„Das Virus fordert noch mehr Einsatz”Oberbergs Feuerwehr-Führung im Interview
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Oberberg – Die Jahresdienstbesprechungen der Feuerwehren fallen im Frühjahr wegen Corona aus. Zum Auftakt unserer neuen Reihe über die Lage bei den Wehren hat sich Arnd Gaudich mit dem Kreisfeuerwehrverband zur Videokonferenz zusammengeschaltet. Kreisbrandmeister Wilfried Fischer, seine Vizes Mathias Schneider und Frank Hartkopf, Geschäftsführer Michael Stricker und Kreisjugendfeuerwehrwart Michael Knabenschuh berichten über Brandschutz in der Pandemie.Zu Beginn der Pandemie setzte Corona eine komplette Einheit unter Quarantäne und außer Gefecht. Was hat das Virus bei Oberbergs Feuerwehren verändert?Fischer: Tatsächlich hatten wir eine steile Lernkurve. Der Ausfall der Einheit in Reichshof-Mittelagger hat allen Feuerwehren gezeigt, wie angreifbar uns Corona macht. Wir mussten uns der Situation schnell anpassen, um den Schutz der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. In allen Kommunen wurden die Kräfte für die Hygieneregeln sensibilisiert und eine Dokumentation eingeführt, wer mit wem bei welchem Einsatz zusammen ist.
Stricker: Ein Einsatzcontrolling gab es ja schon immer, das wurde erweitert, um die Kontakte der Kräfte für einen eventuellen Infektionsfall nachverfolgen zu können. In meiner Bergneustädter Wehr wollen wir ein digitales System einführen: Feuerwehrkräfte erhalten einen elektronischen Chip, der etwa den Zugang zum Gerätehaus ermöglicht. Das System zeigt uns auch, welche Kräfte zusammen im Einsatz oder in einem Dienst waren.
Wie können Hygieneregeln eingehalten werden, wenn es auf jede Sekunde ankommt?
Fischer: Im Einsatz trägt jeder einen Mund-Nase-Schutz, klar. Aber wenn die Männer und Frauen zum Beispiel auf dem Weg zum Brandort dicht an dicht im Löschfahrzeug sitzen und dann ihre Atemschutzausrüstung anlegen, dann geht es halt auch nicht anders.
Stricker: Den totalen Schutz wird es nicht geben, das Virus kann auch die Feuerwehr erwischen. Im Dezember musste ich in der Einheit Hackenberg neun Mann aus dem Dienst nehmen, weil eine Ehefrau positiv getestet worden war. Zum Glück wurde das Virus nicht in die Löschgruppe getragen.
Fischer: Im Januar waren in Radevormwald 10 von 16 Aktiven Kontaktpersonen. Gott sei Dank hatten sie sich an die Dienstanweisung gehalten und FFP2-Masken getragen. Auch da ist nichts passiert.
Bremst Corona die Schlagkraft der Feuerwehren aus?
Hartkopf: Man glaubt es kaum, aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Das merke ich auch als Gemeindebrandmeister von Marienheide. Seitdem so viele Menschen im Homeoffice sind statt in ihrer Firma oder ihrem Büro, ist die Tagesverfügbarkeit unserer freiwilligen Kräfte merklich gestiegen. Wenn der Alarmpieper geht, sind die Männer und Frauen schneller am Gerätehaus und im Einsatzwagen.
Schneider: So ist das auch in meiner Feuerwehr Morsbach. Zumindest das ist ein positiver Aspekt in diesen schwierigen Zeiten. Denn wir alle haben ja keineswegs weniger zu tun. Im vergangenen Jahr war die Zahl der Einsätze auf demselben Level wie in den Vorjahren auch. Die Lockdowns im Frühjahr und jetzt haben nicht dazu geführt, dass die Feuerwehren in Oberberg seltener ausrücken müssen.
Nicht nur in Einsätze investieren Oberbergs freiwillige Feuerwehrleute viel Zeit, auch die Ausbildung hat in Ihren Wehren einen wichtigen Stellenwert. Wie läuft die jetzt?
Fischer: Auch die Ausbildung steht seit letztem Jahr ganz unter dem Vorsatz, unsere kritische Infrastruktur zu schützen – sprich, das Virus nicht ins Notfallzentrum Kotthausen einzuschleppen. Das Zentrum sauber zu halten, hat oberste Priorität, denn in Kotthausen hat der Kreis ja auch seine Feuer- und Rettungsleitstelle. Zunächst haben wir unsere Atemschutz-Übungsstrecke weiterbetrieben, indem wir die Termine entzerrt haben. Das lief wunderbar. Aber Ende November mussten wir die Übungsdienste im Notfallzentrum wieder ganz einstellen.
Schneider: Wo es geht, werden wir die Ausbildung jetzt ins Internet verlagern. Gerade hat der Kreisfeuerwehrverband nach einem Auswahlverfahren eine neue Kommunikationsplattform eingeführt, die unsere Bedürfnisse erfüllt. Künftig können Seminare und Lehrgänge also online stattfinden.
Auch für die Ausbildung wurde im August das Übungszentrum in Brächen eröffnet.
Fischer: Richtig, da haben wir aber noch einige Arbeiten vor der Brust. Wir wollen die Übungshäuser herrichten, sie möblieren, um möglichst realistische Szenarien durchspielen zu können. Im Sommer, als die Pandemie sich zwischenzeitlich beruhigt hatte, haben wir in Brächen praktische Ausbildungen mit kleineren Gruppen durchgeführt. Aber auch das ruht jetzt wieder. Sobald es die Corona-Situation zulässt, werden wir auch in Brächen wieder mit Übungen und Ausbildung loslegen. Denn unterm Strich konnte im vergangenen Jahr kreisweit knapp die Hälfte der geplanten Ausbildung nicht stattfinden. Kurzfristig haben die ausgefallenen Weiterbildungen zwar keinen Einfluss auf die Schlagkraft der Feuerwehren, aber wir wollen ja auch künftig genügend Motorkettensägenführer, Sprechfunker, Maschinisten und andere Experten haben.
Die Feuerwehr rekrutiert von klein auf: In den Kinder- und Jugendfeuerwehren werden die Kräfte von morgen gewonnen. Wie geht es denen?
Knabenschuh: Gerade in den Kinderfeuerwehren und Jugendfeuerwehren in den Kommunen ist es wichtig, dass die Mitglieder sich treffen, etwas machen, anfassen und die Uniform anziehen können. Dementsprechend schwer ist jetzt die Situation, weil Treffen nicht möglich sind. Vereinzelt mussten wir leider schon Austritte hinnehmen. Dabei geben meine Kollegen überall ihr Bestes, um die Kinder und Jugendlichen trotzdem zu erreichen und bei der Stange zu halten. Da wurden zum Beispiel Malwettbewerbe veranstaltet, selbstgedrehte Videos verschickt, ein Quiz veranstaltet.
Stricker: In Bergneustadt haben wir auch Eis-Gutscheine ausgegeben und Shirts verschenkt. Aber ich habe große Sorgen, was die jungen Wehren angeht. Gut ist nur, dass uns keine anderen Vereine die Kinder und Jugendlichen abspenstig machen – weil ja derzeit alle durch Corona ausgebremst sind.
Hartkopf: Unsere Kinderfeuerwehr in Marienheide hat zum Glück weiterhin Zulauf, derzeit gibt es für die „Heier Löschlöwen“ sogar eine Warteliste. Aber natürlich ist es wichtig, dass die praktische Arbeit in den Kinder- und Jugendwehren bald weitergeht. Denn zumindest mit den ganz Kleinen kann man keine Online-Konferenzen machen.
Auch das große Jugendzeltlager fiel Corona zum Opfer.
Knabenschuh: Ein herber Schlag. Denn das ist alle zwei Jahre das absolute Highlight für unsere Jugend, bei dem sie auch die Prüfungen für die begehrte Leistungsspange ablegen. Die Tests für die Spange holen wir in diesem Jahr nach. Aber insgesamt ist die Situation schon bitter – schließlich bilden wir in den Kinder- und Jugendwehren unsere künftigen Kameraden und Kameradinnen heran.