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Interview

Europawahl
Wie zwei Wiehler Erstwählerinnen über die EU denken

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Schülerinnen vor einem Plakat.

Die Bielsteiner Zwillinge Hannah (l.) und Clara Pätzold sind sich in vielen Fragen einig. Aber nicht in allen.

Clara und Hannah Pätzold sind 16 Jahre alt und dürfen am 9. Juni zum ersten Mal wählen. In unserer Reihe „Denk ich an Europa“ hat Reiner Thies mit ihnen gesprochen.

Die eineiigen Zwillinge gehören zum zehnten Jahrgang des Wiehler Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums, wo bereits am 5. Juni alle Schüler ab der siebten Klasse über das EU-Parlament in einer Juniorwahl abstimmen.

Wann wart Ihr das letzte Mal im europäischen Ausland?

Clara: In den Osterferien, auf der niederländischen Insel Texel. Dort waren wir mit unseren Eltern schon ein paar Mal und kennen uns ein bisschen aus. Wir fühlen uns auf Texel immer sehr willkommen.

Hannah: Und wir waren vor zwei Jahren vier Tage lang auf Klassenfahrt in Brüssel. Dort haben wir auch das EU-Parlament besichtigt und eine Ausstellung über die Geschichte der europäischen Einigung gesehen.

Clara: Es ist schon cool, dass es die europäischen Länder so weit gebracht haben.

Welchen Nutzen hat die Europäische Union für Euch?

Clara: Im Urlaub ist alles viel einfacher, es gibt keine Grenzkontrollen und in vielen EU-Ländern dieselbe Währung.

Habt Ihr auch Probleme mit der Europäischen Union?

Hannah: Bei Lebensmitteln sind die europäischen Richtlinien oft schwach. Ich will keine gespritzten Erdbeeren aus Spanien essen. Ich achte auf meine Ernährung und bin Vegetarierin.

Clara: Ich versuche zumindest, nur gutes Fleisch aus möglichst ökologischer Erzeugung zu essen.

Hannah: Ich versuche jeden Tag, sie zu überreden, ganz auf Fleisch zu verzichten. Immerhin essen wir in der Familie insgesamt weniger Fleisch, seit ich Vegetarierin bin.

Seid Ihr auch sonst sehr verschieden?

Hannah: Wir gehen zusammen auf Konzerte, aber wir ziehen nicht das Gleiche an.

Clara: Ich würde auch akzeptieren, wenn Sie eine andere Partei wählt als ich. Es sei denn, es ist eine richtig krasse Partei. Aber in den meisten Fragen haben wir eine ähnliche Meinung.

Hannah: Kein Wunder, schließlich verbringen wir schon das ganze Leben miteinander.

Gibt es bei Euch in der Klasse heftige politische Diskussionen?

Clara: Es gibt zwei Gruppen. Wir sind eher auf der Seite der Leute, die offen sind. Auch für jemanden, der beispielsweise eine andere sexuelle Orientierung hat. Das ist nicht bei allen im Jahrgang so. In der neunten Klasse gibt es aber noch mehr Hater.

Hannah: Ich diskutiere gern, versuche aber sachlich zu bleiben.

Clara: Bei mir kommt es schon mal vor, dass ich keinen Bock mehr habe, mit jemandem von der anderen Gruppe über politische Fragen zu reden. Im Freundeskreis haben wir alle ähnliche Werte.

Hannah: Im Philosophieunterricht haben wir uns mit Toleranz beschäftigt. Die Schule tut viel dafür.

Wie viel Politik erreicht Euch über die sozialen Medien?

Hannah: Wegen der Anonymität sind viele Leute eher bereit, Hass zu verbreiten. Aber Social Media ist sicher ein wichtiger Weg, um junge Leute überhaupt anzusprechen. Wir haben übrigens auch richtige Post von den Grünen im Briefkasten gehabt, den Flyer fand ich ansprechend, weil er sich gezielt an junge Leute richtet.

Clara: Das Problem vor allem bei TikTok ist ja, dass man immer mehr von demselben Zeug bekommt, wenn man es liket. Das geschieht erst ganz unscheinbar, wird aber immer extremer. Und was in den Kommentarspalten abläuft, ist keine richtige Diskussion.

Habt Ihr Euch in der Schule mit der Europawahl beschäftigt?

Hannah: Wir haben im Politikunterricht den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung genutzt. Und wir haben uns „Die Parteien in 150 Zeichen“ angesehen. Dort hat jede Partei in kurzer Form zwei Fragen beantwortet: Wofür steht Ihre Partei in Europa? Was sind Ihre drei wichtigsten Themen im Wahlkampf?

Habt Ihr Euch schon für eine Partei entschieden?

Clara: Mehr oder weniger. Es gibt eine Tendenz, aber bevor ich mein Kreuz mache, will ich mich noch mal mit dem Parteiprogramm beschäftigen.

Ist es richtig, dass man schon mit 16 Jahren wählen darf? Sollte das auch bei der Bundestagswahl eingeführt werden?

Hannah: Nee!

Clara: Ja!

Hannah: Ich denke manchmal, dass noch nicht alle 16-Jährigen so weit sind.

Clara: Es gibt auch Ältere, die nicht wissen, wie und warum sie wählen sollen.

Hannah: Ich finde, die Bundestagswahl ist noch wichtiger als die Europawahl. Dort wählt man die Leute, die entscheiden, was mit dem Steuergeld passiert. Und da wäre es schon besser, dass die Wähler erstmal gelernt haben, mit ihrem eigenen Geld umzugehen.

Clara: Da ist was dran. In unserem Alter ist es doch eher eine Minderheit, die eine klare politische Meinung hat.

Hannah: Die Europawahl ist ein guter Einstieg ins Wählen.


Juniorwahl in Wiehl

Das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium beteiligt sich zum dritten Mal an der Juniorwahl. Alle Schülerinnen und Schüler ab der siebten Klasse dürfen mitmachen, unabhängig davon, welche Staatsbürgerschaft sie haben. Organisiert wird die Juniorwahl von dem gemeinnützigen und überparteilichen Verein Kumulus mit Sitz in Berlin, der zudem didaktisches Unterrichtsmaterial zur Vorbereitung der Wahl zur Verfügung stellt. Auf europäischer Ebene wird das Projekt vom EU-Parlament unterstützt.

Zur realitätsgetreuen Wahlsimulation gehören ein Wahlvorstand und ein Wählerverzeichnis. Die Schüler bekommen Wahlbenachrichtigungen, machen ihr Kreuz in Wahlkabinen auf einem Stimmzettel, der dem echten Dokument entspricht, und stecken ihn in eine verplombte Urne. Das Ergebnis darf nicht vor dem Schließen der Wahllokale am 9. Juni bekannt gegeben werden.

Für den Wiehler Politiklehrer Jochen Poppe ist die Juniorwahl ein wirksames Lehrmittel: „Die Schüler machen die Erfahrung von Demokratie und lernen ein elementares Grundrecht kennen.“ Deshalb versuche das Gymnasium auch in der Mensa dieselbe besondere, geradezu feierliche Atmosphäre herzustellen, die dort herrscht, wenn sie am Wahltag ein echtes Wahllokal ist. Die Juniorwahl zwinge die Schülerinnen und Schüler, sich mit Parteien und Programmen auseinanderzusetzen, sagt Poppe. „Und es ist nachgewiesen, dass sie auch Eltern dazu bringt, sich an der Wahl zu beteiligen.“