Mit einem Hilfskonvoi der Stadt Bergisch Gladbach ist unser Autor in die ukrainische Partnerstadt Butscha gefahren und berichtet, wie sich die Menschen dort gegen den Krieg stemmen.
Im Hilfskonvoi nach ButschaBergisch Gladbachs Partnerstadt zwischen Tod und Lebenswille
Eine blau-gelbe Fahne weht auf dem Grab. Fest hält der kleine Junge die Hand seiner Mutter, die einen Strauß Blumen auf das Grab legt. Tränen laufen ihr über die Wange. Der gerade mal Zehnjährige legt den Arm um seine Mutter. Der 28-Jährige, der dort begraben liegt, war sein Vater.
Auch langjährigen Feuerwehrleuten aus der Fahrercrew des jüngsten Bergisch Gladbacher Hilfskonvois geht diese Begegnung auf dem Soldatenfriedhof von Butscha an die Nieren.
„Manche, die hier liegen, sind gerade mal 20“, sagt Tetiana Rybakova, bevor ihr die Stimme versagt. Auch der Mann der Deutschlehrerin, die im Sommer mit 30 Schülerinnen und Schülern nach Bergisch Gladbach kommen wird, ist an der Front. Im schwer umkämpften Bachmut. Die letzte Nachricht, die sie von ihm hat, stammt vom Vorabend. „Man weiß nie, wie der nächste Tag wird“, sagt die Mutter von zwei Kindern, die den Fahrern des Hilfskonvois aus Bergisch Gladbach übersetzt.
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Anatolii Fedoruk, der Bürgermeister von Butscha, hat sich den Tag freigemacht, um die Besucher, die im sechsten Bergisch Gladbacher Hilfskonvoi Bau-, Feuerwehrfahrzeuge und weitere Hilfsgüter erstmals bis in die ukrainische Partnerstadt im Nordwesten Kiews gefahren haben, seine Stadt zu zeigen. Eine Stadt zwischen Tod und unbändigem Wiederaufbauwillen. Eine Stadt, in der jeden Tag neue Gräber für gefallene Soldaten ausgehoben werden und in der zugleich an allen Ecken und Enden zerschossene Gebäude wieder aufgebaut, die Spuren des Kriegs beseitigt werden.
„Wir wollen es abwaschen“, erklärt Deutschlehrerin Tetiana Rybakova den Konvoifahrern aus dem Bergischen. „Es“ – das ist das Grauen der auf offener Straße von russischen Soldaten erschossenen Zivilisten, deren Bilder um den Globus gingen und die Stadt weltweit bekannt gemacht haben.
Die Bilder, die Fotografen der Nachrichtenagentur Reuters aufgenommen und der Stadt Butscha zur Verfügung gestellt haben, sind in jener Andreas-Kirche zu sehen, hinter der kommunale Arbeiter die Toten von den Straßen in Massengräbern bestatteten, nachdem dies die russischen Besatzer nach etlichen Tagen endlich erlaubt hatten.
Erst nach Abzug der russischen Truppen konnten die Bewohner von Butscha daran gehen, die Toten zu exhumieren, zu identifizieren und in Einzelgräbern zu bestatten.
IT-Expertin ließ die Toten von Butscha identifizieren
Die Identifizierung zu organisieren, war damals Aufgabe von Mykhailyna Skory-Shkarivska, die zuvor für die Digitalisierung in der Stadtverwaltung zuständig gewesen war. Die Mutter eines Sohnes, deren Vater 2014 bei der russischen Besetzung der Halbinsel Krim fiel, gehörte zur ersten Delegation aus Butscha, die Bergisch Gladbach im Herbst zum Stadtfest besuchte. Keine Frage, dass sie auch die Konvoifahrer aus der bergischen Partnerstadt begrüßt.
An der Gedenkstätte der vormaligen Massengräber hinter der Andreas-Kirche, in denen 160 Menschen notdürftig bestattet worden waren, darunter auch Kinder und zahlreiche Frauen, legen Bergisch Gladbachs Bürgermeister Frank Stein und Feuerwehrchef Jörg Köhler Blumen in den Nationalfarben der Ukraine und Deutschlands nieder.
„Genau vor einem Jahr war Ihre Außenministerin Annalena Baerbock hier“, sagt Pater Andrii Galavin, der während der gesamten russischen Besatzungszeit in der Stadt geblieben ist. Auf seinem Handy zeigt der Seelsorger Fotos aus den Kellern, in denen erschossene Bürger von Butscha gefunden wurden – an Armen und Füßen gefesselt.
„Mehr als 400 Zivilisten wurden hier innerhalb weniger Wochen getötet“, erläutert Alina Saraniuk, die in der Stadtverwaltung von Butscha die eigens eingerichtete Abteilung für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit leitet. In der Kirche sind Pläne für eine Gedenkstätte hinter dem Gotteshaus ausgestellt. In Butscha weiß man um die eigene Symbolkraft.
„Butscha ist ein Symbol dieses Krieges“, sagt Alina Saraniuk, „aber es gibt viele Butschas in der Ukraine.“ Mit dem Namen der Stadt wolle man auch auf die noch größere Not leidende Bevölkerung in aktuell umkämpften Gebieten des Landes aufmerksam machen, sagt die 27-Jährige und lässt keine Zweifel daran, dass die Beziehung zu Bergisch Gladbach eine besondere ist: „Ihr kommt trotz Krieg zu uns, helft immer wieder und seid in kurzer Zeit von Partnern zu Freunden geworden“, sagt sie.
Warum Butschas Partnerschaft mit Bergisch Gladbach besonders ist
Der Ort ist ein Symbol des Ukraine-Kriegs: Ob EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg oder Japans Regierungschef Fumio Kishida – sie alle haben wie in dieser Woche auch die Bergisch Gladbacher Konvoifahrer die Gedenkstätte hinter der Andreas-Kirche von Butscha besucht. Doch wer durch die 36 000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Kiews geht, findet nur einen Platz, der seit dieser Woche nach einem der neuen Kontakte in aller Welt benannt ist: der „Bergisch Gladbacher Platz“. Zugegeben, der Name ist schon auf Deutsch schwer auszusprechen, doch nicht nur Bürgermeister Anatolii Fedoruk ist zuversichtlich: „Das werden alle noch lernen.“ (wg)
Die Hilfskonvoifahrer aus Bergisch Gladbach haben neben Hilfsgütern selbst ein Friedenssymbol im Gepäck. Über 2000 Kilometer haben Niklas Habers und Timo Stein das bei der Aussendungsfeier im Altenberger Dom entgegengenommene Altenberger Licht im Cockpit ihrer Sattelzugmaschine mitgebracht.
In einer Andacht, die Habers gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Gladbacher Partnerschaftsvereinsvorsitzenden, Frank Haag, vorbereitet hat, wird es an Pater Andrii Galavin übergeben – mit dem Wunsch nach Frieden. An dessen Verwirklichung wollen auch die Bergisch Gladbacher Freunde mitwirken, wie sie versprechen – eine beeindruckende Geste.
Nächste Folge in der kommenden Woche: „Die Minengefahr ist geblieben“ – wie die Feuerwehr in Butscha mit Fahrzeugen aus Bergisch Gladbach ausrückt.