In einem Bürogebäude in Frechen waren zahlreiche Scheinfirmen gemeldet.
SchleuseraffäreRhein-Erft-Kreis informierte Ermittler schon 2019 über zweifelhafte Anträge
Der dreistöckige Flachbau auf dem Grünstreifen zwischen der Kölner Straße und der Elisabethstraße in Frechen sieht etwas heruntergekommen aus. Schmuddelige Stoffdecken hängen an manchen Fenstern und erinnern eher an billige Monteurzimmer als an Sitze von angeblich gut florierenden Firmen. Am 18. April dieses Jahres beendeten die Bundespolizei, Vertreter der Staatsanwaltschaft und Zollbeamte das Treiben in einem Teil der Räume. Im Visier hatten die Fahnder das Objekt schon längere Zeit.
Von dort aus sollen maßgebliche Entscheidungen im Zusammenhang mit den Schleusungen von wohlhabenden Chinesen nach Deutschland getroffen worden sein. An der Adresse hatte nicht nur einer der Hauptverdächtigen seine Anwaltskanzlei, sondern haben auch mehrere chinesische Geschäftsführer einer Investment-Gruppe heute noch ihren Sitz. In der Frechener Anwaltskanzlei sollen über mehrere Jahre nahezu alle Fäden im Zusammenhang mit den Schleusungen von mehreren Hundert Chinesen zusammengelaufen sein.
Ausländerbehörden des Kreises und der Stadt Kerpen geben Akten heraus
An jenem 18. April werden bei der bundesweiten Razzia neben der Villa Sophienhöhe, einem Hotel in Kerpen-Niederbolheim, das der ehemalige Landrat Werner Stump vor Jahren erworben hatte, auch die Räume eines CDU-Politikers aus Hürth durchsucht. Die Ausländerbehörden beim Kreis und der Stadt Kerpen werden um die Herausgabe von Akten gebeten. Auch Objekte in Solingen und Düren werden nach Beweismitteln durchsucht. Mehrere Haftbefehle werden vollstreckt, nicht aber gegen den ehemaligen Landrat und den CDU-Politiker. Gegen beide besteht weiter nur ein Anfangsverdacht.
Unter anderem werden aus dem Rhein-Erft-Kreis der chinesische Geschäftsführer der Investmentgruppe und der Anwalt festgenommen. Nach etwa zwei Wochen setzt das Gericht die Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug, nicht zuletzt, weil der Anwalt gegenüber den Ermittlern wohl viele Angaben über die angeblichen Machenschaften gemacht haben soll. Das Werbeschild der Anwaltspraxis an der Elisabethstraße ist inzwischen mit billigem schwarzem Tape überklebt.
Die Ermittler werfen den Beschuldigten vor, Scheinfirmen gegründet zu haben, mit denen die überwiegend aus China stammenden Personen nach Deutschland gelotst wurden. Von den wohlhabenden Asiaten sollen sie bis zu 360.000 Euro kassiert haben. Im Gegenzug sollen die Beschuldigten den Chinesen zur Einreise und einem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland verholfen haben. Dabei, so die Staatsanwaltschaft, sollen sie gesetzliche Vorschriften umgangen haben.
Die Masche war relativ einfach: Über das Internet soll in China dafür geworben worden sein, ohne großen Aufwand einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu bekommen. In China gilt Deutschland als ein besonders attraktives Land. Im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit sei eine Übersiedlung möglich. Und das ohne großen Nachweis von Sprachkenntnissen und Qualifikationen.
Familien der Chinesen reisten nach
Die Chinesen zahlten auf ein Anderkonto der Kanzlei meistens sechsstellige Eurobeträge und erteilten dem Anwalt eine Generalvollmacht. Ein Business-Plan wurde erstellt, eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) gegründet und Arbeitsverträge auf die Namen der Chinesen ausgestellt sowie eine Wohnadresse angegeben. Mit den Unterlagen wurden Anträge auf Aufenthaltserlaubnisse bei Ausländerbehörden gestellt. Kurze Zeit später reisten die Familien der Chinesen nach Deutschland nach.
Insgesamt ist von etwa 300 Personen die Rede, darunter auch zahlreiche Kinder. Mindestens sechs OHGs hatten alleine ihren Sitz in dem Firmengebäude, in dem auch der Frechener Anwalt und die chinesische Investmentgruppe gemeldet sind, zwei weitere in Kerpen, darunter eine im Hotel des ehemaligen Landrats Stump, der selbst als Geschäftsführer agierte.
Im Jahr 2018 erste Anträge beim Rhein-Erft-Kreis gestellt
So wurden als Wohnanschriften unter anderem die Elisabethstraße in Frechen, also das Firmengebäude der zahlreichen gegründeten OHGs, der Investmentgruppe und der Kanzlei als auch ein Gebäude in der Europaallee angegeben, ebenfalls in Frechen, wo eine Tochterfirma für Im- und Export für Möbel der Investmentgruppe einst ihren Sitz hatte. In allen Fällen gab es eine Hürde zu überwinden. Die Menschen aus China brauchten für die Einreise Aufenthaltsgenehmigungen.
Und die gab es nur über die Ausländerämter. So wurden Anträge bei mehreren Behörden gestellt, vornehmlich im Kreis Düren, aber auch in Kerpen und beim Ausländeramt des Rhein-Erft-Kreises. Nach Angaben der Kreisverwaltung sind bei der Ausländerbehörde des Kreises im Jahr 2018 erste Anträge gestellt worden, denen bei nachträglicher Betrachtung Schleuseraktivitäten zugrunde gelegen haben könnten. „Erste Unregelmäßigkeiten sind uns dann 2019 aufgefallen“, sagt Kreissprecher Thomas Schweinsburg.
Bei Kontrollen an den Wohnsitzen niemanden angetroffen
Bei Kontrollen an den angeblichen Wohn- und Firmensitzen seien die Chinesen zumeist nicht angetroffen worden, und Einladungen, in der Behörde vorstellig zu werden, seien sie, bis auf eine Ausnahme, nicht gefolgt. „Es drängte sich der Verdacht auf, dass es sich um Scheinadressen handeln könnte.“ So geriet Ende 2019 die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigungen ins Stocken, und Anfang Dezember 2019 informierte die Ausländerbehörde die Bundespolizei über ihren Verdacht, dass es bei den Anträgen nicht mit rechten Dingen zugehen könnte.
Ebenfalls im Dezember 2019 ist es zu einem Treffen in der Kreisverwaltung gekommen, wie der Kreis bestätigt. Bei dem Gespräch sollen dem Vernehmen nach unter anderem der ehemalige Bürgermeister der Stadt Frechen, der seinerzeit die chinesische Investmentgruppe von Köln nach Frechen holte, ein CDU-Politiker aus Hürth, der zu diesem Zeitpunkt guten Kontakt zu dem Anwalt aus Frechen hatte, der Anwalt selbst und der chinesische Geschäftsführer teilgenommen haben.
Mutmaßlicher Schleuser äußerte Kritik an der Ausländerbehörde
Seitens des Frechener Rechtsanwaltes wurde Kritik an der Arbeitsweise der Ausländerbehörde geäußert, diese wurde von der Kreisverwaltung zurückgewiesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Ausländeramt mehr als 30 Aufenthaltstitel erteilt.
Das Gespräch änderte nichts an der Skepsis der Genehmigungsbehörde. „Der Anwalt wurde von uns aufgefordert, Nachweise zu liefern, dass die Aufenthaltsgenehmigungen rechtmäßig beantragt wurden“, sagt Schweinsburg. Diese Nachweise seien aber ausgeblieben, der Anwalt hat seine Aktivitäten offenbar in andere Ausländerbehörden verlegt. „Von diesem Zeitpunkt an sind bei uns keine Neuanträge mehr eingegangen.“
Mit der Bundespolizei habe der Kreis in den Ermittlungen ab 2019 eng zusammengearbeitet, wie Schriftwechsel und Aktenvermerke belegten, sagt Schweinsburg. „So sind bereits erteilte Aufenthaltsgenehmigungen in Zweifelsfällen verlängert worden – aber in regelmäßiger Absprache und auf Aufforderung der Bundespolizei, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.“