Eigentlich ist der angeklagte Gladbacher ein netter Kerl. Straffällig wird er nur unter Alkohol. Darum muss er nun wieder zwei Jahre in Haft.
ProzessZwei Jahre Haft für den Bergisch Gladbacher „Sechs-Promille-Mann“
Höflich tritt der groß gewachsene, von zwei Justizwachtmeistern begleitete Angeklagte vor Gericht auf, freundlich und charmant. Ein netter Kerl mit gerötetem Kopf. Ein Ur-Gläbbischer, mit dem man gut auf der Kirmes oder im Karneval ein Bier trinken könnte. Wenn er es vertrüge.
Jedoch verträgt Heinz B. (Name geändert) kein Bier. Der 43-Jährige ist Alkoholiker. Eine „ganz harte Nuss“, wie sein Vater im Gericht sagt. Wobei das mit dem „Alkohol nicht vertragen“ relativ ist: Einen Rausch mit 6,3 Promille hat Heinz B. schon überlebt, und auch ein Desinfektionsmittel, das er im Krankenhaus geklaut hat, um seinen Pegel zu erhöhen. Aber er nimmt es, wenn er unter Strom steht, mit den Rechten seiner Mitmenschen nicht so genau und wird dann vielen mit Hausfriedensbrüchen und Gewalttätigkeiten zur Last.
Einen Aufenthalt in der Entziehungsanstalt brach der Gladbacher ab
Zuletzt saß er im Oktober 2020 mit damals bereits 18 Vorstrafen bei Strafrichterin Birgit Brandes. Er wolle nicht als der „Asi von Gladbach“ gelten, sagte er damals und zeigte sich offen für eine Therapie. Die Richterin verdonnerte den Angeklagten nach einem psychiatrischen Gutachten wegen mehr als 60 Straftaten zu einem Jahr und neun Monaten Haft und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Möglich geworden war die Unterbringung, weil Heinz B. einverstanden war. Doch in der Anstalt in Bedburg-Hau hielt es ihn nicht lang, vielmehr drängte es ihn mit Macht wieder rein in den gewöhnlichen Strafvollzug. Nachdem er seine Strafe abstinent abgesessen hatte, wurde er wieder in die Freiheit entlassen, wo es sich aber bald hatte mit der Abstinenz. Die Anzeigen häuften sich, am 28. September wurde der wieder wohnsitzlose Heinz B. erneut in Untersuchungshaft genommen.
Beim erneuten Prozess am Bensberger Gericht grüßen sich Richterin und Angeklagter freundlich — eben wie alte Bekannte. B. berichtet, wie gut es ihm in der Haft ergangen sei. Das höre sich ja geradezu wie eine Werbung für den Strafvollzug an? B. bestätigt: „Ich kann das jedem, der sonst obdachlos ist, nur empfehlen.“
Insofern scheint ein kurzer Prozess bevorzustehen, denn B. wirkt, als bitte er um Verurteilung. Getreu seinem Credo, dass er für seinen „Sch …“ auch einstehe, könnte er die 31 Vorwürfe gestehen und würde danach zu zwei Jahren Gefängnis, der Höchststrafe bei der Einzelrichterin, verurteilt werden.
Angeklagter bekundet Respekt vor der Kirche
Doch ganz so prozessökonomisch will Heinz B. das dann doch nicht haben. Er sei bereit, sich schriftlich zu den Vorwürfen zu äußern, aber nicht jetzt mündlich. Schließlich einigt er sich mit seinem Verteidiger darauf, die Hausfriedensbrüche zuzugeben. Er habe aber keineswegs ein Kirchenfenster in Herz-Jesu Schildgen zerstört, er habe nämlich Respekt vor der Kirche. Ein belastendes Foto zeige ihn gar nicht.
Auch habe er keineswegs einen schmächtigen Supermarkt-Mitarbeiter geschlagen und in den Schwitzkasten genommen. Mit dem hätte er nicht seine Kräfte messen wollen. Und auch einem Busfahrer, den er schon lange kenne, habe er keinen Faustschlag verpasst. Wenn er deswegen verurteilt werden sollte, müssten eben vorher die ganzen Zeugen gehört werden.
Woraufhin ihn die Richterin fragt: „Glauben Sie im Ernst, dass sich die Leute das aus Spaß ausdenken?“ Am Ende einigen sich die Juristen darauf, die von Heinz B. in Abrede oder mangels Erinnerung zumindest infrage gestellten Vorwürfe („Warum hätte ich das denn tun sollen?“) einzustellen, da genügend weitere Vorwürfe im Raum stünden.
Weil zudem der Anklageverfasser laut Richterin nicht sonderlich sorgfältig gearbeitet hat, bleiben schließlich 23 Fälle von Hausfriedensbruch, eine einfach und eine gefährliche Körperverletzung sowie ein als Provokation gezeigter Hitlergruß übrig, für die der Angeklagte dann die bereits die ganze Zeit im Raum stehenden zwei Jahre ohne Bewährung kassiert.
Neben dieser Strafe nimmt Heinz B. noch den wohlmeinenden medizinischen Hinweis mit in die Zelle, dass auch die stärkste Leber irgendwann einmal schlagartig genug haben könne — und den guten Rat seines im Zuschauerraum sitzenden Vaters: „Du musst aufhören zu saufen!“