Ohne ständige Betreuung kommt der sechsjährige Altay nicht aus. Daran scheitert bisher der Besuch des Kindergartens. Der Landschaftsverband will die Kosten nicht übernehmen.
„Unser Sohn ist keine Testperson“Behindertes Kind aus Wiehl darf nicht in die Kita
Altay genießt es offensichtlich, wenn um ihn herum was los ist. Er gluckst vergnügt, strahlt übers ganze Gesicht und zeigt dabei die charmante Zahnlücke eines gerade Sechsjährigen. Luftballons hängen an der Decke des Hauses in Wiehl-Forst, vor ein paar Tagen hatte er Geburtstag.
Den Geburtstag hätte Altay sicher gern im Kindergarten mit Gleichaltrigen gefeiert, davon ist Vater Serkan Celik überzeugt: „Er ist ein fröhliches Kind, das Gesellschaft liebt.“ Er hätte auch zum 1. August einen Platz im integrativen AWO Familienzentrum in Oberbantenberg bekommen. Aber Altay kann nicht stehen und nicht gehen, er kann nicht sitzen, nicht sprechen. Alle zwei Stunden braucht er Nahrung aus der Flasche, seine Arme und Beine verkrampfen sich immer wieder und jederzeit können Anfälle auftreten.
Sechsjähriger aus Wiehl hat die höchste Pflegestufe
Durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt ist sein Gehirn geschädigt, Ursache einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen und Entwicklungsstörungen. So viele, dass sein Vater sie nicht aufzählen mag. „Er hat die höchste Pflegestufe, 100 Prozent aller Merkzeichen die es gibt. Noch schwerer behindert kann ein Kind nicht sein. Er braucht rund um die Uhr eine Person, die sich um ihn kümmert.“
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Und genau daran scheitert bisher für Altay der Besuch des Kindergartens. Denn dafür müsste er eine ständige Begleitperson an seiner Seite haben, die ihn dabei unterstützt. Das meinen nicht nur seine Eltern, sondern auch die Ärzte der Uniklinik Köln, die den Jungen seit Jahren behandeln. „Altay benötigt eine 1:1-Betreuung in multiplen Bereichen: Nahrungsaufnahme, Medikamenteneinnahme, Sprache, Bewegung. Ohne diese 1:1-Betreuung ist ein Alltag weder im Kindergarten noch in der Schule denkbar“, heißt es im Bericht der Kölner Ärzte von Ende August.
Zuständig für die Bewilligung einer Betreuungsperson ist der Landschaftsverband Rheinland. Dieser lehnte einen entsprechenden Antrag der Eltern ab. Begründung: „Der Besuch einer heilpädagogischen Gruppe wird als gewinnbringend für den Ausgleich der Teilhabebeschränkung gesehen.“ Damit werde davon ausgegangen, „dass die Bedarfe des Kindes ausreichend abgedeckt werden.“
Serkan Celik hält nichts von solch einer heilpädagogischen Gruppe: „Wie soll das gehen mit zehn weiteren schwerbehinderten Kindern?“, fragt er sich. „Ein Anfall ist jederzeit möglich – und wir sollen das ausprobieren? Gegen ärztlichen Rat? Und damit unser Kind in Gefahr bringen? Unser Sohn ist doch keine Testperson! Wenn er keine Assistenz bekommt – wer dann?“
Wiehler Mutter ist enttäuscht
Mutter Dilba, die ihre Berufstätigkeit aufgegeben hat, um sich Tag und Nacht um Altay zu kümmern, ist enttäuscht. Und fühlt sich im Stich gelassen. „Er hat es doch so schon so schwer. Alle zwei Jahre muss er operiert werden, täglich müssen wir zu Therapien fahren, damit es wenigstens nicht schlimmer wird. Er liegt im Rollstuhl, er wird nie singen, nie spielen können. Und dann verweigert man ihm noch das kleine bisschen Freude, dass er unter Kinder kommt?“
Im nächsten Jahr wird Altay schulpflichtig. Auch deshalb ist den Eltern so wichtig, dass er im Kindergarten darauf vorbereitet wird, „anstatt ins kalte Wasser zu fallen“, meint sein Vater. „Schafft er es zwei, drei Stunden in einer Gruppe auszuhalten? Klappt es mit der Nahrung alle zwei Stunden, wie kommt er mit der Situation klar?“
Der Antrag der Eltern auf eine einstweilige Verfügung sei abgelehnt worden. „Wir haben gegen den Bescheid des Landschaftsverbands geklagt. Jetzt muss das Gericht entscheiden. Doch das kann dauern.“ Für den Kindergartenbesuch von Altay ist es dann wohl zu spät, fürchten die Celiks. Wenn er im nächsten Jahr in die Schule kommt, ist die Kreisverwaltung zuständig. Dann wird sich erneut die Frage einer Assistenz stellen. Bessern wird sich Altays Zustand nicht, daran lässt der Bericht der Uniklinik keinen Zweifel.
„Wir geben nicht auf“. Mutter Dilba Celik ist entschlossen. „Wir wollen, dass unser Sohn betreut und nicht einfach in die Ecke gestellt wird. Wir können doch nichts dafür, dass die Situation so ist.“ Und Vater Serkan sagt: „Wir kämpfen, nicht nur für uns, sondern für alle schwerbehinderten Kinder und ihre Eltern in Oberberg, denen es ebenso geht wie uns.“
Weitere Fälle in Oberberg
Bettina Hühn findet: „Gut, dass mal jemand aufsteht.“ Die Geschäftsführerin der Ursula-Barth-Stiftung und Initiatorin von „Helfende Hände Oberberg“ bezeichnet die Situation der Wiehler Familie Celik als „Spitze des Eisbergs“. Sie weiß von mehr als 30 Familien mit schwerstbehinderten Kindern im Oberbergischen Kreis, die das gleiche Problem haben und denen eine Assistenz verweigert wurde. Dabei seien die inklusiven Rechte der Kinder gesetzlich verankert. „Doch die meisten Betroffenen sind so mit ihren Kindern beschäftigt, dass sie gar nicht die Kraft haben, gegen die Ablehnung vorzugehen. Manche wissen noch nicht einmal, dass sie Widerspruch einlegen können.“