Längst sind die vier Nordkommunen nicht mehr von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt. Die positiven Signale kommen offenbar nicht an.
Kommentar zur EuropawahlDarum ist die AfD im Norden von Rhein-Erft stark
Auch wenn es nach den meisten Wahlen nur Gewinner gibt, weil sich auch diejenigen Parteien, die Stimmen eingebüßt haben, die Fähigkeit besitzen, Zahlen anders zu interpretieren – so hatte doch diese Europawahl im Rhein-Erft-Kreis einen unbestrittenen Gewinner: die Demokratie. Immerhin gaben mehr Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme ab als 2019: 65,4 Prozent. Bei der letzten Europawahl waren es nur 63,8 Prozent gewesen.
Aber ist diese Betrachtungsweise nicht schon entlarvend? Womit geben wir uns da zufrieden, wenn wir eine Wahlbeteiligung als Erfolg feiern, obwohl jeder Dritte zu Hause geblieben ist? Der Hinweis, dass es doch nur um Europa ging, zieht da nicht. Was die Gründungsväter und -mütter den Menschen in diesem Land als Geschenk gemacht haben – freie und geheime Wahlen – ist leider zu einer Selbstverständlichkeit verkommen, wird nahezu beiläufig wahrgenommen.
Deutliches Nord-Süd-Gefälle im Rhein-Erft-Kreis zu beobachten
Daher hat es sich auch im Rhein-Erft-Kreis am Sonntag wie so oft bewahrheitet, dass die extremen Ränder gestärkt werden, wenn die Wahlbeteiligung trotz der Steigerung schwach ist. So kamen die AfD und das BSW auf knapp 18 Prozent der Stimmen, wobei die Wagenknecht-Partei aus dem Stand heraus 4,5 Prozent holte – mit einem Programm, das Sahra Wagenknecht hieß. Diese beiden Parteien erhielten gemeinsam mehr Stimmen als SPD und Grüne jeweils alleine.
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Anders als im Bund wurde die AfD zwischen Wesseling und Elsdorf allerdings nicht zweitstärkste Kraft hinter der CDU, sondern erhielt nur die viertmeisten Wählerstimmen. SPD und Grüne schafften es im Laufe des Wahlabends noch, sich an den Rechtspopulisten vorbeizuschieben. Was nicht zuletzt daran lag, dass die Stimmen im Nordkreis schneller ausgezählt worden waren als im südlichen Teil der Region.
Das führt schließlich auch zu einem deutlichen Gefälle zwischen Nord und Süd. Die AfD verzeichnete ihre besten Ergebnisse in Elsdorf als zweite Kraft, in Bergheim, Bedburg und Kerpen; nur in Wesseling konnte sie in vergleichbarem Rahmen punkten. Das ist insofern erstaunlich, weil früher bekannte Sorgen, dass die Städte am Rande des Braunkohle-Tagebaus von der wirtschaftlichen Entwicklung der Städte im Speckgürtel um Köln herum abgeschnitten werden, längst nicht mehr berechtigt sind.
Wer in Elsdorf, Bergheim, Bedburg oder Kerpen eine Immobilie kaufen will, muss annähernd genauso viel auf den Tisch legen wie in anderen Städten des Kreises, bisweilen auch mehr. Wirtschaftlich ist durch die geplante Ansiedlung von Microsoft in Bedburg und Bergheim ein Signal ausgesendet worden, das bundesweit ein Echo gefunden hat.
An der CDU ist die Schleuser-Affäre spurlos vorübergegangen
Möglicherweise ist es aber über die Menschen vor Ort hinweggegangen, und sie glauben den Coup erst dann, wenn die Rechenzentren stehen und sich weitere Firmen im nahen Umkreis ansiedeln. Die Wählerinnen und Wähler doch schon bis zur Kommunal-, Kreistags- und Bundestagswahl im Herbst 2025 zu überzeugen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Volksparteien.
Die größte von ihnen, die CDU, dürfte nach der Auszählung aller Stimmen erleichtert durchgeatmet haben. Dass gegen frühere und aktuelle Funktionsträger ihrer Partei in der Affäre um die Aufenthaltsgenehmigungen reicher Geschäftsleute vor allem aus Asien ermittelt wird, hat ihr offenbar nicht geschadet. Sie legte gegenüber 2019 vier Prozentpunkte zu und distanzierte die Mitbewerber deutlich. Angesichts dieses Abschneidens dürfte es der CDU deutlich leichter als anderen Parteien fallen, ihre Mitglieder auf 2025 einzustimmen.
Denn nicht erst seit gestern tut sich die SPD schwer, geeignetes Personal zu finden. Wer mag schon gerne als Bürgermeister oder Landrat kandidieren, wenn doch die Aussichten auf einen Wahlerfolg eher bescheiden sind. Das mag für die amtierenden Bürgermeister Sascha Solbach (Bedburg) und Dieter Freytag (Brühl) nicht zutreffen, aber jedes neue Gesicht wird es vermutlich schwer haben. Aber noch bleiben 15 Monate Zeit, um mit Programmen und Personal Wähler zu gewinnen – oder zurückzuholen.