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Interview zur Inklusion„Das Café Grenzenlos ist aus Bergisch Gladbach nicht mehr wegzudenken“

Lesezeit 4 Minuten
Portraitfoto von Andrea Kowalewski-Brüwer.

Andrea Kowalewski-Brüwer, Geschäftsführerin Inclusio Rhein-Berg, sorgt sich um die Zukunft des inklusiven Café Grenzenlos in Bergisch Gladbach.

Ab Juli 2024 fällt die Finanzierung für das Café Grenzenlos durch die Aktion Mensch weg.

Die Zukunft des inklusiven Café Grenzenlos ist nicht gesichert. Geschäftsführerin Andrea Kowalewski-Brüwer berichtet, was auf dem Spiel steht.

Ab Juli 2024 fällt die Finanzierung für das Café Grenzenlos durch die Aktion Mensch weg. Können Sie nachts noch ruhig schlafen?

Ehrlich gesagt, nicht immer. Bei mir ist die Sorge um den Fortbestand eigentlich ständig präsent. Mit dem Begegnungsort haben wir eine große Angebotslücke geschlossen. Denn im Kreisgebiet gibt es kein vergleichbares inklusives Angebot für unsere Zielgruppe, den Menschen ab dem 27. Lebensjahr. Ab diesem Alter hört nämlich die offene Jugendarbeit auf. Menschen haben aber unabhängig von Alter und dem Vorliegen einer Behinderung gleichermaßen das Bedürfnis nach einem Ort der Begegnung, nach Teilhabe am Gemeinschaftsleben und nach selbstbestimmter Freizeitgestaltung.

Was macht das Café Grenzenlos deutschlandweit so einzigartig?

Der Begriff Leuchtturmprojekt trifft es recht gut. Denn mit der Einrichtung haben wir einen Ort geschaffen, an dem das Recht aller Menschen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der inklusive Gedanke des Miteinanders gelebt werden.

Wie spiegelt sich das in Ihrem Konzept wider?

Mit unseren Angeboten bevormunden wir nicht, wir beteiligen und bieten Begegnung für alle. Durch diese zwanglose Begegnung werden Barrieren abgebaut und Freundschaften geknüpft. Damit wirken wir der Vereinsamung, die oftmals mit Behinderungen einhergeht, entgegen.

Wie viele Stammgäste hat das Grenzenlos?

Regelmäßig besuchen rund 80 Menschen mit und ohne Behinderung aus dem gesamten Kreisgebiet das Grenzenlos. Die ältesten Besucher sind jenseits des 70. Lebensjahres.

Inwiefern werden die Besucher beteiligt?

Es war von Anfang so, dass die Gäste aktiv mitarbeiten und Einfluss auf das Angebot nehmen können. Schon die ersten Überlegungen in 2017 wurden nicht über die Köpfe der künftigen Besucher hinweg gemacht. Seitdem entwickelt unser inklusiver Arbeitskreis, der sich aus Gästen zusammensetzt, gemeinsam mit den hauptamtlichen Kräften unsere konkreten Angebote und überprüft sie anschließend auf Barrierefreiheit. Das Angebot hat sich etabliert und ist, das das zeigen die Besuchszahlen, aus Bergisch Gladbach nicht mehr wegzudenken.

Wie kam es zu der Idee des Café Grenzenlos?

Das Grenzenlos knüpft nahtlos an das Angebot des Café Leichtsinn an. Dort gibt es seit vielen Jahren ein inklusives, niederschwelliges Angebot für Menschen bis zum 27. Lebensjahr. Als Mutter eines mehrfach behinderten Sohnes, der mit seinen Freunden regelmäßig das Café Leichtsinn besucht hat, habe ich erfahren, wie wichtig ein solches Angebot für ein selbstbestimmtes Leben vor allem für Menschen mit einer Behinderung ist. So ist die Idee des Anschlussprojektes entstanden. Ich weiß aus eigenem Erleben, welchen Wert derartige Angebote für die Gemeinschaft und für jeden einzelnen von uns haben.

Wie sieht das konkrete Angebot aus?

Herzstück ist der offene Treff. Hier kann man einfach sein, Gesellschaft haben und Spielepartner finden. Gäste können sich mit ihren verschiedenen persönlichen Erfahrungen gegenseitig unterstützen, aber auch Rat suchen. Hinzu kommen spezielle Angebote und Workshops in Studioform, beispielsweise das Lesestudio, das Medienstudio oder das Kreativstudio. Hinzu kommen gemeinsame Ausflüge.

Im Café ist auch ein ‚Mitarbeiter ‘mit Behinderung im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes beschäftigt. Auch das ist doch nicht selbstverständlich?

Nein, ich glaube, er ist in Nordrhein-Westfalen der einzige Bufdi mit einer geistigen Behinderung. Er betreut die Gäste und assistiert bei Bedarf im offenen Treff und bei den Studios. Außerdem haben wir einen betriebs-integrierten Arbeitsplatz für eine Mitarbeiterin aus der Behindertenwerkstatt. Sie erlernt Kenntnisse und Fertigkeiten für den ersten Arbeitsmarkt wie Assistenz, Gästebetreuung und Service.

Was würde die Schließung für die Menschen, die die Einrichtung regelmäßig besuchen, bedeuten?

Für unsere Besucher wäre das ein großer Verlust. Die Möglichkeit der selbstbestimmten Teilhabe, der selbstbestimmten Freizeitgestaltung wäre genommen. Entsprechend würde das Risiko der Vereinsamung wieder ansteigen.

Die Finanzierung müsste künftig jedes Jahr neu in den Haushaltsberatungen geregelt werden. Welche Probleme würde dies für Ihre Personalplanung aufwerfen?

Wir sind sehr, sehr dankbar, dass sich die Politik in Bergisch Gladbach geschlossen für den Erhalt unserer Einrichtung einsetzt. Natürlich kennen wir die Vorgaben des Haushaltsrechts, die konkrete Haushaltslage. Dennoch wünschen wir uns eine langfristige Lösung. Denn für unsere Arbeit brauchen wir engagiertes Personal, dem wir auch eine Perspektive bieten wollen.

Wie profitieren die Besucher ohne Behinderung von dem Miteinander?

Durch das Miteinander erleben sie, dass es keine Rolle spielt, ob ein Mensch eine Behinderung hat oder nicht, dass alle Menschen dieselben Wünsche und Hoffnungen für ihr Leben haben. Sie verlieren Vorurteile und vergessen ganz schnell, dass ihr Gegenüber eine Behinderung hat. Das verändert auch ihre Haltung außerhalb des Grenzenlos.