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Nach MissbrauchsfallBergisch Gladbach – eine Stadt in Schockstarre

Lesezeit 4 Minuten
Bergisch Gladbach Missbrauch Spielplatz

Ein Spielplatz in Bergisch Gladbach schräg gegenüber des Wohnhauses eines der Tatverdächtigen.

  1. Der Missbrauchsfall, der in Bergisch Gladbach seinen Anfang nahm und immer weitere Kreise zieht, erschüttert die Bevölkerung.
  2. Der 42-Jährige soll Mitglied eines Kinderporno-Netzwerks sein und sich an seiner eigenen Tochter vergangen haben
  3. Ein Besuch in der Straße, in der einer der Tatverdächtigen mit seiner Familie ein scheinbar ganz normales Leben führte.

Bergisch Gladbach – Ob beim Bäcker an der nahen Ausfallstraße, in der Tankstelle oder auf dem Supermarktplatz – überall gibt es nur das eine Thema: Ein Bergisch Gladbacher scheint ein wesentlicher Kopf in einem verbrecherischen Chat-Netzwerk gewesen zu sein. Die 110.000-Einwohner-Stadt, die man sonst vielleicht höchstens als Heimatstadt von Heidi Klum auf dem Schirm hatte, ist seit Tagen in den Schlagzeilen.

„Lassen Sie das doch mal ruhen“, ruft eine Frau vom Balkon herunter. „Heute nicht“, winkt ein Mann mit Hund ab. Das öffentliche Interesse an der beschaulichen Wohnstraße ist auch für die Nachbarn belastend. „Wir stellen uns doch auch immer nur die eine Frage: Wie konnte das sein? Das eigene Kind!“, sagt ein Mittsechziger: „Man kann eben niemandem hinter die Stirn blicken.“

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Vergangenen Donnerstag spielte einige Häuser weiter noch ein kleines Mädchen vor der Haustür, malte mit Kreide auf dem Pflaster. Der Regen vom Wochenende hat die Bilder fast weggewaschen. Jetzt ist die Straße leer. „Meine kleine Schwester darf auch nicht mehr raus. Die ist sieben“, sagt ein junger Mann: „Man weiß doch gar nicht, ob der noch irgendwelche Connections hier hatte, mit wem der alles zu tun hatte. Das ist echt krass.“ Dabei sei der Mann, den die Polizei vor mehr als zwei Wochen verhaftete, so „korrekt“ gewesen, sagt der junge Mann. Einmal habe er auf der Straße gekifft, da sei der 42-Jährige herausgekommen und habe ihm erklärt, dass der Rauch die Nachbarn störe. „Ganz normal war der“, sagt der Anfang-20-Jährige.

„Eigentlich kennt man sich“

Ein Fahrrad stoppt vor dem Reihenhaus mit den heruntergelassenen Rollladen. Der Postbote bringt mehrere Briefe, steckt sie zu der ebenfalls noch im Briefschlitz steckenden Zeitung. Vorige Woche wirkte hier noch alles so normal: das Sandspielzeug unter der Bank vor dem Haus, der Halloween-Kürbis am Eingang. Der steht immer noch dort. Nun wirkt er irgendwie deplatziert.

„Wir haben hier eine gewachsene Struktur in der Siedlung, eigentlich kennt man sich“, sagt eine Frau. Sie sei lange in einem sozialen Beruf tätig gewesen: „Der hat nicht einmal einem Kind nachgeguckt – und er hatte ja auch selbst ein ganz kleines . . .“ Weiter kann sie nicht sprechen.

Verdächtiger tarnte sich als „Biedermann“ – Bosbach erschüttert

Dass der 42-Jährige, der viele Jahre in einer Bergisch Gladbacher Einrichtung beschäftigt war, als Pförtner viele Menschen in der Stadt kannte, durchweg als freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit beschrieben wird, wundert den Innen- und Sicherheitspolitiker Wolfgang Bosbach nicht. „Solche Menschen tarnen sich oft als Biedermänner, weil sie um jeden Preis unauffällig sein und unter dem Radar bleiben wollen“, sagt der Politiker, der in Bergisch Gladbach zu Hause ist: „Es ist mehr als nur erschütternd, dass dieses Thema, mit dem wir uns auch in der Sicherheitskommission in Düsseldorf nach dem Fall in Lügde ausführlich befasst haben, jetzt auch noch in dieser Weise in meiner Heimatstadt aufschlägt.“

Und es zeige sich einmal mehr, dass Kindesmissbrauch nicht – wie oft vermutet werde – ein Unterschichtenproblem sei: „Das ist nicht an bestimmte Orte oder Schichten gebunden.“ Trotz alledem bleibe für ihn die eine Frage, die er sich auch als Vater von drei Töchtern stelle: „Wie kann so etwas mitten unter uns stattfinden, ohne dass es jemand bemerkt hat?“

Nachbarn stellen sich im Nachhinein viele Fragen

Dass die Umsicht, nicht entdeckt zu werden, auch in den Chats der Tatverdächtigen eine Rolle spielte, hatten die Ermittler noch am Mittwoch bestätigt: Regelmäßig sei es bei den Verabredungen im Netz darum gegangen, wann die Partnerin einkaufen, bei der Arbeit oder jedenfalls nicht im Haus sei. „Jetzt wissen wir, dass das letzte Woche nicht die Blase war, die wir zum Platzen gebracht haben, sondern wohl eher nur die Spitze eines Eisbergs“, sagt ein Ermittler. Der Arbeitgeber, bei dem der 42-jährige Gladbacher beschäftigt war, hat alles, was auf eine Verbindung zu dem Tatverdächtigen hinweisen könnte, gelöscht beziehungsweise unterbunden, bestätigt allerdings auf Anfrage dieser Zeitung, dass der 42-Jährige ein langjähriger Mitarbeiter gewesen sei. „Weitere Angaben können wir aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht machen.“

Für eine Frau aus der Nachbarschaft bekommt nach den Nachrichten der vergangenen Tage manches, was sie von dem Familienvater wusste, eine neue Bedeutung. Dass er sein Kind beispielsweise in einem anderen Stadtteil in den Kindergarten gebracht habe, macht sie nun nachdenklich. Das Interesse der Polizei selbst an scheinbaren Nebensächlichkeiten wundert einen anderen Nachbarn: „Als die Ermittler hörten, dass die neulich den Garten neugemacht haben, wollten sie gleich wissen, welcher Container da vor der Tür stand, ob da Plastiksäcke rausgetragen wurden.“ Offenbar ist in dem Fall nichts mehr undenkbar.