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„Eindeutig unangebracht“Kerpens Bürgermeister zu Anspielung eines AfD-Politikers auf Hitler-Gruß

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Foto ist das Kerpener Rathaus zu sehen.

Das Kerpener Rathaus.

Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) überging den Zwischenfall in der Sitzung, etliche Stadtverordnete lachten, alle schwiegen – Debatte in den sozialen Medien.

Die Ratssitzung am Dienstagabend in Kerpen schlägt hohe Wellen. Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) hatte das AfD-Ratsmitglied Sascha Hümmer aufgefordert, seine Hand zwecks Wortmeldung etwas höher zu heben. Worauf Hümmer entgegnete, dass er mit dem rechten Arm etwas aufpassen müsse. Gestern nahm Spürck dazu Stellung.

„Diese Äußerung ist eindeutig unangebracht und zukünftig zu unterlassen – gerade, was auch den Rahmen einer öffentlichen Ratssitzung betrifft“, sagte Bürgermeister Dieter Spürck. Dies habe er Sascha Hümmer bereits in einem Telefonat mitgeteilt. Allerdings reiche die Äußerung rechtlich nicht aus, um nach Geschäftsordnung Sanktionsmöglichkeiten anzuwenden. Insbesondere wäre ein Ordnungsruf nicht verhältnismäßig gewesen, wie Spürck mitteilte.

Das Foto zeigt Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck.

Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck (CDU).

So setze der Ordnungsruf unter anderem voraus, dass er dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip genüge. Das wäre laut dem Bürgermeister nicht der Fall gewesen: Die Sitzungsordnung sei nicht gefährdet gewesen. „Das haben auch die Reaktionen der anderen Sitzungsteilnehmer während der Sitzung gezeigt.“ Für einen Ausschluss aus der Sitzung oder einen Entzug der Sitzungsentschädigung hätte es ebenfalls keine rechtliche Grundlage gegeben.

Anspielung auf Hitler-Gruß: Spürck wollte keine weitere Bühne bieten

„Im Übrigen habe ich auch aus politischen Gründen in der Sitzung entschieden, der Thematik keine weitere Bühne zu bieten“, sagt Spürck. Insoweit sei die Kritik der Grünen an der Sitzungsleitung nicht nachvollziehbar. Unmittelbar nach der Sitzung hatten sich mehrere Politiker in den sozialen Netzwerken zu Wort gemeldet.

„Fassungslos und wütend“ habe es ihn gemacht, schreibt der Kerpener SPD-Politiker Dino Fuchs in einem Post in Facebook, dass der Bürgermeister den AfD-Mann für „dieses geschmacklose Wortspiel“ nicht gerügt habe, und dass es „auch noch von einem deutlichen Teil des Kerpener Stadtrats mit deutlichem Lachen quittiert“ worden sei.

Spürck hätte Hümmer „rausschmeißen müssen“. Er hätte es niemals für möglich gehalten, dass ein solcher Vorgang in einer Partnerstadt von Auschwitz möglich sein könne, schreibt der Kreistagsabgeordnete an einer anderen Stelle.

AfD lehnt Kauf von Wohncontainern für Geflüchtete in Kerpen ab

Zustimmung erfährt der Kreistagsabgeordnete unter anderem von der SPD. Der Fraktionsvorsitzende Andreas Lipp hält es für unangebracht und verharmlosend, Hümmers unverhohlene Anspielung auf den Hitler-Gruß als Scherz abzutun. Wes Geistes Kind Hümmer sei, habe sich an seiner Ablehnung des Kaufs von Wohncontainern im Wert von fünf Millionen Euro für die Unterbringung für Geflüchtete gezeigt.

Das erst im Nachgang zur Ratssitzung geäußerte Argument der AfD gegen die Anschaffung von Wohncontainern hält SPD-Ratsmitglied Daniel Dobbelstein im Gespräch mit dieser Redaktion für vorgeschoben. Hümmer hatte auf Facebook vorgeschlagen, Unterkünfte in fester Bauweise zu errichten, wie dies auch andernorts der Fall sei.

Der AfD-Mann wisse nur zu genau, so Dobbelstein, dass dies deutlich mehr Zeit erfordere, als Container aufzustellen, allein schon wegen langwieriger Baugenehmigungen. Was Hümmer bezwecke, liege daher auf der Hand: Die Alternative zur Unterbringung in Containern sei die Belegung von Hallen, und dies zu Lasten von Schulen, Sport- und Karnevalsvereinen. Dass dies den Bürgern nicht gefalle, sei nachvollziehbar. „Da kann man sich mal genau überlegen, warum die AfD genau das will.“

„Geschmacklos“: Kerpener Grüne verurteilen Bemerkung

Dobbelstein glaubt zudem, dass Hümmers Entgleisung im Nachhinein keine Konsequenzen nach sich ziehen wird: „Ein Nazi sagt, dass er ein Nazi ist. Das überrascht mich nicht. Und wenn ein Nazi Witzchen darüber macht, dass er aufpassen muss, verbotene Nazi-Gesten zu machen, dann kann er auch das gerne machen.“

Die Bemerkung des Stadtverordneten Hümmer wird als geschmacklos aufs Schärfste verurteilt
Bernd Krings

Die Grünen im Kerpener Stadtrat dagegen hätten sich eine Reaktion noch während der Sitzung von Bürgermeister Spürck gewünscht. „Die Bemerkung des Stadtverordneten Hümmer wird als geschmacklos aufs Schärfste verurteilt“, sagt Fraktionsmitglied Bernd Krings.

Linken-Politiker Georg Riemann, der einer der Moderatoren der Facebook-Gruppe „Bürgernahe Politik in Kerpen“ ist, schreibt, er finde nicht nur diesen Vorfall beschämend, „sondern die gesamte Distanzlosigkeit, die so manche Parteien in Kerpen gerade in Bezug zur AfD an den Tag legen“.

Hümmer (AfD): Aussage war als „selbstironischer Scherz“ gemeint

Es gibt aber auch andere Kommentare, unter anderem von Alessa Flohe (Piraten): Sie habe „das Gelache auch befremdlich“ empfunden, „auch wenn ich den Reflex in gewisser Weise nachvollziehen kann“. Grünen-Mitglied Roger Peltzer warnt davor, den Zwischenfall größer zu machen als er ist: „Wenn man da jetzt eine Welle daraus macht, dann sorgt man doch dafür, dass die AfD unter Normalbürgern noch mehr Sympathien erhält.“

Das Foto zeigt Alessa Flohe von den Piraten.

Alessa Flohe von den Piraten.

David Held nimmt Spürck in Schutz. Der habe alles richtig gemacht, äußert sich der Vorsitzende der Fraktion Bürger Bündnis Kerpen (BBK). Mit Unverständnis reagiert Held auf die Kritik der SPD, die in der Sitzung nicht die Möglichkeit genutzt habe, Spürck bezüglich seiner Sitzungsleitung zu rügen. „Es gab nichts von der SPD“, sagt Held. Die SPD habe neun Stunden und die Hilfe von Funktionären aus der Kreistagsfraktion gebraucht, um ein „Problem“ zu erkennen.

Und was sagt Sascha Hümmer selbst auf Nachfrage? „Die Aussage war als das gemeint, was sie in meinen Augen auch war, als selbstironischer Scherz.“ Er habe keine Unruhe stiften wollen, und die Aussage haben niemanden verletzen oder angreifen sollen. Der Fraktionsvorsitzende nimmt auch an, dass Spürck die Situation korrekt eingeordnet hat. Zudem habe er Lachen aus allen Richtungen gehört.