- Frank B. hat viel Zeit zum Nachdenken.
- Er tut dies auf einer Bank am Straßenrand, ohne tolle Aussicht, seit rund zwei Monaten ununterbrochen.
- Wie es dazu kam und was B. vorhat, wenn es kalt wird, hat ihn unsere Autorin gefragt.
Erftstadt-Bliesheim – „Als Obdachloser möchte ich nicht bezeichnet werden.“ Frank B. hat klare Vorstellungen davon, was er über sich in der Zeitung lesen möchte. Doch er schweift ab. Obdachlos sei ein seltsames Wort, so altmodisch. „Warum sagt man nicht wohnungslos?“ Frank B. hat viel Zeit, über solche Fragen nachzudenken. Seit fast zwei Monaten sitzt er in der Nähe von Bliesheim auf einer Bank. Natürlich sitzt er nicht immer. Manchmal geht er in den Ort, um Kleinigkeiten einzukaufen, nachts versucht er, auf den schmalen Brettern eine Position zu finden, in der er schlafen kann.
Über Tag aber sitzt der 54-Jährige auf der Bank und lässt seinen Blick schweifen. Dabei ist das Panorama nicht gerade spannend. Ein abgeerntetes Feld im Vordergrund, rechts die Autobahn, fast schon am Horizont die Silhouette von Lechenich. Alle paar Minuten saust ein Auto vorbei, mal tuckert ein Trecker. Ein paar Jungs, die auf dem Fahrrad unterwegs sind, winken ihm freundlich zu. Eine dicke grüne Heuschrecke schwirrt über den Asphalt. „Die sehe ich hier oft. Die Meisen fressen die gern“, sagt Frank B.
Bliesheimer sorgen für ihn
Er hat sich häuslich eingerichtet auf der Bank. Ein großer grüner Schirm schützt ihn vor der sengenden Sonne oder auch vor Regen und Wind. Auf ein paar Stöckchen, die er in den Boden gesteckt hat, trocknet ein Handtuch. Wolldecken, Kleidung, Nahrungsmittel sind in Plastiktüten verstaut. „Ich wohne hier nicht“, sagt er. „Dann hätte ich ja beispielsweise eine Kühlbox.“
Die Bliesheimer, oder vielmehr einige von ihnen, sorgen für den Mann am Feldrand. Eine Familie wäscht seine Wäsche, andere kommen vorbei, um ihm Wasser zu bringen. Ein Radfahrer hält an, setzt sich zu Frank B. auf die Bank, kommt mit ihm ins Gespräch. Das ist nicht schwer, der Philosoph unterm Sonnenschirm lässt andere gern an seinen Gedanken teilhaben. Vielleicht ist es die Weite des Horizonts, die ihm Raum lässt, den Geist schweifen zu lassen. Der Wandel von Mond und Sternen, der Umgang der Menschen miteinander, der Gang der Politik – Frank B. erweist sich als kluger Gesprächspartner, an dem auch ohne Smartphone die Entwicklungen der Welt nicht vorbeigegangen sind.
Besuch vom Ordnungsamt
Vielleicht war es die Enge des menschlichen Zusammenlebens, die ihn aus der Kurve getragen hat. Er erzählt von seiner Kindheit. „Ich fand die Zimmer bei uns klein. Meine Geschwister sagen, dass Haus sei groß gewesen, aber ich habe es eng in Erinnerung.“ Sein Leben ist nicht geradlinig verlaufen. Er erinnert sich an seine Einberufung zum Wehrdienst. „Aber meine ganze Kindheit und Jugend hatte ich gelernt, friedlich zu sein.“ Und er habe damals nicht entdecken können, dass irgendwo ein Krieg gedroht hätte, in den er hätte ziehen sollen.
Ein Auto hält neben der Bank – Besuch vom Ordnungsamt. Keine strenge Kontrolle, sondern ein freundliches Nachschauen, ob alles in Ordnung ist. „Herr B. lebt freiwillig hier“, betont der nette Ordnungsamtler, der gleichzeitig darauf hinweist, dass er nicht mit der Presse reden darf. Und der sich offenkundig freut, als der Mann auf der Bank nachfragt, ob die Stadt ihm nicht eine Wohnung besorgen kann. Noch ein Blick auf die sorgsam verknoteten Mülltüten, dann ist der Mann vom Ordnungsamt wieder weg. Es ist wieder Zeit, den Blick schweifen zu lassen und seinen Gedanken nachzuhängen. Fast beschleicht den von Berufs wegen gehetzten Besucher ein leiser Neid. Sitzen, Schauen, Denken... was für ein Luxus. Aber das ist der einzige Luxus an dieser Art zu leben. Man denke nur ans fehlende Badezimmer. Ein hoher Preis dafür, nachts die Sterne zu sehen.
Wie soll es weitergehen? Frank B. weiß es nicht. Die Tage, vor allem die Nächte, werden jetzt kühl, bald werden sie kalt. Der Herbst ist keine gute Zeit, um auf der Bank zu philosophieren. Und im Winter geht es gar nicht.