Die Eltern des jungen Bloggers, der 2018 im Hambacher Forst ums Leben gekommen ist, fahren zur Berufungsverhandlung um die Räumung des Waldes.
Verfahren reißt alte Wunden aufIhr Sohn starb im Hambacher Forst – Der Verlust bleibt für immer
Elisabeth Meyn hat einen ihrer besseren Tage. Heute schafft sie es, gefasst über ihren Sohn Steffen zu sprechen. Aber manchmal, da weine sie tagelang durch, sagt sie. „Dann fühlt es sich so an, als wäre der 19. September 2018. So, als wäre er gerade erst gestorben.“
Im Moment ist es etwas schwerer für die 73-Jährige. Das Berufungsverfahren um die Räumung des Hambacher Forstes vor dem Oberverwaltungsgericht Münster reißt gerade wieder alte Wunden auf. Denn das Verfahren erinnere sie nur daran, wie sinnlos Steffens Tod im Hambacher Forst war.
Fünf Jahre ist es her, dass Steffen Meyn von einer Hängebrücke in der Baumhaussiedlung Beechtown stürzte. 20 Meter tief. Jede Hilfe für den 27-Jährigen kam zu spät. Er starb auf dem Waldboden. Sie wisse noch genau, wie sie sich gefühlt habe, sagt Elisabeth Meyn. Denn das Gefühl habe seitdem nicht aufgehört. „Mein eigenes Kind ist vor mir gegangen – das ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann“, sagt sie. „Ich weiß oft nicht, wie ich das aushalten soll.“
Dabei ist die 73-Jährige keine schwache Persönlichkeit. Elisabeth Meyn ist eine Kämpfernatur. Viele Steine habe man ihr in den Weg gelegt, sagt sie. Für die Art, wie Landespolitik und Polizei mit ihr umgegangen sind, fällt ihr nur ein Wort ein: demütigend. „Wir haben von offizieller Seite erst sehr spät erfahren, was mit Steffen passiert ist. Er hat Freunde in Chile, am anderen Ende der Welt. Die wussten es vor uns in Langenfeld.“ Eine Freundin von Steffen habe es dann ihr und ihrem Mann Horst gesagt. Die Polizisten standen erst viel später vor ihrer Tür. Meyn kennt noch die genaue Uhrzeit. 23.13 Uhr war es.
Danach begann für die gläubige Christin aber erst das eigentliche Martyrium. Der Staat habe den Körper ihres Sohnes gegen ihren Willen obduzieren lassen, sagt Meyn. „Die Notwendigkeit bestand doch gar nicht. Wir haben niemandem die Schuld für Steffens Tod gegeben.“ Als Christin sei ihr die Totenruhe wichtig. „Ich habe zwei Nahtoderfahrungen gehabt und glaube an eine Seele.“ Meyn ist der Ansicht: Selbst nach Steffens Tod habe der Hambacher Forst seiner Seele keine Ruhe gegönnt.
Doch nachtragend wolle sie nicht sein. „Klar war ich lange wütend, weil alles so ungerecht war. Aber Steffen hätte niemanden verurteilt“, erläutert Meyn. „In dieser Hinsicht war er mein Lehrmeister. Sein Herz war erfüllt von bedingungsloser Liebe.“ Er habe sich vegan ernährt, weil er nicht wollte, dass ein Lebewesen seinetwegen leide. Als sie darüber spricht, kommen ihr die Tränen – allerdings nicht, weil sie traurig ist. Meyn ist gerührt.
Düster sind hingegen die Gedanken, die sie mit der Räumung verbindet und die jetzt wieder aufgewühlt werden. Die Langenfelderin hat Bilder von einer „Kriegsmaschinerie“ im Kopf. „Panzer, Sondereinsatzkommandos und Tausende Polizisten waren da. Selbst in der tiefsten Nacht haben sie die Baumhäuser mit Licht und Lärm bestrahlt. Ich war entsetzt. Wir wussten damals gar nicht, auf was sich Steffen da eingelassen hat.“
Meyn hofft, unter alles bald einen Schlussstrich setzen zu können. Doch das Berufungsverfahren werde ihr dabei nicht helfen – ganz egal wie es ausgehe. „Das ist keine Genugtuung für mich. Genugtuung ist, wenn das Vermächtnis von Steffen nicht verloren geht“, sagt sie. Die Dokumentation, die er 2018 im Hambacher Forst gedreht hat, hat mittlerweile mehrere Preise gewonnen.
Meyn hat sich fest vorgenommen, am Freitag (16. Juni) mit ihrem Mann zur Verhandlung nach Münster zu fahren. Zwei Stunden Fahrt sind das für die 73-Jährige und ihren 15 Jahre älteren Mann. Der Verlust bleibe zwar. Aber vielleicht gebe es in Münster Gerechtigkeit.