- Als Reparationsleistung für Kriegsschäden wurden 1945 rund 30 000 Siebenbürger Sachsen in russische Arbeitslager deportiert.
- Martha Depner und Emma Hubbes erinnern sich an ihre Deportation und die Zeit im Arbeitslager.
- Heute leben beide in Drabenderhöhe, wo eine Gedenkfeier im Altenheim an die Deportation erinnert.
Drabenderhöhe – Ein Haus in Hermannstadt, 13. Januar 1945, morgens 6 Uhr. Fäuste hämmern an die Tür, die Familie wird aus dem Schlaf gerissen. Bewaffnete Soldaten, Russen und Rumänen, stürmen ins Haus, brüllen Befehle. Sie sind gekommen, um den Hausherrn zu holen. Er soll zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert werden.
Rumänien hatte 1944 mit der UdSSR einen Vertrag abgeschlossen, nach dem das Land als Reparationsleistung für Kriegsschäden eine hohe Zahl von Arbeitern stellen musste. In erster Linie traf es die in Rumänien lebenden Deutschen. Rund 30 000 Siebenbürger Sachsen wurden zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert: Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren, Männer von 17 bis 45 Jahren. Nur Mütter, die ein Kind unter einem Jahr hatten, wurden verschont.
Zwei Wochen Fahrt im Viehwaggon
Zitternd stand Martha Depner, die damals noch Tittes hieß, im oberen Stockwerk, und beobachtete die Szene. Die 21-Jährige stammte aus Heldsdorf und kümmerte sich um den Nachwuchs des Hauses. „Die Soldaten sahen mich, fragten nach meinen Papieren und brüllten: ,Du hast Dich hier also versteckt!’. Dann musste ich meinen Rucksack packen. Ich erhielt einen Schlag in den Rücken und fiel fast die Treppe runter.“ Sie wurde wie hunderte andere Menschen zur Sammelstelle in die Turnhalle gebracht.
Emma Hubbes, geborene Neudörfer, wohnte noch in ihrem Elternhaus in Heldsdorf, als die Soldaten kamen. Sie nahmen die 18-Jährige sowie ihre Schwestern Katharina und Klara mit. In der Nacht wurden sie in Viehwaggons gesperrt. „Wir wurden mit mehr als 40 Männern und Frauen in einen Waggon gequetscht. Morgens setzte sich der Zug in Bewegung.“ Zwei Wochen dauerte die Fahrt, keiner wusste, wohin sie führte. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Es gab kein Wasser zum Waschen.
„Wir fühlten uns vogelfrei“
Trinkwasser wurde in eine Konservendose geschüttet, ab und zu gab es einen Löffel Hirsebrei. Martha Depner erinnert sich: „Beim ersten Halt kam ein Soldat und schlug mit der Axt ein Loch in den Boden des Waggons, dass die Fetzen flogen. Dann hockte er sich drüber und zeigte: Das ist jetzt ein WC. Das war entwürdigend.“ Der Hunger war groß. „Einmal ging die Waggontür auf, und es wurde ein Haufen roher Rippchen reingeschmissen. Ich weiß nicht, wer sie gegessen hat, es war so eklig, aber sie waren bald weg“, sagt Martha Depner.
Jugend ohne Eltern
Der 13. Januar 1945 war der vierte Geburtstag der kleinen Enni Kellner. Es war der Tag, an dem sich alles ändern sollte. Ihre Mutter Anna wurde nach Russland gebracht. Erst 1958 sahen sich die beiden wieder. Enni Janesch, wie sie seit ihrer Heirat heißt, war 45 Jahre lang aktiv im Vorstand der Kreisgruppe der Siebenbürger Sachsen in Drabenderhöhe. An diesen schicksalhaften Tag vor 75 Jahren, der viele Mütter und Väter für viele Jahre von ihren Kindern trennte, kann sie sich kaum erinnern. „Ich weiß nur, dass mein Großvater mich mit dem Pferdewagen zum Sammellager in die nahe Stadt Reps brachte, damit ich mich von meiner Mutter verabschieden konnte.“ Fast alle Kinder aus ihrer Klasse im Örtchen Stein bei Kronstadt blieben ohne Eltern zurück. „Ich hatte Glück, bin liebevoll und gut behütet bei den Großeltern aufgewachsen. Kein Kind wurde seinem Schicksal überlassen, sondern wurde von Verwandten, Onkeln oder Tanten aufgenommen.“ Manchmal war es auch eine Nachbarin, die sich um verlassene Kinder kümmerte, erinnert sich Janesch. „Es gab damals noch eine intakte Gemeinschaft, alle haben geholfen.“1947 wurde Anna Kellner aus dem Lager Petrovka entlassen und nach Frankfurt/Oder gebracht. Der Vater war in Österreich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Nachdem sie sich auf einem Bauernhof bei Magdeburg von den Folgen der Deportation erholt hatte, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Mann und lief dafür zu Fuß über die Alpen. Im Januar 1949 bekamen die Kellner eine weitere Tochter, Enni Janesch lernte ihre Schwester erst im Januar 1958 kennen. Janesch weiß: „Meine Eltern, die 1953 ins Ruhrgebiet übergesiedelt waren, haben sich immer darum bemüht, dass ich zu ihnen kommen kann.“ Janesch verschweigt nicht, dass die Familienzusammenführung anfangs sehr schwer war. „Ich war 17 Jahre alt, kannte meine Eltern nicht.“ Am Ende habe man zueinander gefunden. Andere Kinder haben die Trennung schlechter verkraftet. „Viele von ihnen brachten später nicht das Wort Mutter oder Vater über die Lippen, weil sie ihnen so fremd geworden waren.“ (sur)
3. Februar 1945: Endstation für Martha Depner war das Lager Nr. 520 in Enakievo im Osten der Ukraine. „Es war mein 22. Geburtstag“, berichtet Depner. „Wir wurden registriert, unsere Papiere einbehalten, wir fühlten uns vogelfrei.“ Emma Hubbes und ihre Schwestern wurden ins Lager Makijivka gebracht. Sie mussten auf Strohsäcken schlafen. Die Frauen deckten sich mit ihren Mänteln zu.
Aus gesundheitlichen Gründen aus dem Lager entlassen
Bewaffnete Männer begleiteten die Frauen zur Arbeit. Während die Schwestern Steine klopfen mussten, wurde Martha Depner für die gefährliche Arbeit an den Hochöfen eingeteilt. Dort wurden Blöcke für Panzerstahlplatten gefertigt. „Das Eisen musste geschmolzen werden, bis es wie Sahne in die Formen lief.“ Draußen herrschten minus 20 Grad, drinnen war es heiß wie in der Hölle. „Einmal war ich zu nah an die Blöcke gekommen, der Stoff an einem Hosenbein brannte weg.“
Zu essen gab es Brot und Sauerkrautsuppe. Im Frühjahr wurde Depner zu einer Kolchose verlegt, die Arbeit am Hochofen hatte sie krank gemacht. Nun lebte sie mit vier Mädchen in einem Erdloch. „Dort krochen wir zum Schlafen rein, wärmten uns gegenseitig.“ Wieder gab es nur Sauerkrautsuppe zu essen. Martha Depner wog 35 Kilogramm, als sie 1946 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Lager entlassen wurde. Sie kam zunächst nach Deutschland. Im August 1949 heiratete sie in Österreich ihren Schulfreund Helmut Depner. Bevor sie 1966 nach Drabenderhöhe zogen, wohnten die Depners im Elsass.
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Dort lebt heute auch Emma Hubbes. Ihre Leidenszeit im sowjetischen Lager endete ebenfalls erst, als ihre Gesundheit lebensbedrohlich geschädigt war. Beim Steineschleppen hatte sie sich an der Wirbelsäule verletzt. Zudem war sie an Malaria erkrankt, sodass sie nach elf Monaten die Heimreise antreten konnte. Ihre Schwester Katharina wurde erst fünf Jahre später nach Hause entlassen. Klara sah sie nie wieder. Sie starb im Lager an Tuberkulose.
Eine Gedenkfeier im Drabenderhöher Altenheim erinnert am Sonntag, 15 Uhr, an die Deportation.