Mit einem Protestcamp macht die afghanische Frauenrechtlerin Tamana Paryani aufmerksam auf die Unterdrückung der Frauen in ihrer Heimat.
„Gender Apartheid“Afghanische Frauenrechtlerin Tamana Paryani protestiert in Wipperfürth
Der Hausmannsplatz in Wipperfürth ist ein ruhiger Ort, ein wenig versteckt zwischen der romanischen Pfarrkirche St. Nikolaus und der Wupper. Hier steht ein Pavillon als Regenschutz, darunter ein kleines Zelt, davor ein Sofa. Die international bekannte Frauenrechtlerin Tamana Paryani hat ein Protestcamp aufgeschlagen.
Große Fotos und Transparente machen das Anliegen klar: Die Menschen wachzurütteln und aufmerksam zu machen auf die alptraumhafte Situation der Frauen in Afghanistan. Dort regieren seit August 2021 die radikal-islamischen Taliban. Frauen dürfen nicht mehr studieren, dürfen nicht arbeiten und ohne männliche Begleitung einen Arzt aufsuchen. Mädchen werden zwangsverheiratet, nicht selten als Zweit-, Dritt- oder Viertfrau.
Das Protestcamp in Wipperfürth will aufrütteln
Tamana Paryani, ihre Schwestern und andere mutige Frauen gehen in Kabul auf die Straße, um für die Rechte der Frauen zu demonstrieren. Dann geschieht das Furchtbare: Mit Äxten bewaffnete Männer schlagen im Januar 2022 die Wohnungstür der Familie ein und verschleppten Tamana und drei ihrer Schwestern ins Gefängnis.
Tamana hat in Todesangst die furchtbaren Sekunden direkt vor der Entführung mit ihrer Handykamera gefilmt und auf Facebook gestellt, ein Video ist bei der BBC auf YouTube abrufbar. Dann beginnt die Tortur im Gefängnis. „Die Wachen haben uns geschlagen, getreten und mit Elektroschocks gefoltert“, schildert die 26-Jährige in fließendem Englisch, aber mit stockender Stimme. „Mir wurde eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, und man hat mich mit eiskaltem Wasser übergossen.“
Nach drei Wochen kommt die junge Frau frei. Sie muss die verhasste Burka tragen und sich verstecken, über Monate hinweg. Jeden Tag kann sie erneut verhaftet werden. „Die Taliban haben uns die Pässe weggenommen“, schildert sie. Dennoch gelingt der ganzen Familie, Tamana, ihren Eltern und ihren Geschwistern, unter abenteuerlichen Bedingungen die Flucht nach Pakistan. Deutschland erklärt sich bereit, die Paryanis aufzunehmen, im Sommer 2022 kann die Familie ausreisen.
Doch für Tamana und ihre Schwestern geht der Kampf weiter. In Köln angekommen, errichten sie gegenüber dem Kolumba-Museum ein erstes Protestcamp. Sie wollen erreichen, dass die UNO Afghanistan als ein Land mit „Gender-Apartheid“ einstuft. „Nur dann können die Machthaber sanktioniert und vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden“, sagt Tamana, die in ihrer Heimat Jura studiert hat.
Kampf gegen „Gender Apartheid“
Zusammen mit weiteren Aktivisten treten Tamana und eine ihrer Schwestern in Köln in den Hungerstreik, um deutlich zu machen, wie bitterernst es ihnen ist. Nach zwölf Tagen erleidet die 26-Jährige einen Schwächeanfall und kommt in ein Krankenhaus. Mittlerweile lebt die ganze Familie in einer Unterkunft für Geflüchtete in Oberberg. Wie es dort ist? Die junge Frau überlegt kurz, was sie sagen will. „Hauptsache, wir leben.“
Täglich besucht sie einen Sprachkurs in Wipperfürth, der ganz in der Nähe des Protestcamps stattfindet. Dort finden sich regelmäßig Unterstützer ein, zu denen auch Nazeer Raha gehört. Der Afghane lebt seit 2019 in Deutschland und wohnt mit seiner Frau und den zwei Söhnen, 16 und sieben Jahre alt, in Marienheide.
Tamana Paryani will sich nützlich machen. Seit kurzem hilft sie in der Speisekammer in Frielingsdorf mit, wo Lebensmittel an Bedürftige ausgegeben werden. „Die Menschen dort sind alle sehr nett und interessieren sich für uns und unser Anliegen“, schildert sie. Zwei junge Polizisten kommen am Camp auf dem Hausmannsplatz vorbei. „Wie geht’s heute?“, fragen sie freundlich — man kennt sich schon. Bis Ende Oktober will die afghanische Frauenrechtlerin ihr Protestcamp in Wipperfürth aufrechterhalten und weiter kämpfen — für die Rechte der Frauen in Afghanistan und gegen das Vergessen der Welt.