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Wupperverband weist Schuld an der Flut von sichEin mulmiges Gefühl bleibt

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Das Hochwasser in der Innenstadt am Donnerstag, 15. Juli: Leichlingen gehört zu den am schlimmsten betroffenen Orten.

Leichlingen – Gleich mit fünf Leuten rückte der Wupperverband am Mittwoch in der Aula der Grundschule Witzhelden an, um bei der Sonderratssitzung zur Flut-Katastrophe Rede und Antwort zu stehen. Die von Vorstand Georg Wulf angeführte starke Delegation signalisierte, dass den Verwaltern der übergelaufenen Wupper-Talsperre der Auftritt wichtig war. Und auch etwas mulmig: „Sie können mir glauben, dass ich am liebsten gar nicht hier wäre“, bekannte Wulf.

In der „Höhle des Löwen"

Und damit wird er nicht nur die Tatsache gemeint haben, dass eine Katastrophe der Anlass des Besuchs war. Sondern auch das Gefühl, in der „Höhle des Löwen“ zu sein – ist Leichlingen doch eine der am stärksten betroffenen Städte und wird der Verband wegen seiner Talsperren-Regulierung und Krisenbewältigung doch mit Vorwürfen überzogen.

Die Sitzung konnten die Verantwortlichen des Verbandes nach Stunden aber relativ ungeschoren verlassen. Die Ratspolitiker nahmen deren Schilderungen der Flutnacht mit wenigen sachlichen Nachfragen ohne Empörung zur Kenntnis. Die Daten und Diagramme des Dramas hatten die Talsperren-Betreiber freilich auch mit Beklemmung geschildert: „Das ist ein Wahnsinn, was da passiert ist – jedem, der das gesehen hat, geht das unter die Haut“, bekannte Thomas Klein, der Technische Leiter.

Georg Wulf, Vorstand des Wupperverbandes, berichtete in der Ratssitzung über die Flut-Katastrophe und das Talsperren-Management.

Verhindern können, so die Quintessenz des Vortrags, habe man die Flutwelle angesichts der gewaltigen Regenmengen in der Nacht zum 15. Juli aber nicht. Der Verantwortung stelle man sich, aber man habe auf die Lage richtig reagiert: „Wir werden ein derartiges Ereignis nicht hundertprozentig ausschließen können, aber wir werden auf jeden Fall verhindern, dass es Sie noch einmal so hart trifft“, versprach Wulf Konsequenzen.

Die Wassermassen rissen Bäume und Campingwagen mit sich und hätten fast auch die Marly-Wupperbrücke zerstört.

Man habe begonnen, die Ereignisse aufzuarbeiten und arbeite an Verbesserungen. Mit Rücksicht auf staatsanwaltliche Ermittlungen könne man noch nicht alle Fragen beantworten. Sie seien Gegenstand eines Gutachtens, das bei der RWTH Aachen in Auftrag gegeben worden sei, das Wettervorhersagen, Regenmengen und Pegel, den Umgang mit der Talsperren-Regulierung, die Flutwelle und das Handeln der Verantwortlichen analysieren soll.

Anwalt klagt für 100 Flutopfer

Gegen den Wupperverband haben inzwischen viele vom Hochwasser geschädigte Hausbesitzer aus Solingen, Wuppertal, Leichlingen und Leverkusen Anzeige erstattet. Allein der Wuppertaler Anwalt Frank Adolphs vertritt nach eigenen Angaben mittlerweile mehr als 100 Parteien, die durch die Flut zum Teil ruiniert worden sind.

In der Strafanzeige wird dem Wupperverband die „Herbeiführung einer Überflutung“ vorgeworfen, weil er nicht angemessen auf die Regenmengen reagiert, die hoch gefüllte Wupper-Talsperre nicht ausreichend reguliert und die Menschen zu spät vor der Flutwelle gewarnt habe. Empört ist der Jurist darüber, dass die Staatsanwaltschaft Wuppertal trotz des unzweifelhaft bestehenden Anfangsverdachts offenbar keinen Anlass sähe, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

In einem Offenen Brief an die bergische Justizbehörde klagt der Anwalt, dass er deren Untätigkeit ebenso wie seine Mandanten mit Fassungslosigkeit zur Kenntnis nehme. Während andere Staatsanwaltschaften in NRW längst Ermittlungen aufgenommen hätten, habe die Wuppertaler Behörde es versäumt, Protokolle aus der Hochwasser-Phase zu beschlagnahmen: „Vielleicht nicht alle, aber zumindest ein Großteil der Schäden hätte vermieden werden können, wenn die Mitarbeiter des Wupperverbandes einen ordentlichen Job gemacht hätten“, glaubt Adolphs. (hgb)

Thomas Klein sagte, dass man mit den enormen Regenmengen, die über dem gesamten Einzugsgebiet niedergingen, nicht rechnen konnte. Die Wetterprognosen hätten zunächst nicht dramatisch geklungen. Schon seit Montag habe man dennoch Platz geschaffen und Wasser aus der Sperre abgelassen. Bis zu 160 Liter Niederschlag pro Quadratmeter seien unfassbar: Solche flächendeckenden Regenmengen habe es seit Beginn der Aufzeichnungen nicht gegeben. An einem Tag sei das Doppelte einer üblichen Juli-Menge gefallen.

Teure Entscheidungen mussten sofort getroffen werden

Der Leichlinger Stadtrat hat mit der Bereitstellung von zusätzlichen Etatgeldern und der nachträglichen Genehmigung von Dringlichkeitsentscheidungen, die in der Flut-Not getroffen werden mussten, die finanziellen Weichen zur Bewältigung der Hochwasser-Katastrophe gestellt. In der Sitzung am Mittwochabend sind dazu einstimmige Beschlüsse gefasst worden.

Zur Regulierung der Schäden sind die Budgets für Personal und städtebauliche Planungen zunächst um insgesamt 370 000 Euro erhöht worden. Die außerplanmäßig bereitgestellten Mittel sind für die Bergung des Stadtarchivs (70 000), die Müllentsorgung (70 000) und Räumung und Rückbau von Gebäuden (230 000) erforderlich.

Diese Beträge werden aber bei weitem nicht ausreichen. Allein für die Müllentsorgung in der Stadt und die auf 25 000 Kubikmeter angewachsene Zwischendeponie in der Balker Aue rechnet man nach ersten Schätzungen mit 280 000, für die gesamten Räumarbeiten in der Stadt mit bis zu 350 000 Euro. Schon die Sofortmaßnahmen in den überfluteten städtischen Gebäuden werden mehr als eine halbe Million Euro kosten.

Die nötigen Sanierungen an Immobilien und Straßen sind in diesen Beträgen noch nicht enthalten. Die Verwaltung schätzt sie vorläufig auf zehn Millionen Euro. Jeweils maximal 2,5 Millionen werden aus den Gebäude- und Hausratversicherungen in Anspruch genommen werden. 200 000 Euro hat die Stadt als Soforthilfe vom Land NRW bekommen, sie werden für die Abfallbeseitigung eingesetzt. Ebenso 72 000 Euro, die Leichlingen aus einer Flut-Spende der Kreissparkasse Köln erhalten hat.

30 Milliarden will der Bund den vom Hochwasser betroffenen Orten als Aufbauhilfe zur Verfügung stellen. Die Verwaltung weiß nicht, inwieweit sie daraus unterstützt wird und ob weitere Förderquellen bestehen. Die Landesregierung hat angekündigt, dass die Städte ihre Sonderausgaben unbürokratisch ohne Nachtrags-Etat abwickeln dürfen. Bürgermeister Steffes hofft, dass die Belastungen wie bei Corona in eine Art „Bad Bank“ des Etats ausgelagert und über Jahre gestreckt werden können. (hgb)

„Wir haben es geschafft, eine noch größere Flutwelle zu verhindern“, verteidigte Klein die getroffenen Maßnahmen. Als die Sperre überlief und nie dagewesene 190 Kubikmeter pro Sekunde zu Tal schossen, sei der Scheitelpunkt der Welle längst in Leichlingen gewesen, relativierte er die häufig kritisierte Wirkung des Ablassens. Das Wasser brauche etwa sieben Stunden, bis es in der Blütenstadt ankomme.

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Welchen Einfluss die Flut aus dem Überlauf tatsächlich hatte, ob eine frühere Entlastung erforderlich gewesen wäre, ob der Stauraum ausreichend war – das sollen Gutachter bewerten und wird möglicherweise noch vor Gericht verhandelt.

Fragen zum Hochwasser und Talsperren-Management beantwortet der Wupperverband auch auf seiner Homepage.

www.wupperverband.de