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Interview mit Jusos Rhein-Erft„Wir müssen andauernd Kompromisse schließen“

Lesezeit 9 Minuten

Vier Vorstandsmitglieder der Jusos waren zu Besuch in der Brühler Redaktion.

  1. Unsere Redakteure haben ein Interview mit den Jusos aus dem Kreis zum Thema schlechte SPD-Europawahlergebnisse und zum Rücktritt von Andrea Nahles geführt.
  2. Vier Vorstandmitglieder stehen uns Rede und Antwort, wie sie die Situation bewerten und was ein möglicher Weg aus der Krise wäre.

Brühl – Nach der Europawahl gilt die SPD mit 15,8 Prozent der Stimmen bundesweit als die große Verliererin. Der Rücktritt von Andrea Nahles als Vorsitzende der SPD und der Bundestagsfraktion macht die Situation der Partei noch schwieriger. Wir haben mit den Jungsozialisten (Jusos) über die Fehler der Partei und einen möglichen Weg aus der Krise gesprochen.

Schlechte Umfrageergebnisse, schlechte Wahlergebnisse, macht es noch Spaß, Juso zu sein?

Raphael Wronka: Das auf jeden Fall. Wir versuchen, die Partei wieder hochzukriegen, auch wenn es dann manchmal noch Widerstände von den Alten gibt, aber es ist ein Kampf, den wir gerne führen. Wir sind da ehrgeizig und die Arbeit macht uns wirklich Spaß.

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Was sind das für Kämpfe, die Sie mit den Älteren ausfechten müssen?

Raphael Wronka: Diskussionen um progressivere Positionen oder wenn es um Digitalisierung geht, das kennt man ja auch. Da sagen die Älteren manchmal, brauchen wir nicht, hatten wir nie, also brauchen wir das jetzt in Zukunft auch nicht aber da kämpfen wir auch für. Genauso wie für linkere Positionen. Das ist ja das Steckenpferd der Jusos. Und da hat die SPD ja offensichtlich schon länger ein Defizit und auf der Seite kämpfen wir auch auf kommunaler bis zur Bundesebene.

Die Jusos im Rhein-Erft-kreis

Rund 300 Mitglieder zählt die Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten in der SPD, kurz Jusos, im Kreis. Der Vorstand besteht aus zehn Mitgliedern, von denen fünf geschäftsführend sind. Raphael Wronka (19) aus Erftstadt ist seit Ende März der Vorsitzende der Jugendorganisation. Sein Stellvertreter Roman Alexander Haenßgen ist 23 Jahre alt und kommt aus Hürth. Viktoria Wagner (17) aus Erftstadt und Tobias Knoedgen (23) aus Elsdorf sind Beisitzer im Vorstand. (smh)

Werden denn Ihre Vorschläge gehört und auch umgesetzt?

Raphael Wronka: Teilweise schon ja.

Was ist so eine Position, die Sie vertreten haben?

Raphael Wronka: Zum Beispiel ganz brisant jetzt im letzten Jahr war das Abtreibungsrecht. Da haben wir auf dem Bundeskongress beschlossen, dass die Paragrafen 2018/2019 im Strafgesetzbuch komplett gestrichen werden sollen nach der Debatte. Das war aber leider in der Großen Koalition mit der Union nicht machbar, sodass dann eben dieser sehr schlechte Kompromiss war. Aber ich glaube, hätten wir die Möglichkeit gehabt, hätten wir das in der SPD so durchgesetzt.

Die Jusos setzten sich ja gegen die GroKo ein. Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Anteil der Großen Koalition am Zustand der Partei und den schlechten Ergebnissen?

Tobias Knoedgen: Ich finde, dass ist ein sehr großer Anteil. Bei mir im Ortsverein war es auch sehr strittig bei der Mitgliederbefragung damals, wer für die GroKo gestimmt hat und wer dagegen. Da hatten wir auch so ein paar Diskussionen.

Sind Sie sich denn da bei den Jusos komplett einig?

Raphael Wronka: Weitestgehend, ich glaube zu 95 Prozent auf jeden Fall. Es gibt immer einzelne, die dafür sind, aber wir sind auf jeden Fall mehrheitlich immer noch dagegen und ich glaube, da wird jetzt zum nächsten Bundesparteitag eine große Kampagne gefahren.

Im Moment ist ja niemand an der Spitze der Partei. Da kam der Vorschlag der SPD Rhein-Erft, eine Mitgliederbefragung zu machen, um eine neue Vorsitzende oder einen neuen Vorsitzenden zu finden. Was halten Sie davon?

Tobias Knoedgen: Mitgliederbefragungen finde ich immer gut, weil dann ist das nicht die Meinung von den einzelnen, sondern von allen. Dann kann man die Entscheidung, die rauskommt, besser tragen. Wer mitgestimmt hat, darf mitdiskutieren und sich gegebenenfalls auch beschweren.

Raphael Wronka: Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir mehr als nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin hätten. Ich glaube, mit einer Mitgliederbefragung hätten auch einige Genossinnen den Mut aufzustehen und zu sagen, ich trete jetzt an, weil sie da eher die Chance sehen, gegen einen Vorstandsvorschlag anzutreten. Auf dem Bundesparteitag ist das glaube ich eher so, dass da dann auf den Vorschlag gehört wird. Das hat man bei der letzten Wahl gesehen, als Andrea Nahles gewählt wurde, die Gegenkandidatin hat halt verloren. Deswegen fände ich das wirklich gut, dass wir dann auch auswählen können zwischen einem pro oder kontra GroKo, einem linkeren oder eher einem progressiveren Kandidaten, und wenn dann alle Genossen die Entscheidung treffen können, würde auch mal Ruhe einkehren. Wir haben es ja jetzt auch bei der GroKo-Sache gesehen, da haben alle abgestimmt, und danach war erstmal ein halbes Jahr Ruhe bis die ersten Landtagswahlen kamen und mit der Europawahl war klar, dass das dann explodiert.

Also finden Sie Andrea Nahles’ Rücktritt richtig?

Tobias Knoedgen: Einerseits ja, andererseits nein. Anfangs war das richtig gut, dass eine Frau an der Parteispitze war und die Ansätze waren auch nicht schlecht. Sie hat immer von Erneuerungen gesprochen und jetzt ist die Erneuerung, weil sie gegangen ist.

Viktoria Wagner: Ich finde auch, dass sie die richtige Konsequenz aus den schlechten Wahlergebnissen gezogen hat, auch wenn die Art und Weise, wie in der letzten Woche nach der Europawahl miteinander umgegangen wurde, sicherlich nicht so war, wie wir uns das gewünscht hätten. Aber dennoch ist es ein richtiger Schritt, jetzt hoffentlich auch durch eine Mitgliederbefragung einen Neustart zu versuchen.

Mit wem könnte so ein Neustart gelingen? Kevin Kühnert?

Raphael Wronka: Ich bin schon ziemlich glücklich, dass wir den als Juso-Vorsitzenden haben und würde den auch ungerne verlieren jetzt.

Gibt es andere Favoriten?

Raphael Wronka: Ich persönlich muss sagen, dass ich das kommissarische Trio aus Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze ziemlich gut finde. Ansonsten steht dann hoffentlich jemand aus der Basis auf und sagt „ich mache das“ und ist dann auch überzeugend links-progressiv und jung.

Muss es denn einer sein? Was ist mit dem Modell Doppelspitze?

Raphael Wronka: Vom Modell Doppelspitze halte ich auch viel von, aber es muss wirklich ein Dream-Team sein. Ein Duo, das wirklich funktioniert und gut miteinander auskommt.

Also warten Sie auf einen roten Habeck?

Raphael Wronka: Das ist schwierig, ich möchte da jetzt keine grünen Personalien kopieren. Da haben wir auch noch eigene Portfolios, die wir nutzen können.

Roman Alexander Haenßgen: Das wäre ja dann auch keine Doppelspitze.

Raphael Wronka: Naja, er ist ja quasi die Doppelspitze.

Aber es geht nur raus aus dem Tief in Richtung links-progressiv?

Raphael Wronka: Also das ist die Meinung der Jusos und das vertrete ich persönlich auch.

Tobias Knoedgen: Auf jeden Fall.

Wieso fanden Sie den Umgang mit Andrea Nahles nicht gut?

Rapahel Wronka: Er war beschämend. Es kam von oben wie von unten: Ist doch klar, dass das nicht geklappt hat, die hätte es von Anfang an nicht machen können. Das ging dann eine Woche so weiter, und als dann am Sonntag der überraschende Rücktritt kam, da ist es ja komplett eskaliert, als dann auch SPD-Leute öffentlich geteilt haben: endlich ist sie weg. So kann man nicht mit der Vorsitzenden umgehen, sie ist brennende Sozialdemokratin, das kann ja keiner abstreiten. Das es jetzt so geendet ist, das ist konsequent und schade, aber da muss man jetzt nach vorne schauen.

Roman Alexander Haenßgen: Sie ist ja zurückgetreten, weil sie gesehen hat, dass sie keine Chance hat. Und jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß, da muss im Hintergrund ein Kandidat gewesen sein, gegen den sie verloren hätte. Nur das Schlimme ist, dass diese Person nicht nach vorne getreten ist. Wir haben ja die Wahl nicht gemacht, sondern das wurde wie so oft im Hintergrund ausgeklüngelt und das ist genau der schlechte Eindruck, den wir nach außen tragen. Die Probleme sind ja viel tiefgreifender. Nahles hat die Partei ja übernommen, da lief es schon nicht gut. Sie hat eindeutig auch Fehlentscheidungen getroffen, man denke an den Fall Maaßen, dass die da zuerst zugestimmt hat, was innerparteilich überhaupt nicht vermittelbar war, aber da muss man halt auch sagen, das sind ja Entscheidungen, die sie nicht nur alleine getroffen hat und jetzt wird so getan, als ob sie für alles Verantwortung trägt und das stimmt ja nicht. Mir persönlich ist egal, wer ihre Nachfolge antritt, Hauptsache, der Kandidat oder die Kandidatin ist inhaltlich überzeugend. Ich glaube, viele Leute haben das Vertrauen in die SPD verloren, weil sie uns einfach nicht mehr zutrauen, für das einzustehen, was sie fordern. Ich glaube, viele Leute sind inhaltlich auf unserer Seite, aber sagen, wenn’s hart auf hart kommt, macht ihr doch wieder einen Rückzieher. Man denke an das Klimagesetz, was immer noch nicht gekommen ist und irgendwo jetzt im Kanzleramt hängt und dann erst nach der Wahl veröffentlich wurde, als die Grünen gewonnen haben. Das ist schon der schlechte Eindruck, den wir vermitteln. Da müssen wir weg.

Was für Inhalte würden Sie überzeugen?

Raphael Wronka: Wir müssen jetzt endlich mal vernünftig an die Steuer gehen. Es geht um die Vermögenssteuer, die ausgesetzt ist, das ist völlig irrsinnig. Dann die Finanztransaktionssteuer, dieser Hochfrequenzhandel, den kein Mensch wirklich versteht, außer die, die ihn betreiben, die profitieren davon und machen Geld damit, aber die Allgemeinheit hat nichts davon. Wenn man jetzt jede Finanztransaktion besteuern würde, dann würde das immerhin eingedämmt. Drittens die Digitalsteuer. Die Welt verändert sich, und es müssen auch digitale Inhalte besteuert werden.

Wer wäre denn für die neue SPD ein Koalitionspartner?

Tobias Knoedgen: Ich würde sagen die Linke.

Raphael Wronka: Links und grün.

Wie erklären Sie sich, dass die Grünen die großen Volksparteien beinahe überholt haben?

Tobias Knoedgen: Das liegt 100 Prozent an der Fridays-for-future-Bewegung, weil, da haben die Grünen gesehen, dass es junge Menschen gibt, die für Umweltschutz demonstrieren. Vorher gab es das Thema Hambacher Forst. Da haben die Grünen uns und die Union in den Schatten gerückt.

Aber wenn die Themen bekannt sind, warum schafft es die SPD dann nicht, sich so zu positionieren, dass sie eigenes Profil da hat?

Viktoria Wagner: Wir Jusos fordern schon vehement, dass der Klimaschutz ein sehr wichtiges und wahlentscheidendes Thema ist. Das Klimaschutzgesetz ist dabei ein Anfang und wir unterstützen Fridays for Future. Wir finden gut, dass endlich was gemacht wird und müssen das jetzt auch als Jusos schaffen, an die Parteivorsitzenden und an die Parteispitze zu bringen.

Raphael Wronka: Die Grünen sind jetzt auch so stark, weil sie eben nicht in einer großen Koalition sind. Das ist eben auch das Profil, was uns fehlt. Wir müssen andauernd Kompromisse schließen.

Wie lange geben Sie der Koalition noch?

Raphael Wronka: Ein halbes Jahr, allerhöchstens. Dann ist der Bundesparteitag geplant.

Wen könnten Sie sich im Rhein-Erft-Kreis als Koalitionspartner vorstellen?

Roman Alexander Haenßgen: Bei der Kommunalwahl wird das ja sehr spannend, ob die Grünen hier vor Ort genauso überzeugen wie bei Europa. Wir könnten uns eine Koalition mit den Grünen vorstellen, dann müssen wir sehen, ob sie lieber mit uns oder der CDU kooperieren.

Raphael Wronka: Mit der Linken hier im Kreis haben wir auch einen guten Bündnispartner, wenn die Wähler eben so entscheiden.