Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Das hat Bertolt Brecht gesagt. Und so geschieht es in Kerpen, beobachtet Jörn Tüffers.
Hier Politik, dort SportWenn Bürger und Sportler in Kerpen sich übermächtiger Gegner erwehren

Mehrere 100 Besucher kamen zu den beiden Informationsveranstaltungen zur Grundsteuer in der Kerpener Jahnhalle.
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Wenn so viele Menschen aus Kerpen an einem Fleck zusammenkommen, muss der Anlass schon ein besonderer sein. Beispielsweise im November vergangenen Jahres: Da machten sich 1300 Kerpener, pardon: Horremer, über die A 4 auf den Weg nach Aachen. Sie unterstützten ihren Horremer SV im Verbandspokal beim Spiel gegen die gastgebende Alemannia auf dem legendären Tivoli.
Unterschiedlicher konnte die Ausgangslage vor wenigen Monaten kaum sein: Dort der Drittligist, der zu noch besseren Zeiten mal Bundesligaluft schnuppern durfte; hier der Underdog, der vier Klassen tiefer in der Bezirksliga beheimatet ist.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren
Ein aussichtsloses Unterfangen? So schien es. Auch wenn sich Horrem nach 90 Minuten mit 1:2 geschlagen geben musste, so hatten die Spieler aus der Kolpingstadt dem haushohen Favoriten doch einen leidenschaftlichen und aufopferungsvollen Kampf geliefert. Und konnten hoch erhobenen Hauptes die kurze Rückreise aus der Kaiserstadt nach Horrem antreten – als ungekrönte, aber stolze Könige.
Ganz getreu dem Motto: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Oder auch: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Das erste ist von meiner Oma, das zweite von Bertolt Brecht. Was die Frage aufwirft, warum Brecht Bücher geschrieben hat, aber meine Oma – so viel ich weiß – nicht. Aber das würde jetzt zu weit führen.

Der Horremer SV spielte auf dem Tivoli.
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Schauen wir lieber auf aktuelle Geschehnisse in der mit 70.000 Einwohnern größten Stadt des Rhein-Erft-Kreises: Da wehren sich Bürgerinnen und Bürger dagegen, dass die Stadt ihnen in den Geldbeutel langt. Grundsteuer B ist das Schreckgespenst, das seit Wochen durch Kerpen, die übrigen Städte des Kreises sowie durchs gesamte Land spukt. Sie betrifft alle: Hauseigentümer, die mehr Steuern für ihr Haus und Grund bezahlen müssen, anschließend Mieter, auf deren Nebenkosten die meisten Vermieter ihre höheren Kosten umlegen werden.
Die Ursache liegt beim Bundesverfassungsgericht. Daraufhin hatte NRW den Kommunen zur Aufgabe gemacht, diese Steuer neu zu berechnen.Die vorherige war alt und bildete nicht mehr den tatsächlichen Wert mancher Immobilie ab – mehr Steuergerechtigkeit sollte die Folge sein.
In Kerpen und andernorts ist das anders bei den Bürgern angekommen. Da fällt der Anstieg im Steuerbescheid deutlich saftiger aus als 2024. Aber nicht nur das bringt viele Menschen auf die Palme. Vor allem der Umstand, dass die Stadt ihnen in den kommenden Jahren mithilfe einer politischen Mehrheit mit der CDU an der Spitze weitere, noch drastischere Erhöhungen abverlangen will, sorgt für Unverständnis, Fassungslosigkeit und Wut.
Das zeigte sich auch in dieser Woche wieder: Zu einer zweiten Informationsveranstaltung über die Steuererhöhungen kamen wie schon in der Woche zuvor mehrere Hundert Menschen in die Jahnhalle. Sie und Tausende andere, die in den vergangenen Wochen Einspruch gegen ihre Steuerbescheide eingelegt haben, zeigen: Sie nehmen nicht alles, was die von ihnen gewählten Volksvertreter entscheiden, klaglos hin.

2024 waren mehr als 2000 Menschen in Kerpen zur Demonstration gekommen.
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Vermutlich haben sie auch eine kluge Oma, oder sie haben Brecht gelesen. Apropos Oma: Schon am vergangenen Wochenende gingen vielerorts Menschen gegen Rechtsextreme auf die Straße, darunter „Omas gegen Rechts“. Sie werden vermutlich auch heute und morgen in Kerpen, Frechen und Erftstadt wieder dabei sein, wenn Bürgerinnen und Bürger deutlich machen wollen, dass sie bereit sind, die Werte der Demokratie und der Freiheit zu verteidigen.
Meiner Oma und Bert Brecht hätte das gefallen. Sie haben zwölf Jahre schmerzvoll erlebt, wie ihre Werte mit Stiefeln getreten worden sind.