, zu wissen, dass jede die Möglichkeit hat, sich politisch einzubringen. Man benötigt weder eine spezielle Ausbildung noch ein Studium, um an demokratischen Prozessen teilzunehmen. Jede Form von Erfahrung und Expertise, sei es aus dem Beruf oder dem persönlichen Leben, kann wertvoll für politische Diskussionen und Entscheidungen sein. Oft bieten Parteien auf kommunaler Ebene ganz bewusst unkomplizierte Zugänge. Auf Festen und Veranstaltungen sind sie oft mit Infoständen vertreten, wo man leicht ins Gespräch kommen und sich über die Möglichkeiten des Engagements informieren kann. Auch öffentliche Sitzungen, zum Beispiel des Stadtrats oder von Ausschüssen und Beiräten, bieten eine gute Möglichkeit, Politik hautnah zu erleben.
Sind Frauen aktuell in der Politik im Kreis und auf höherer Ebene ausreichend repräsentiert?
Frauen sind bei Weitem nicht ausreichend repräsentiert. Den geringsten Frauenanteil hat die kommunale Ebene. In den kommunalen Parlamenten liegt er bei nur 27,7 Prozent. Von den 13.812 Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern 2020 in NRW waren lediglich 3813 Frauen. Je ländlicher die Region, desto männlicher die politische Repräsentation. Im Rhein-Erft-Kreis mit zehn Kommunen gibt es gerade einmal zwei Bürgermeisterinnen. Ein Paritätsgesetz wäre daher dringend notwendig und macht Veranstaltungen wie die unsere unabdingbar.
Warum ist es wichtig, dass sich Frauen politisch engagieren?
Antifeministische Tendenzen in der Gesellschaft durch den Rechtsruck machen es umso notwendiger, dass Frauen gleichermaßen an politischen Entscheidungen beteiligt werden, da die Rechte von Frauen umso mehr in Gefahr sind. Das Netzwerken ist ein sehr wichtiges Element, damit Frauen die Möglichkeiten bekommen, ihre Kommune aktiv in allen Bereichen mitzugestalten. Frauen müssen mitbestimmen können, wohin die Gelder gehen und sich für die Belange der Kommune aus ihrer Sicht einsetzen zu können. Die Kommunalpolitik ist Basis der Demokratie. Frauen müssen daher gleichermaßen vertreten sein. Die Gleichstellung aller Geschlechter ist die Grundlage einer gewaltfreien Gesellschaft. Die Ressourcen und die Kompetenzen von Frauen müssen in die gesamtgesellschaftliche Politik einfließen. Es werden zu wenig Themen aus Frauensicht gesetzt. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass positive Veränderungen der Lebenssituation von Frauen dann erst erreicht werden konnten, wenn sich die wenigen weiblichen Abgeordneten im Bundestag fraktionsübergreifend zusammenschlossen, um notwendige Reformen anzustoßen, beispielsweise bei der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (1992), bei der Beseitigung der Straffreiheit der Vergewaltigung in der Ehe (1997) oder bei der Einführung des Prinzips „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht (2016). Mit den begrenzten Ressourcen, die wir Gleichstellungsbeauftragte vor Ort in den Kommunen teilweise haben, ist es leider oft schwierig, alleine gegen den Frauenmangel in der Politik vorzugehen, daher haben wir uns zusammengeschlossen und hoffen, dass sich aus dieser ersten Netzwerk-Veranstaltung Wege und Möglichkeiten eröffnen, wie die Frauen vor Ort sich selber organisieren können. Viele Frauen zögern, sich in die Politik zu begeben, aus Angst vor dem rauen politischen Klima oder der Doppelbelastung von Beruf und Familie.
Welche Unterstützung und Strukturen müssen hier verbessert werden, um ihnen den Einstieg zu erleichtern?
Dass wir zurück zu einer Kultur des respektvollen Dialogs gelangen müssen, um insbesondere auch Frauen vor Anfeindungen zu schützen, steht außer Frage. Der größte Handlungsbedarf liegt jedoch bei der Vereinbarkeit von Politik und familiären Verpflichtungen. Flexible Sitzungszeiten, die auch tagsüber oder online/hybrid stattfinden, würden Frauen mit familiären Aufgaben den Zugang erleichtern. Auch die Bereitstellung von Kinderbetreuung während politischer Sitzungen oder gar Unterstützung für pflegende Angehörige könnten ein entscheidender Faktor sein, um den Spagat zwischen politischen Engagement und privaten Pflichten zu bewältigen. Darüber hinaus sind Mentoring-Programme und Netzwerke für Frauen in der Politik von großer Bedeutung. Sie bieten Unterstützung sowie Räume für Austausch und gegenseitige Stärkung. Gleichzeitig könnte eine bessere finanzielle Unterstützung für Mandatsträgerinnen, insbesondere auf kommunaler Ebene, eine größere zeitliche und wirtschaftliche Flexibilität ermöglichen, um Familie, Beruf und politisches Engagement besser zu vereinbaren.
Was erhoffen Sie sich von dem überparteilichen Netzwerktreffen im Rhein-Erft-Kreis kommenden Mittwoch?
Wir hoffen, dass Frauen gesehen und gehört werden. Es ist wichtig, ihnen zu zeigen, dass sie mit ihrem politischen Engagement oder dem Wunsch, sich politisch zu engagieren, nicht alleine sind. Wir zeigen herausragende Beispiele und bieten einfache Zugänge an, wie das Frauenforum Kerpen, den Gleichstellungsbeirat Pulheim oder den Frauenbeirat Erftstadt, an die sich Frauen wenden können, wenn sie sich politisch engagieren wollen und noch nicht wissen, wie sie das machen sollen. Wir alle sind politisch, die Frage ist nur, ob wir andere die Entscheidung treffen lassen oder selber Teil des demokratischen Prozesses sein wollen. Den Kampf für Gleichberechtigung allein zu führen, kann dabei sehr anstrengend und frustrierend sein. Aber wenn man erkennt: „Hey, ich bin nicht allein mit meinen Gedanken und Ideen, und es gibt andere, die ähnliche Hindernisse überwunden haben und ihre Lösungsstrategien mit mir teilen“, dann können wir voneinander lernen und gemeinsam stärker werden. So wird auch die Kommune durch die verschiedenen Sichtweisen bereichert, was letztlich dazu beiträgt, dass sich alle darin wohlfühlen. Ich bin mir sicher, dass durch dieses Netzwerktreffen viele gute Ideen entstehen können, wie es gelingen kann, mehr Frauen aktiv in die Politik zu bekommen.