Leichlingen – Wie endet der Kapitalismus? Mit dieser Frage beschäftigten sich knapp 100 Leichlinger, die den Musiksaal der Aula fast vollständig füllten, am Montagabend. Zugegeben, sie enthält eine kontroverse Behauptung: Der Kapitalismus wird enden. „Vom kleinen Leichlingen aus werden wir das System sicher nicht umstürzen“, schränkt Tobias Rottwinkel ein. Der SPD-Politiker organisierte den Abend gemeinsam mit den Linken, den Grünen und – aufgepasst – dem Katholischen Bildungswerk.
„Ich sage es mit Papst Franziskus: Kapitalismus kann töten. Er muss sozial und umweltfreundlich sein“, erklärt Elmar Funken. Er leitet das Katholische Bildungswerk im Rheinisch-Bergischen Kreis. „Thematisch haben wir das gleiche Interesse wie die anwesenden Parteivertreter, wie nennen es nur anders: Die Bewahrung der Schöpfung.“
Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig eingeladen
Eingeladen war auch die Linken-Bundestagsabgeordnete und frühere Attac-Geschäftsführerin Sabine Leidig. Vor der Diskussion wurde der Film „System Error“ von Florian Opitz gezeigt. Dieser stellt die ganz großen Fragen: Brauchen wir ewiges Wirtschaftswachstum? Wer profitiert davon? Ist der Planet unter diesem Mantra überhaupt langfristig bewohnbar? Der Regisseur sprach dazu mit Ökonomen, Lobbyisten, Sojaproduzenten und einem Ex-Berater von Donald Trump. Mal mehr, mal weniger prätentiös.
Insgesamt aber wird deutlich, wie dringlich die Themen angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe und zunehmender globaler Ungleichheiten sind. Besonders evident werden die Missstände, wenn Andreas Gruber, Chefinvestor der Allianz, im Film festzustellen meint: „Heute wissen wir, dass unser Wachstum ökologisch vertretbar ist.“ Oder wenn Bilder von Zuchtanlagen sichtbar machen, was es bedeutet, wenn eine Firma im brasilianischen Regenwald auf wenigen Kilometern 15 Millionen Hühner pro Jahr produziert.
Lokale Antworten auf globale Fragen?
Anschließend also sollte diskutiert werden: Über die Fragen, die „System Error“ stellt – und über Antworten, die vom beschaulichen Leichlingen aus gegeben werden können. Die Stimmung ist aufgewühlt. Ein Mann aus dem Publikum fragt die Bundestagsabgeordnete Leidig: „Was können Sie dagegen tun, dass unsere Autobahnen voll sind mit umweltschädlichen Lkws, die uns rund um die Uhr beliefern? Können Sie nicht in Hungerstreik treten?“ „Bestellen Sie halt nicht mehr bei Amazon“, ruft jemand dazwischen.
Aber reicht das? „Es ist kein entweder oder. Frau von der Leyen wäre ohne Fridays for Future sicher nicht auf die Idee gekommen, einen Green Deal für Europa zu entwickeln“, kommentiert ein Besucher. Auch Sabine Leidig freut sich über die Schulstreiks: „Wie die Schüler die Klimafrage auf die Agenda gesetzt haben, das stößt uns alle an.“
Zum Ende des Abends wird es dann tatsächlich lokal: „Sollten wir die Bebauung jedes Zentimeters nicht hinterfragen?“, wirft jemand ein. „Wohnbebauung gibt Menschen die Möglichkeit, nach Leichlingen zu kommen“, kontert SPD-Stadtrat Rottwinkel. Jürgen Langenbucher (Grüne) sieht die Sache ein wenig anders: „Die Erhaltung von Grünflächen, auf die wir uns im Rat geeinigt haben, spielt bei konkreten Entscheidungen oft keine Rolle.“ Klaus Reuschel-Schwitalla, Ratsherr der Linken, findet: „Neu erschlossener Wohnraum muss bezahlbar sein.“ Parteikollegin Leidig stimmt ihm zu: „Wohnen muss sozial und ökologisch sein, beides können Investoren nicht bieten.“
Frühstücksgespräch
Bei „Fridays for Future“ in Bonn ist die Leichlingerin Franzi Bassenge engagiert. Sie kommt am Samstag, 18. Januar, auf Einladung der Leichlinger Grünen für ein Frühstücksgespräch ins Parteibüro in der Kirchstraße 30, um über die Klimapolitik und lokale Aktivitäten zu reden. Dazu sind ab 11 Uhr interessierte Besucher willkommen.
Die Leichlingerin studiert in Bonn, hat dort viele Aktionen mit organisiert und auch bei der Klimademo im vergangenen Jahr im Leichlinger Stadtpark gesprochen. (hgb)
Auch die Erweiterung der A 3 und der verpasste Ausbau der Bahnstrecke von Solingen nach Köln kommen auf den Tisch – an einem Abend, der zeigt, dass Leichlingen großes Interesse am politischen Diskurs hat. Im Großen wie im Kleinen.