In Zeiten, da der Krieg in Nahost das beherrschende Thema ist, hat sich unser Autor mit einem Hilfskonvoi in die Ukraine aufgemacht.
„Dürfen die Menschen da nicht vergessen“Wie ein Konvoi aus dem Bergischen Hilfe ins ukrainische Kriegsland bring
Manches ist bei der siebten Fahrt in die Ukraine eingespielt, zur Routine geworden aber ist nichts. Nicht die genaue Beobachtung der aktuellen Lage im Land, nicht das inständige Bitten um in der Ukraine dringend benötigte Hilfsgüter und nicht die Sorge, ob wir die Menschen wiedersehen, die wir beim letzten Konvoi in das Kriegsland noch getroffen haben.
An das Leid der Verwundeten, der Menschen, die Familienmitglieder verloren haben, kann man sich einfach ebenso wenig „gewöhnen“ wie an den Sirenenton der Luftalarme, die auch die Hilfstransporteure von Humanitärer Hilfe Bergisch Gladbach und Overath via Handy-App stets verfolgen.
Es sind gemischte Gefühle, die den 16 Fahrerinnen und Fahrern durch den Kopf gehen, als ihnen der Overather Kaplan Michael Schiller auf dem Lastzug-Gelände der Humanitären Hilfe Overath den Reisesegen gibt. Dann rollt der Konvoi aus vier Sattelzügen, einem Möbelwagen, drei Transportern mit Anhängern und einem gespendeten Feuerwehrfahrzeug auf die A4 in Richtung Osten.
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Knapp 1400 Kilometer bis nach Lviv liegen vor dem Konvoiteam – und die Ungewissheit, wie man diesmal an der Grenze durchkommt. Durch die engen Kontakte mit den Bergisch Gladbacher Hilfskonvois in die Partnerstadt Butscha weiß die Fahrer-Crew um Uli Gürster (Bergisch Gladbach) und Norbert Kuhl (Overath) vom Gladbacher Hilfskonvoi, dessen Lastzüge Anfang des Monats mehrere Tage an der Grenze festhingen.
Norbert Kuhl ist auch mit 82 am Steuer eines Lastzug topfit
„Deshalb fahren wir mit den großen Kisten wieder nur bis an die polnisch-ukrainische Grenze und lassen uns von der dortigen Caritas die Hilfsgüter über die Grenze bringen“, sagt Norbert Kuhl, der auch mit seinen 82 Jahren noch im Wechsel mit seinem Beifahrer am Lkw-Steuer sitzt und dem beim Rangieren keiner so schnell was vormacht.
Die Stimmung ist gut, über Funk halten die Fahrerteams, die sich regelmäßig abwechseln, Kontakt. Und frotzeln auch schonmal. Etwa wenn ein Lkw am Berg etwas langsamer wird. Stefan Malczewski steuert mit Sabine Schmitz den wohl schwersten Sattelzug des Konvois. Er ist unter anderem mit 10 080 Konservendosen beladenen – die Essensnotversorgung, die man in einem Land im Krieg notfalls auch über einem Kerzenstummel erwärmen oder auch kalt essen kann.
Helfer vor Ort sind froh über den Nachschub von Hilfsgütern
Es wird schon wieder dunkel, als das Caritas-Zentrallager für Grenztransporte in die Ukraine im polnischen Leżajsk erreicht ist. Leiterin Wioletta Bator umarmt die Fahrer. Sie ist froh über die neue Lieferung.
Einsatzkräfte der örtlichen Feuerwehr helfen beim Ausladen der Lastzüge, die vollgepackt sind mit Konserven, Pflegebetten, Winterkleidung und medizinischem Gerät.
Der 7. Hilfskonvoi
Mehr als 65 Tonnen Hilfsgüter hat der siebte gemeinsame Hilfskonvoi von Humanitärer Hilfe Overath und Humanitärer Hilfe Bergisch Gladbach für das Kinderkrankenhaus in Lviv, den Aufbau eines Traumazentrums im südukrainischen Kamjanez-Podilskyj und die Rettung Verwundeter in die Ukraine gebracht. Mit an Bord waren unter anderem: 20 Stromgeneratoren, 10 080 Konservendosen mit Suppen, 47 Feuerlöscher, Feuerwehrausrüstung wie Schläuche, Kleidung, Stiefel, Helme und Schutzmasken, ein Feuerwehrkommandofahrzeug, gespendet von der Feuerwehr der Gemeinde Kürten, 575 Tourniquet zum Abbinden von schweren Verletzungen, 60 Erste-Hilfe-Sets, neun Paletten Desinfektionsmittel, fünf Rollstühle, 47 Rollatoren, 62 Fahrräder, 90 Kartons mit Decken, 100 Schlafsäcke, 877 Kartons mit Kleidung, neun elektrische Krankenbetten, 805 Kartons mit medizinischen Geräten für das Kinderkrankenhaus in Lviv sowie Medikamente im Wert von 16 414 Euro. (wg)
„Zurzeit versuchen polnische Spediteure, die Grenze zu blockieren“, berichtet Wioletta Bator, als sich die Fahrerinnen und Fahrer nach dem mehrere Stunden dauernden Abladen in einer Teeküche des Lagers aufwärmen. „Die polnischen Spediteure haben Angst vor der Konkurrenz aus der Ukraine“, erklärt die Leiterin des Caritas-Lagers. Außerdem gebe es neue Anmeldebestimmungen für den Grenztransfer. „Wir wissen selbst nicht mehr, wie lange wir das noch schaffen, die Hilfsgüter rüberzubekommen“, sagt sie nachdenklich, „aber die Menschen da brauchen sie doch ...“
In aller Frühe geht's weiter in den Süden des Kriegslands Ukraine
Die Nacht ist kurz, in aller Frühe geht's mit den Pkw-Gespannen weiter Richtung Grenze. Ein polnischer Helfer zeigt dem Konvoi den Weg zu einem kleinen Grenzübergang in den Bergen. Auf dem Weg dorthin fällt der erste Schnee – hoffentlich kommen wir in der Ukraine noch gut durch. Der Andrang an der Grenze ist überschaubar, trotzdem dauert's achteinhalb Stunden bis alle verbliebenden vier Fahrzeuggespanne des Konvois in der Ukraine sind.
Nach wenigen hundert Metern folgt schon der erste Checkpoint: Betonblöcke auf der Fahrbahn lassen nur eine schmale Durchfahrt, aus einem Ofenrohr an einem Armeelastwagen neben der Straße steigt Rauch auf, es ist eisig kalt. Soldaten mit Maschinenpistolen kontrollieren jedes Fahrzeug. Als sie den Hilfskonvoi erkennen, lächeln sie und winken die Fahrzeuge durch, auf holprigen Straße in Richtung Lviv. Erst in der Nacht ist das Priesterseminar erreicht, in dem die Fahrerinnen und Fahrer für die Nacht unterkommen.
Am nächsten Morgen geht's weiter in den Süden der Ukraine. Bei Kamjanez-Podilskyj unterstützen die Hilfsorganisationen aus dem Bergischen den Aufbau eines Traumazentrums. „Mit den Folgen des Krieges werden wir noch mindestens zwei, drei Generationen zu tun haben“, sagt der örtliche Leiter des katholischen Bistums, „selbst, wenn endlich Frieden ist.“ Manche Männer kämen völlig verstört von der Front zurück, würden manchmal kein Wort mehr mit der eigenen Familie sprechen, nur auf dem Boden schlafen und aus dem Fenster starren. Im Traumazentrum sollen sie und ihre Familien Hilfe erhalten. Doch noch steht nur ein Rohbau.
Die örtliche Feuerwehr kommt, um die Ausrüstung und das Allrad-Feuerwehrauto aus Kürten in Empfang zu nehmen. „Es wird dringend gebraucht“, sagt Feuerwehrfrau Iryna Driukava. Die Feuerwehr sei in der Ukraine auch für die Räumung von Minen zuständig. „Aber bislang hatten wir nicht nur zu wenig Leute in dieser Spezialeinheit, sondern auch kein Auto, um sie zum Einsatz zu bringen.“ Auch die Minenräumung werde wohl noch Jahre dauern, fürchtet sie.
Feuerwehrfahrzeug aus dem Bergischen für Minenräum-Einheit
Thomas Migenda ist derweil überglücklich. Der Feuerwehrmann hatte das Einsatzfahrzeug in Gemeinde Kürten gespendet bekommen, gemeinsam mit seinen Overather Feuerwehrkollegen weitere Ausrüstungsspenden organisiert. „Deshalb machen wir das doch alle hier“, sagt der sonst nicht auf den Mund gefallene Metallbaumeister leise.
Auch die fast 600 Tourniquets, die mit Spenden und von Konvoi-Fahrer Dietmar Schur gekauft wurden, gehen mit einem Verbindungsmann der ukrainischen Kämpfer and der Front gleich weiter Richtung Osten. Es ist still in den Fahrzeugen auf der Rückfahrt: Es ist kaum vorstellbar, wie viel größer das Leid im Osten der Ukraine sein muss. Luftalarm am Abend im Priesterseminar von Lviv erinnert alle daran, dass die russischen Drohnen und Raketen nicht nur im Osten aktiv sind. Erst vor wenigen Wochen ist das Lager der polnischen Caritas in Lviv bei einem Luftangriff zerstört worden. „Bei dem Angriff starb auch ein Wachmann, der erst kurz zuvor von der Front zurückgekehrt war“, berichtet der Rektor des Priesterseminars am Abend. Umso wichtiger sind neue Hilfslieferungen.
Das wird auch am nächsten Morgen im Kinderkrankenhaus von Lviv deutlich, in dem die Hilfstransporteure Medikamente und medizinisches Gerät ausladen – und Geschenkpäckchen, die Eltern und Kinder der Kita „Marienkäfer-Treff“ in Marialinden zu St. Martin für die Kinder in der Klinik von Lviv gepackt haben.
Beim Verteilen in den kleinen, mit bis zu acht Kindern belegten Krankenzimmern, bleibt nicht jedes Auge trocken. „Trotzdem, das sind wohl mit die schönsten Momente eines Hilfskonvois“, sagt Uli Gürster. Schon auf der Rückreise plant er mit Norbert Kuhl bereits den nächsten Hilfskonvoi – für April kommenden Jahres. „Wenn wir nur genug Spenden zusammenbekommen“, sagt Kuhl, „wir dürfen die Menschen da nicht vergessen.“
Wer die Ukraine-Hilfe der Humanitären Hilfe in Overath und Bergisch Gladbach unterstützen möchte, erreicht Norbert Kuhl unter 0170/350 30 40 oder Ulrich Gürster unter 0179/458 24 44. Infos zu Spendenmöglichkeiten auf den Internetseiten der Humanitären Hilfe Overath und der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach.
Hilfskonvoi-Splitter
Lange Wartezeiten an der polnisch-ukrainischen Grenze sind die Fahrer von Hilfskonvois gewohnt – der private Service an dem kleinen Grenzübergang in den Bergen aber überraschte selbst erfahrene Konvoifahrer: An einem rollenden Stand gab's frisch aufgebrühten Kaffee, Tee und sogar Würstchen – im Schneetreiben des polnischen Winters eine willkommene Aufwärmung.
Der Krankenwagen, den die Overather und Gladbacher Helfer im Juni nach Kamjanez-Podilskyj brachten , ist voll im Einsatz, wie sie jetzt bei ihrem Besuch erfahren. Bis zu 80 Verwundete holt er pro Tag von der Front, um sie in eine der noch einigermaßen intakten Kliniken weiter hinter der Kampflinie zu bringen. Dringend, so machen die Verantwortlichen vor Ort den Hilfstransporteuren klar, bräuchten sie noch weitere Rettungsfahrzeuge. (wg)