Schamanismus in Rhein-BergTrommeln und räuchern für die Seele
Rhein-Berg – Langsam bewegt sich das Windspiel aus Hölzern und Stöcken hin und her. An einem Faden hängen die Äste vor der Haustür von Mara Ohm. Es dauert einen Moment, dann öffnet sich die Tür des Hauses auf dem Hügel in Overath. Die Schamanin mit den langen braunen Haaren und braunen Augen bittet den Besuch herein. Mara Ohm setzt sich auf ein Kissen und erklärt, was der Schamanismus überhaupt ist.
„Er ist eine der ältesten Ur-Religionen überhaupt“, sagt sie. Bevor der Schamanismus durch andere Glaubensrichtungen verdrängt und ausgerottet wurde, habe es in vielen Teilen der Welt Schamanen gegeben. „Als Heiler geht er oder sie geht davon aus, dass alles miteinander verbunden ist. Jedes Tier, jede Pflanze, jeder Mensch – alles ist Energie.“ Krankheiten und Probleme entstehen aus einem energetischen Ungleichgewicht auf einer oder mehreren Ebenen, wie etwa dem Körper, Seele, Geist, Gedanken und den Gefühlen, sagt Ohm.
Als Schamanin kann sie durch Rituale der Seele dabei helfen, das fehlende Gleichgewicht wieder herzustellen. Das tut sie etwa, indem sie sich und dem Menschen, der ihre Hilfe sucht, durch bestimmte Trommelrhythmen in Trance versetzt. Dadurch erweitere sie die Wahrnehmung, sagt Ohm. „Es gibt nämlich mehr Ebenen als die, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können.“ So könne man etwa mit den Ohren nur auf einer bestimmten Frequenz hören, mit den Augen nur Dinge aus einem begrenzten Spektrum sehen.
„Ja, wir glauben an Geister“
„Durch die Trance bekomme ich Zugang zu einer anderen Ebene, die sonst nicht wahrnehmbar ist, schildert Ohm. Hier halten sich die sogenannten Spirits auf. „Ja, wir glauben an Geister“, sagt Ohm und lacht. Damit meint sie beispielsweise verstorbene Vorfahren, deren Erlebnisse noch auf die Seele eines Menschen einwirken – ähnlich wie bei Traumata, die auf spätere Generationen übergreifen können. „Mit denen treten wir bei einer Sitzung in Kontakt, um ihre Anliegen zu klären.“ Dass man sich auf die eigenen Vorfahren zurückbesinne, sei im Schamanismus üblich, erklärt Ohm, die selbst von Schamanen in Sibirien ausgebildet wurde. „Bei der Psychotherapie heute macht man Familienaufstellungen und weiß gar nicht, dass das ein altes schamanisches Ritual ist.“
Ein paar Kilometer weiter hilft Claudia Siebler den Menschen ebenfalls bei seelischen Problemen. Die 57-Jährige hat eine kleine Praxis direkt neben der Polizeistation in Refrath. Sie arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie und bietet auch schamanische Rituale an. Als Schamanin will sich die Frau mit den blauen Augen und dem breiten Lächeln aber nicht bezeichnen. „Das überlasse ich den Natives“, sagt sie und meint damit die Personen, bei denen der Schamanismus auch heute noch in der Kultur verankert ist.
Hauptsächlich Frauen kommen
Auf ihrer Website erklärt Siebler, dass sie ihren Medizinnamen „Raja“ zur Ehre von „Mutter Erde“ trage. Die Natur spiele für die schamanische Praxis eine wichtige Rolle, sagt sie. „Wir haben die Verbindung zur Erde verloren, das ist es, was viele krank macht.“ Dabei gehe es etwa um die immer schnellere Entwicklung von Technologien, die den Menschen nichts nutze. „Ständig sind das Smartphone und der PC an. Das macht die Leute nicht glücklich.“
Schamanismus
Schamanismus bezeichnet ein religiöses Phänomen in dessen Zentrum die Person des Schamanen steht. Bekannt wurde der Schamanismus vor allem durch die Erforschung indigener Kulturen in Nordamerika und Sibirien, wo er noch heute von Ureinwohnern als offizielle Religion praktiziert wird.
Weltweit lassen sich Hinweise auf schamanische Praktiken finden. Wie lange es Schamanen schon gibt, ist unklar. Wissenschaftler fanden aber Hinweise auf schamanische Praktiken auf Höhlenmalereien, die über 40 000 Jahre alt sind. In manchen Teilen der Welt werden bei den Ritualen bewusstseinserweiternde Drogen konsumiert, um einen Zugang zur nicht-wahrnehmbaren Welt zu erhalten. In Deutschland ist das verboten.
Seit den 1968ern wird der Schamanismus als „Neo-Schamanismus“ auch in der westlichen Kultur praktiziert.
Die Ausbildung zum Schamanen wird in verschiedener Form angeboten. Bei indigenen Schamanen kann sie erst nach einer speziellen Prüfung absolviert werden. Bei anderen Anbietern ist es auch so möglich, schamanische Praktiken zu lernen. (ebu)
Deswegen gibt sie einige ihrer Sitzungen, Seminare und Rituale draußen im Wald. „Den Duft der Bäume zu riechen oder mit den Füßen durch einen Bach zu laufen und das bewusst wahrzunehmen, das ist für viele Menschen unglaublich heilsam.“ Wer ihre Angebote so nutzt? Siebler schmunzelt. „Zu mir kommen Ärzte, Versicherungsmakler, Rentner, aber auch Menschen ohne Einkommen.“ Hauptsächlich seien es Frauen. Das wundert Siebler nicht: „Wir sind Jahrhunderte unterdrückt worden – kein Wunder, dass die Seelen der Frauen noch heute darunter leiden.“
Jesus und der Schamanismus
Auch Julia Vuong besuchen hauptsächlich Frauen – „obwohl ich eine gute Männerquote habe“, sagt die 34-Jährige und schmunzelt. Sie hat in Overath einen Raum, in dem sie Menschen empfängt und ihnen in der Trance dabei hilft, seelische Probleme anzugehen. Vuong arbeitet außerdem als Coach, Reiki-Meisterin, Gesundheitsberaterin, Yoga-Lehrerin und Marketingberaterin. Viele Bereiche würden dabei auch ineinander übergreifen, erklärt sie. Als Schamanin sei sie eher pragmatisch, sagt Vuong. Auch sie trommelt und räuchert in ihren Sitzungen. „Aber ich trage keine Gewänder und singe auch nicht dazu. Ich halte die Dinge gerne einfach und klar.“
Viele Dinge gibt es nicht in dem Raum mit grüner Wand. Da steht ein Regal mit Räuchermaterial, zwei Sessel, ein weicher weißer Teppich. An der Wand dahinter sieht Jesus mit großen Augen durch die Scheibe eines Bilderrahmens hervor. Wie jetzt Jesus mit dem Schamanismus zusammenpasst? Vuong lacht. „Ich finde, das fügt sich wunderbar“, sagt Vuong. Sie habe auf einer schamanischen Reise zum Glauben und zu Jesus zurückgefunden. „Ich persönlich trenne Glauben und Kirche“, sagt Vuong. „Ich bin kein Fan von Etiketten und Kategorisierungen. Für den einen heißt die höhere Instanz „Gott“, für den anderen „der große Geist Wakan Tankah“ - für mich ist das nichts, was sich gegenseitig ausschließt.“
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Sie fühle sich wohl in der nicht-alltäglichen Welt der Spirits, berichtet Vuong, die in ihrer Freizeit auch Wing-Tsun unterrichtet. Sie habe schon früh gemerkt, dass es ihre Bestimmung sei, anderen Menschen zu helfen, sagt sie. Als Schamanin tue sie das etwa durch den Austausch mit den Spirits: „Ich bin sozusagen der Postbote zwischen der alltäglichen und nicht-alltäglichen Welt.“