Werner Wieczorek erzählt im Interview, wieso die Stadtbibliothek Bergheim ein Herz für KI, Robotik und weitere Technik hat.
Interview mit Werner WieczorekIn der Stadtbibliothek Bergheim gibt es 3D-Drucker, Roboter und Games

Werner Wieczorek, Leiter der Stadtbibliothek, sieht sein Haus auf einem guten Weg.
Copyright: Rafael Greboggy
Bibliotheken sind mittlerweile mehr als ein Bücherdepot. In der Stadtbibliothek in Bergheim gibt es einen 3D-Drucker, Videospiele, Möglichkeiten zur Digitalisierung von VHS-Kassetten und kleine Roboter, die durch die Bibliothek sausen. Warum die Stadtbibliothek offen für neue Technologien ist, erzählt der Leiter der Stadtbibliothek Werner Wieczorek im Gespräch.
Literaturkritiker Denis Scheck sagte einmal, dass Bibliotheken in seiner Kindheit sexy Orte waren, die Aufbruchstimmung verbreiteten. Würden Sie das für die Gegenwart bestätigen?
Auf jeden Fall! Wir haben heute in Bibliotheken ein ganz anderes Arbeiten, als es noch vor 10 oder 20 Jahren war. Es gibt ja diesen Begriff des „dritten Ortes“, also dass die Leute neben der Arbeit und dem Zuhause weitere Plätze suchen, an denen sie sich aufhalten können. Bibliotheken sind so ein Ort. Früher kamen Leute zu uns, haben ein Buch ausgeliehen und sind gegangen. Heute kommen sie her, setzen sich hin, spielen, nutzen neue Technologien wie den 3D-Druck, quatschen, lesen Zeitung, trinken im Lese-Café eine Tasse Kaffee, Tee oder einen Kakao. Die Kinder spielen mit ihren Eltern Gesellschaftsspiele, auf der ersten Etage sind ganz viele Schülerinnen und Schüler oder Studenten, die in Lerngruppen zusammensitzen. Wir sind mittlerweile nicht nur ein Leseort. Die Bibliothek ist ein Erlebnis- und Lernort und zudem auch ein kultureller Treffpunkt geworden.

Serviceroboter Temi kann Gäste zu bestimmten Bereichen führen.
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Neben dem 3D-Drucker haben Sie auch kleine Roboter namens Temi. Was hat es damit auf sich?
Temis sind Serviceroboter, die auch in Museen eingesetzt werden. Da führen sie die Leute durch die Räume und stellen die einzelnen Exponate vor. Wir haben auf jeder Etage so einen Temi, der die Gäste zu bestimmten Bereichen führen kann. Wir waren in Gütersloh auf der Regionalen Bibliothekskonferenz und haben einen Vortrag über diese Robotertechnologie gehalten. Das machen wir auch, wenn wir nach Bremen zum größten Bibliotheksevent, dem Bibliothekskongress „BiblioCon“ fahren. Die Leute gucken nach Bergheim und finden es spannend, was wir hier machen. Das zeigt uns, dass wir auf einem guten Weg sind.
Bergheim: Stadtbibliothek geht einen modernen Weg
Also Roboter, 3D-Drucker und Gaming. Gibt es auch Kritiker der Modernisierung?
Aus bestimmten Kreisen kommen schon mal Kommentare wie: Muss das sein? Muss eine Bibliothek Konsolenspiele anbieten, muss da ein 3D-Drucker stehen? Das habe ich früher öfter erlebt, das kommt aber kaum noch vor. Wenn ich zum Beispiel unseren Jahresbericht im zuständigen Ausschuss vortrage, gibt es für unseren Kurs meist sehr positive Signale. Eine Umfrage hat gezeigt, dass auch die Mehrheit der Kunden uns unterstützt. Und es toll findet, was wir machen. Wichtig finde ich für unsere Arbeit zudem, dass wir den Rückhalt aus der Verwaltung, durch unsere Vorgesetzten spüren. Das finde ich hier in Bergheim bemerkenswert und deshalb macht uns allen die Arbeit auch so viel Spaß.
Wie hoch ist Ihr Budget?
Den geplanten Haushalt für die nächsten Jahre kann man auf der Seite der Kreisstadt Bergheim einsehen. Wir haben z.B. einen geplanten Medienetat von 62.000 Euro. Dann gibt es noch diverse weitere Etats wie zum Beispiel für die Veranstaltungen oder für Projekte, die vom Land gefördert werden – da muss die Stadt einen Eigenanteil von 20 Prozent dazugeben, das Land deckt den Rest mit 80 Prozent ab. Mehr Unterstützung ist natürlich immer willkommen, aber ich will mich überhaupt nicht beschweren. Im Moment sind wir da ganz gut aufgestellt. Ich appelliere auch immer, wie wichtig Bibliotheken sind. Wie wichtig eine zentrale Anlaufstelle für die Kinder, für die Schüler und Studenten, für Erwachsene oder Senioren sind. Für alle Menschen in Bergheim!
Kann sich das denn jeder leisten, in die Bibliothek zu kommen?
Wir versuchen möglichst niederschwellig zu sein. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren zahlen bei uns nichts. Und selbst ab 18 Jahren ist es mit 15 Euro im Jahr immer noch total günstig bei uns. Man kann damit ja alles nutzen, nicht nur den Bestand vor Ort, sondern auch Streamingdienste für Filme, für Musik, für animierte Bilderbücher. Man kann bei uns von zu Hause aus E-Books ausleihen. Oder Zeitschriften zu Hause auf dem Tablet oder auf dem E-Reader lesen. Das ist mittlerweile ein unglaublich umfangreiches Angebot. Die Zahlen sprechen für sich: 2023 hatten wir zirka 86.000 Besuche und letztes Jahr waren es 97.000. Das ist schon super.
Gelingt es Ihnen, offen für alle zu sein?
Wir sehen das ja Tag für Tag, wie viele unterschiedlichen Kulturen zu uns in die Bibliothek kommen, wie viele verschiedene Altersstrukturen zu Gast sind, von kleinen Lesern bis zu den Senioren. Das versuchen wir in unserer Arbeit abzubilden. Wenn sie durch die Bibliothek gehen, geht es im Untergeschoss mit der Kinderbibliothek los, dann gibt es darüber die Jugendbibliothek, auf der ersten Etage das Schülercenter und den Lernort mit vielen Arbeitsplätzen, dann haben wir ganz oben die Romanabteilung für Erwachsene und auf der ersten Etage haben wir dann noch die Verbindung zur Seniorenarbeit. Wir sind unter anderem auch in der Allianz für Menschen mit Demenz, wo wir unter anderem Kooperationen mit Seniorenheimen oder der Alzheimer Gesellschaft eingehen. Das war früher gar nicht selbstverständlich für eine Bibliothek, aber uns ist es wichtig auch dort präsent sein. Wir finden es wichtig, die Strukturen in der Bevölkerung bei uns abzubilden und dass man diese Vielfalt an Medien und Information bei uns vorfindet.

Für Kinder bietet die Stadtbibliothek auch Veranstaltungen wie Paules Samstagsgeschichten.
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Die Lesefähigkeit von Kindern nimmt ja seit einigen Jahren ab. Sehen sie einen Rückgang von jungen Besucherinnen und Besuchern?
Überhaupt nicht. Die Kinderbücher haben immer noch tolle Ausleihzahlen. Tagsüber sitzen Eltern mit ihren Kindern und lesen ihnen aus Bilderbüchern vor. Und wenn wir hier Paules Samstagsvorlesen haben, dann platzen wir hier aus allen Nähten. Wir haben eine Tribüne an der Kinderbibliothek, die ist pickepackevoll, wie im Kölner Stadion in der Südkurve. Die Vorlesepaten machen das aber auch toll, die projizieren die Bilderbücher auf einen Bildschirm und performen dann richtig. Ich denke, es hängt sehr stark davon ab, wie die Kinder aufwachsen, wie die Eltern mit dem Thema umgehen. Also gehe ich mit meinem Kind in eine solche Einrichtung? Setze ich mich mit dem Angebot auseinander? In der Regel lernen die Kinder uns dadurch kennen, dass die Kindergärten und Schulen zu uns kommen. Man muss diese Neugier wecken und Lust machen auf das vielfältige Angebot einer Bibliothek.
Werner Wieczorek hat auch TikTok-Bestseller im Sortiment
Sie haben auch einen Bestand an Fantasy und Young Adult Romanen, die durch die Sozialen Medien viel Auftrieb bekommen haben. Sind die typischen BookTok-Bestseller für Sie auch Literatur?
Ja, es ist Literatur und ich finde es gut, dass wir diese Bücher im Bestand haben. Soll eine Bibliothek zum Beispiel nur Bücher von Kafka und E.T.A. Hoffmann haben und die liest dann kaum einer? Natürlich sind die Klassiker wichtig - nicht, dass wir uns falsch verstehen - aber wir sind auch kein Archiv oder haben unendlich viel Platz. Das alles ist sicherlich auch subjektiv und jeder sieht das eventuell anders, aber im Endeffekt wollen wir ja eine Vielfalt an Besuchern bei uns begrüßen. Aber dann ist eine vielfältige Medienauswahl ebenfalls wichtig. Wir alle wollen, dass Jugendliche Interesse an Literatur entwickeln und lesen spannend finden. Diese Gruppe kann man unter Umständen mit den Themen Gaming oder Robotik begeistern. Dadurch entdecken sie dann auch die Bibliothek neu und leihen wieder Bücher aus – vielleicht auch mal einen Klassiker. Man entdeckt ja immer neue Dinge. Es ist wie mit der E- und U-Musik, so ein elitäres Denken bringt uns, glaube ich, nicht weiter.
Wie sind denn so die Rückmeldungen der Besucherinnen und Besucher?
Wir haben dazu eine Umfrage gemacht, die wir gerade auswerten. Da haben über 150 Leute mitgemacht. Wir haben die Fragen auf die Homepage gepostet und den sozialen Medien, haben hier Fragebögen ausgelegt. Wir haben zum Beispiel eine Weiterempfehlungsquote von fast 97 Prozent erreicht, was natürlich wunderbar ist und auch eine Zufriedenheit von über 96 Prozent. Ich finde, das spricht für tolle Arbeit des Teams. Es stellte sich auch heraus, dass Schülerinnen und Schüler sich eine Erweiterung der Öffnungszeiten wünschen. Da müssen wir überlegen, wie wir das schaffen können, da hängt ja sehr viel dran, wie wir das mit unserem Personal realisieren können. Übrigens wurde in der Umfrage auch unser Medienangebot positiv bewertet und – was ich besonders wichtig finde - die Arbeit des Teams wurde ausdrücklich gelobt.
Gab es in Ihrer Umfrage auch Kritik?
Leute haben uns rückgemeldet, dass es ihnen auch mal zu laut ist. Wir diskutieren, gerade weil das ein offenes Haus ist, darüber natürlich auch im Team. Durch den Zustrom in der Kinderbibliothek wird es an manchen Tagen auch mal lauter, gerade wenn viele Familien hier sind. Auch auf der ersten Etage, dem Lernort, steigt schon man die Geräuschkulisse, wenn alle Arbeitsplätze belegt sind und viele Schülergruppen lernen. Aber das wollen wir ja: Ein volles Haus! Da müssen wir weiter an Lösungen arbeiten. Zum Beispiel haben wir im letzten Jahr schon ein paar schalldichte Lernkabinen, die auch in Großraumbüros eingesetzt werden, im Rahmen eines geförderten Projektes angeschafft. Man hört in diesen sogenannten Cubes im Inneren nichts, auch nach draußen dringt kaum etwas – einfach klasse! Das hat auch psychologisch viel gebracht, den Besucherinnen und Besuchern ist bewusst geworden, dass sie beim Austauschen ein bestimmtes Level nicht überschreiten sollten.
Zur Bibliotheksnacht
Am 4. April finden unter dem Motto „Wissen. Teilen. Entdecken.“ in Bibliotheken in ganz Deutschland Veranstaltungen, Workshops, Lesungen und Führungen statt. Die Stadtbibliothek in Bergheim bietet ein Programm ab 18 Uhr an. Beim „Pub-Qiuz“ treten dann zehn Rateteams gegeneinander an und beantworten Fragen zur Bibliothek, zu KI und anderen Themen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gewinnerteams bekommen eine „All-Inclusive-Card“ für die Stadtbibliothek, die ein Jahr lang gültig ist. Diese umfasst eine Streaming-Flatrate und Eintritt zu allen Veranstaltungen. Anmeldung bis zum 31. März. Jedes Team darf maximal aus fünf Leuten bestehen, die Teilnahme ist ab 16 Jahren erlaubt. Es gibt auch eine interaktive KI-Show mit dem KI-Experten Dieter Olscher. Der Eintritt ist frei. Weitere Infos auf der Website der Stadtbibliothek.