Im Jahr 2018 kämpften tausende Aktivisten und Aktivistinnen für den Hambacher Forst – nun sind nur noch vereinzelte Spuren übrig.
„Hippie-Nostalgie“Im Hambacher Forst ist es still geworden
Wie aus einem Werbefilm für eine Wanderregion wirkt dieser Wald auf den ersten Blick. Vögel zwitschern, Insekten summen. Irgendwo in den Baumwipfeln trommelt ein Specht auf Holz. Dann dreht der Wind und holt mich in die Realität zurück.
Das metallische Rauschen der riesigen Schaufelradbagger aus dem Tagebau Hambach pfeift durch die Blätter – und erinnert mich an den September 2018. Damals hallten Polizeidurchsagen durch den Wald, die Motorengeräusche schwerer Baumaschinen. Überall waren schreiende Menschen, Beleidigungen, Vorwürfe.
Hambacher Forst: vor fünf Jahren ließ NRW den Wald räumen
2018 ließ das Land Nordrhein-Westfalen den Hambacher Forst räumen. Tausende Polizisten und Demonstranten standen sich gegenüber. Davon sind heute nur noch Spuren im Wald zu finden. Zum Beispiel alte Barrikaden aus Autoreifen und Stacheldraht, die von Pflanzen zugewuchert sind. Bäume, auf die jemand das anarchistische „A“ gesprüht hat.
Mehr als 70 Baumhäuser hat die Polizei 2018 geräumt. Wie viele es gab – das ist für mich schwer zu schätzen. Auch deshalb, weil die Waldbewohner ständig neue gebaut haben.
Hippie-Nostalgie verziert mit Fantasien vom Systemumsturz
Heute habe ich fünf gezählt. Alle schienen leer zu sein. Weil der Wald langsam verwildert, wirken sie fast schon grotesk: ein bisschen Hippie-Nostalgie, verziert mit Fantasien vom Systemumsturz. An einem Haus hängt die Flagge einer mexikanischen Bauernmiliz über dem braunen „Rheinisches Revier“-Schild, das mal an der Autobahn stand. Überall sind Sprüche wie „Kill Machos“ zu sehen. An einem anderen Baumhaus hängt ein Banner mit zwei Cartoonfiguren – der Kater Tom jagt die Maus Jerry.
Ein paar der Namen der seit fünf Jahren geräumten Baumhausdörfer habe ich noch im Kopf. Beechtown, Lorien, Kleingartenverein. Die Orte zu finden, an denen sie standen, ist aber nicht leicht. Da, wo früher Trampelpfade und lichtes Unterholz waren, wachsen heute Brennnesseln und Brombeeren. Gleichzeitig haben sie die rot-weißen Absperrbänder ersetzt, die Polizeikontrollen. Ohne Presseausweis ging es früher an vielen Stellen im Wald nicht weiter. Wer es dennoch versucht hat, dem war schnell die Reiterstaffel der Polizei auf den Fersen.
Tausende Aktivisten saßen teils im strömenden Regen auf der Erde
Ein Vermummter fährt an mir mit dem Fahrrad vorbei. Wortlos. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpullover, eine schwarze Hose und ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht. Es ist so warm, dass mir die Sonne Schweißperlen auf die Stirn treibt. 2018 stand ich im strömenden Regen. Regen, der Tausenden nichts ausmachte.
Manche saßen in ihren bunten Regenjacken stundenlang auf dem Boden und aßen kalte Nudeln aus Tupperdosen. Direkt neben Pfützen. Auch die Vermummten gab es damals im Hambacher Forst. Aber ihre Zahl war im Vergleich zu denen, die friedlich gegen die Räumung protestierten, verschwindend gering. Das änderte nichts an dem Ärger, den sie den Polizisten gemacht haben.
Gegenseitige Schuldzuweisungen, fliegende Steine und offene Gespräche
Ab und zu flogen Steine. Einige haben sich mit Händen und Füßen gewehrt, wenn Polizisten in Schutzkleidung auf Hebebühnen ihren Baumhäusern zu nahe kamen. Gegenseitige Schuldzuweisungen gab es viele. Eine Demonstrantin sagte mir damals, die Polizei habe sie und ihre Freunde mit Faustschlägen auseinandergetrieben. Ich habe aber auch andere Szenen erlebt. Polizisten etwa, die mit Dreadlock-Trägern über den Klimawandel sprachen.
Den Wald verlasse ich über den stillgelegten Zweig der L 276. Hier war 2018 sowas wie eine Polizeizentrale, alles voller Mannschaftsbusse aus der ganzen Republik. Jetzt liegt hier ein bisschen Müll mitten auf der Straße – verrostetes Metall, Schutt und ein verkohlter Baumstamm. Und nur wenige Hundert Meter weiter rauschen wieder die Schaufelradbagger.