In Kürten gründete sich vor 175 Jahren der Musikverein Kürten. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts lebten die Menschen in bitterer Armut. Für ihre Musik nahmen sie viele Entbehrungen auf sich.
175 Jahre Kürtener MusikvereinWie die Musik zu den Bauern und Tagelöhnern kam
Spiegel in die bergische Vergangenheit sind selten. Die Menschen schrieben im vorvergangenen Jahrhundert, dem 19., fast nie auf, was sie bewegte. Zu drückend waren die Verhältnisse für die Tagelöhner, Bergarbeiter und Kleinbauern. Früh zu Fuß zur Arbeit, spätabends zurück, das war meist der Tagesablauf für die Männer. Dazwischen wartete harte Arbeit mit wenig Lohn.
Die Frauen kümmerten sich um die (meist vielen) Kinder, vielleicht um eine kleine Viehhaltung, die es manchmal gab. Für viele ging es ums nackte Überleben. Und das an jedem Tag. Aus diesen schweren Zeiten berichtet die Chronik des Musikvereins Kürten. Im Herbst dieses Jahres beging das Laienorchester sein Stiftungsfest zum 175-jährigen Bestehen, ein in der bergischen Musiklandschaft seltenes Jubiläum. Tagelöhner machten Musik Kürten war damals, also um das Gründungsjahr 1847, noch ein Dorf, und zwar im ursprünglichen Sinn des Wortes.
Täglich harte Feldarbeit
Von einem Hauptort zu sprechen, wäre sicher nicht richtig. Gehöfte, Katen und Häuschen verteilten sich auf die vielen Dörfer, und der Tagelöhnerei gingen die allermeisten nach. Harte Feldarbeit war das tägliche Los der Kürtener, und manch einer wanderte in dieser Zeit in die USA aus. Musisches, gar Musikalität, wird in Kürten vor den Aktivitäten des Musikvereins kaum bekannt gewesen sein.
Ohne Frömmigkeit, ohne Kirche kein Musikverein: Johann Otto Tuchscherer, der als sangesfroh und musikliebend beschriebene Pastor von Kürten, hatte 1846 den Anstoß mit der Gründung eines Kirchenchores gegeben. Lehrer Groffmann (oder Grossmann) soll es gewesen sein, der den ersten Funken der Musik zu den Bauern und Tagelöhnern brachte. Im Jahr darauf gründete sich der Musikverein, zunächst aus praktischen Erwägungen des Pfarrers.
Prozessionen an den kirchlichen Festtagen mussten, wie es in einer Festschrift des Vereins heißt, große Distanzen überbrücken, Musik half den Gläubigen und ermunterte sie.Biesfeld, Offermannsheide und Kürten gehörten zu einer Pfarrei, und die Wege waren damals eher ungepflasterte Holperpisten. Auch zur Begleitung der alljährlichen Wallfahrten, etwa nach Kevelaer an den Niederrhein, sollten die Jungmusiker aufspielen.
Auch der "Piefen Schmetz" war dabei
Der Drechsler und Kunstschmied Wilhelm Schmitz, der „Piefen Schmetz“, gehörte zur Riege der Gründerväter. Er fertigte in seinem Haus am Kirchplatz 1 (es steht noch und wird heute als Bäckerei und Café genutzt) die berühmten „Kürtener Pfeifen“, Kurzpfeifen oder Porzellanpfeifen, und gilt als Kürtener Original. Später diente sein Wohnhaus als Probenlokal für die Musiker. Aus dem Weiler Morteln stammten die Brüder Johann und Wilhelm Meyer, auch zwei Drechslergesellen sollen in Liebe zur Musik entflammt sein.
Sie alle nahmen alle 14 Tage kilometerlange Fußmärsche nach Radevormwald im Oberbergischen in Kauf, wo ihnen ein befreundeter Musiker namens Bornewasser Unterricht erteilte. „Es war keine Lusttour“, heißt es dazu in der Chronik des Vereins. Gewiss an den Wochenenden machten sich die angehenden Musiker durch Täler und über Berge auf in Richtung Radevormwald, 25 Kilometer zu Fuß hin, 25 zurück, beides kaum zu schaffen an einem Tag.
Frühmorgens müssen die Mannen aufgebrochen sein, spätabends in der Dunkelheit vielleicht die Rückkehr. Oder sie übernachteten und kehrten am folgenden Tag zurück, ihre Frauen und Kinder mussten alle zwei Wochen auf sie verzichten. Zwischen den Fußmärschen, bei denen sie vielleicht die Instrumente mühsam mitschleppten, blieben einige wenige Stunden für die Musik.
Erstes Konzert am Weißen Sonntag
Die Instrumente hatte sich der Kürtener Pastor in Köln geborgt, so die Überlieferung, und in der Notenlehre half der Kürtener Lehrer. Erfolg stellte sich ein: Zum Weißen Sonntag des Jahres 1847 hatten die Musiker ihren ersten Auftritt. Abseits des harten Alltags müssen die Melodien ein Erweckungserlebnis gewesen sein. Auch für diejenigen, die die Klänge hörten, wird es ein unvergessliches Ereignis, ein Höhepunkt ihres Lebens gewesen sein. Der Verein war klein in den ersten Jahren, nur eine Handvoll Männer musizierte. Soloflöte, Klarinette, zwei Hörner und eine Posaune wurden anfangs gespielt.
Das Leben der Kürtener, in das der Keim der Musik gelegt wurde, muss mehr als schwierig gewesen sein. In Kürten galt die Realteilung. Eltern, die ihren Hof hinterließen, teilten ihn auf alle Kinder auf. Auf diesen verbleibenden Flächen gründete die nachfolgende Generation den eigenen Hof.
So wurden die Anbauflächen immer kleiner, der Ertrag schmäler. 1827, nur zwei Jahrzehnte bevor sich der Musikverein gründet, berichtet der Kreismediziner von Häusern aus Holz und Lehm in Kürten, von Eichenbrettern als Fußböden, von Mistpfützen an den Ställen. Mit Rübenöl machten die Menschen Licht. Haferspreu und Stroh diente als Bettstatt. Das Leben war hart, und die Menschen starben früh. Wer krank wurde, musste stundenlange Märsche zu einem Arzt auf sich nehmen.
Häuser mit Lehmboden
Aus dem Jahr 1825 ist überliefert, dass es im Ort selbst nur 13 Häuser gab, in der gesamten Bürgermeisterei Kürten (mit Bechen) aber 423 Häuser und 108 Höfe – pro Weiler ein Hof, so die Regel. Nur die Kirchen standen mitten im Dorf, aber nicht viel mehr. Gesiedelt wurde in den umliegenden Dörfchen. Diese Struktur hat die Gemeinde bis in die Gegenwart behalten.
Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert hatten sich die Verhältnisse kaum geändert, wie in einem jetzt vom Geschichtsverein Kürten veröffentlichten Tagebuch der Elise Berscheid nachzulesen ist (Kürtener Schriften 13). „Die Häuschen waren so ärmlich gebaut, eine kleine Haustür, im Flur war Lehmboden“, schreibt sie. Die Räume seien oft derart niedrig gewesen, das man kaum habe stehen können. In diesen Lehmkaten aber funkelte die Welt der Musik wie ein Diamant.
An Heiligabend gibt der Musikverein Kürten um 15 Uhr ein Weihnachtskonzert (30 min.) vor der Kürtener Kirche St. Johannes Baptist.