Nach der Flut in LeichlingenRathaus ist nach wie vor eine Baustelle
Leichlingen – Nur auf den ersten Blick scheint der Betrieb im Rathaus nach der Flutkatastrophe wieder normal zu laufen. Doch wer genauer hinschaut, stößt auf den gesperrten Aufzug, auf zugeklebte Fenster im Tiefgeschoss, aus denen ein Lüftungsschlauch modrige Dünste nach draußen pustet. Wer in den Keller hinabsteigen dürfte, würde auf Ventilatoren so groß wie Flugzeugpropeller stoßen, auf Katakomben im Rohbauzustand und auf Menschen, die Mittel gegen Schimmel versprühen.
Runter darf aber niemand. Die Renovierung der Mitte Juli überfluteten Etagen ist eine Großbaustelle. Bis zur Decke war der Keller voller Schlammwasser. Im früheren Wahlamt stand die braune Brühe meterhoch. Als der Starkregen am 14. Juli einfach nicht aufhören wollte, kam Hausmeister Holger Hoffmann abends nochmal ins Rathaus – und saß dort in der Falle: „Das Wasser stand bereits auf der Neukirchener Straße, deshalb drehte Hoffmann eine Kontrollrunde durch den Keller. Da hörte man es bereits plätschern.“
Ahnend, was kommen würde, schloss er geistesgegenwärtig noch schnell sämtliche Türen im Keller auf, um der Feuerwehr ein späteres Aufbrechen zu ersparen. Dann zog er sich ins Erdgeschoss zurück. Dort harrte er mit einer Handvoll Kollegen aus der EDV und der Gebäudewirtschaft die ganze Nacht im Dunkeln aus, denn er konnte das Rathaus, das plötzlich in einem See stand, nicht mehr gefahrlos verlassen.
„Wir für Leichlingen“ hat 225 000 Euro an 109 Familien verteilt
Die private Hilfsinitiative „Wir für Leichlingen“ hat nach Auszahlung der letzten Gelder jetzt die Bilanz ihrer Spendenaktion für die Opfer der Hochwasser-Katastrophe gezogen: Es sind 225 000 Euro gesammelt worden, mit denen 209 Leichlinger Familien finanziell unterstützt wurden. Eine enormen Summe, bedenkt man, dass parallel auch die Bürgerstiftung wie berichtet 356 000 Euro bekommen und verteilt hat.
Dabei ist die Bezeichnung „Spenden“ eigentlich nicht korrekt, erläutert Thomas Richter, denn „es handelt sich um Schenkungen, die nicht steuerlich absetzbar sind“. Der Initiator der Aktion lobt: „Es zeugt von sehr viel Vertrauen der Spender, dass so eine enorme Summe über meine privaten Konten gelaufen ist. Wir haben im Team jede Transaktion, jede Einnahme und jede Ausgabe dokumentiert und stellen uns nach Abschluss der Aktion einer öffentlichen Kassenprüfung. Nur so ist absolute Transparenz gewährleistet und nur so können wir auch dem entgegengebrachten Vertrauen gerecht werden.“
Ein achtköpfiges Team aus Ehrenamtlern hat in Zoom-Konferenzen über die Vergabe an die Bewerber entschieden, Betroffene besucht und Gelder übergeben. Dazu gehörten neben Richter Bettina Arens, Dominique Rondé, Knut Weuste, Waldemar Becker, Florian Kötting, Martin Lindemann und Julian Richter.
Neben 1000 Kleinspendern haben lokale Unternehmen und Privatpersonen größere Zahlungen geleistet. So übergab Joshua Mers einen Scheck über 3000 Euro aus den Einnahmen der Konzertreihe „Livelingen“ im Stadtpark. Durch Vermittlung von „Wir für Leichlingen“ hat auch die Johanniter Unfallhilfe mehrere Leichlinger Familien großzügig finanziell unterstützt.
Einzahlungen, wundert sich Richter, trafen „aus ganz Deutschland, den USA, Israel, Südafrika und anderen Ländern ein“. Das Geld wurde über Paypal, per Überweisung, teils auch bar ausgezahlt. Drei Monaten nach der Flut ist die „Hochwasserhilfe 2021“ beendet worden. „Es war für alle Beteiligten eine sehr emotionale Zeit. Einerseits war es wunderbar, die große Welle an Hilfsbereitschaft zu erfahren – andererseits haben uns die Schicksale der Flutopfer zum Teil stark bewegt“, sagt Richter. Erfahrungen mit Spendensammlungen hatte die Bürgerinitiative bereits aus der Zeit der ersten Corona-Welle, als ein Hilfsfonds gegründet wurde, bei dem ein mittlerer fünfstelliger Betrag zur Unterstützung Leichlinger Kleinunternehmer, Restaurants und Geschäfte generiert wurde. Als im Juli die Wupperflut massive Schäden anrichtete, war es für die Initiative selbstverständlich, erneut Hilfe zu organisieren.
„Kurz nach der Flut wollten viele Menschen gern etwas tun, um die schlimmste Not bei den Opfern etwas abzumildern. Wir wurden gebeten, uns wieder um eine Art Spendenaktion zu kümmern, weil die Leute uns vertrauten. Also haben wir wieder einen Aufruf über die sozialen Medien gestartet“, blickt Richter zurück. Und ist von dem Erfolg begeistert: „Wir konnten nicht ahnen, was da auf uns zurollte.“ (hgb)
Das nächste Mal konnte man den Keller erst Tage später betreten – zu groß war die Gefahr eines Stromschlags. Nicht nur das Stadtarchiv war in Dreck und Schimmel versunken, auch das gesamte Materiallager ging verloren. Unter umgekippten Regalen, so die Hausratsliste, lagen „aufgequollene Papiervorräte, verschlammtes Werkzeug, Klopapier, Drucker- und Büromaterial, Mundschutzmasken, Desinfektionsmittel, gelbe Säcke, Glühbirnen, Getränkekisten, Putzutensilien, Fahnen und Flaggen, Büromöbel, Industriekopierer, die Rollblockanlage, Streusalzvorräte, Laubbläser...“
250 Kubikmeter Müll wurden mit Overalls und Atemschutzmasken entsorgt. Das ganze Ausmaß der Schäden zeigte sich erst, als nach einer Woche endlich das Wasser abgepumpt war. Die Batterieanlage für die Notbeleuchtung war ebenso zerstört wie die Stromverteilung, die Steuerung der Automatiktüre, der Aufzüge, der Gleitzeituhren und des Treppenlifts zum Ratssaal.
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