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Demenzkranke in OberbergAlzheimer-Gesellschaft unterstützt pflegende Angehörige

Lesezeit 5 Minuten

Trotz aller Liebe und Fürsorge: Oft sind die Angehörigen von Alzheimer-Patienten überfordert.

Oberberg – Fast hätte er seine ehemalige Nachbarin nicht erkannt. Die früher elegant und selbstbewusst auftretende Dame wirkte abgeschlagen, müde, krank, huschte mit gebücktem Gang zwischen den Reihen des Supermarktes umher, als wolle sie niemandem begegnen, jegliche Nachfrage nach ihrem Befinden vermeiden.

Als die beiden dann doch ins Gespräch kamen, löste sich ihre Anspannung, ihre ganze Verzweiflung und Not, die sie über Monate mit sich alleine getragen hatte. Seit ihrer Pensionierung vor einigen Jahren pflege sie ihre 92-jährige Tante, die sei soweit rüstig und mobil, aber zunehmend dement und das bis hin zur Selbstgefährdung. „Sie lässt Wasser laufen und vergisst es, sie steht mitten in der Nacht auf und schaltet den Herd an, weil sie meint, kochen zu müssen, steht dann aber ratlos und verzweifelt mitten in der Küche, weil sie nicht mehr weiß, was sie dort wollte.“

Ursula Wolf gehörte zu den Gründerinnen der Gesellschaft

Die Schilderungen der Frau sind erschütternd, und rasch wird klar, warum sie so erschöpft und krank wirkt. Wahrscheinlich, sagt sie, müsse sie ihre Tante in ein Heim geben, sie schaffe die Rund-um-die-Uhr-Versorgung einfach nicht mehr. Aber sie sei doch die einzige Verwandte, der einzige Mensch, den die Tante noch habe. „Ich kann sie doch nicht einfach ins Heim stecken.“

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Wie macht sich Demenz bemerkbar?

Vergesslichkeit ist nicht zwangsläufig ein Indiz, dass eine Demenzerkrankung vorliegen könnte. Doch bei sich häufender Vergesslichkeit sollte das zumindest mit dem Hausarzt besprochen werden, empfiehlt Ursula Wolf, eine der Gründerinnen der Alzheimer-Gesellschaft Bergisches Land. Vergesslichkeit kann sich dabei vielfältig äußern, angefangen bei einfachen Namen, Orten oder alltäglichen Ritualen. „Ich gehe in die Küche und weiß dort nicht mehr, was ich wollte.“ Das Vergessen von Zahlen, Daten und Fakten kann Symptom sein, dem der Hausarzt oder die Hausärztin mit standardisierten Tests leicht auf den Grund gehen kann. Manchmal sind es auch Depressionen, die sich in der Symptomatik ähnlich äußern, aber keinen dauerhaften Verlust des geistigen Vermögens zur Folge haben.

Die eigentliche Diagnostik liegt aber in den Händen der Neurologie, mit CT’s und MRT’s lassen sich bereits Auffälligkeiten im Gehirn erkennen. Neuerdings, so Ursula Wolf, bietet die Lumbalpunktion, deren Ziel die Untersuchung von Gehirnwasser ist, zuverlässige diagnostische Möglichkeiten.

Heilbar ist Alzheimer – ein oft schleichender fortwährender Prozess – nicht, allerdings führt die Erkrankung auch nicht immer zu dramatischen Folgen, wie beispielsweise der Gefährdung von Leib und Leben durch eingeschaltete und dann „vergessene“ Herdplatten.

Eine gesunde Lebensweise kann jedoch dazu beitragen, die Erkrankung hinauszuzögern oder gar zu mildern. Die „Mittelmeerdiät“ mit Olivenöl und viel Gemüse rechnet Ursula Wolf dazu, Bewegung an der frischen Luft, geistige Auseinandersetzung und soziale Kontakte halten ebenfalls rege. Und, ganz bedeutend, die konsequente, zeitige Behandlung von Bluthochdruck, der zu 25 Prozent als auslösend für eine Alzheimer-Demenzerkrankung gilt. (mf)

Über mehrere Jahre war sie alleine mit der Versorgung ihrer hochbetagten Tante, deren aktueller Zustand der Erkrankung sie zunehmend überfordert.

Ihr verzweifeltes „Ich kann nicht mehr“ ist dabei so prägnant und typisch für das, was vor rund 15 Jahren zur Gründung der „Alzheimer-Gesellschaft im Bergischen Land“ führte.

Pionierin der Alzheimer-Hilfe

Ursula Wolf, die zweite Vorsitzende der Gesellschaft, gehörte zu den Pionierinnen der Alzheimer-Hilfe, die sich gerade – aber nicht ausschließlich – zur Unterstützung pflegender und betreuender Angehöriger von Demenzkranken gebildet hat. Als diplomierte Pädagogin hatte Wolf über 20 Jahre in gerontopsychiatrischen Einrichtungen gearbeitet und dabei auch die wachsende Zahl demenzkranker Menschen zur Kenntnis nehmen müssen. „2004 gab es dann einen entsprechenden Arbeitskreis beim Oberbergischen Kreis, und da ich im Ruhestand etwas sinnvolles tun wollte, ergab sich meine Mitarbeit beim Aufbau der Alzheimer-Gesellschaft“, erzählt sie im Gespräch.

Denn immer wieder fiel auf, dass gerade Angehörige – wie beispielsweise die ehemalige Nachbarin – hoffnungslos mit der Betreuung ihrer erkrankten Verwandten überfordert sind.

Die Alzheimer-Demenz, die den zunehmenden Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit beschreibt, ist die häufigste Form von Demenz und derzeit im Verlauf weder zu stoppen noch zu heilen. „Meist tritt sie bei Menschen über 65 auf“, sagt Ursula Wolf, „aber es gibt auch schon wesentlich jüngere.“ Genetisch disponiert, also vererbbar, ist Alzheimer also offenbar auch nicht, doch es gibt Risikofaktoren, etwa Bluthochdruck.

„Alleine in Nordrhein-Westfalen haben wir 360000 Alzheimer-Kranke“, schildert Ursula Wolf die ungeheure Dimension dieser Volkskrankheit.

Doch wie kann die von ihr mitgegründete Gesellschaft Angehörige entlasten, und wie funktioniert das gerade im Moment, angesichts der weitreichenden Kontaktbeschränkungen durch die Corona-Pandemie? Letzteres, so Wolf, ist durch Telefon und Internet kein großes Problem: „Viele aus der Ü-80-Generation können mit einem Computer umgehen“, räumt sie mit eventuellen Vorurteilen auf.

Was derzeit nicht geht, sind die sogenannten In-House-Schulungen für Mitarbeitende der ambulanten und stationären Pflege, denen die Grundlagen für einen kompetenten Umgang mit Alzheimer-Erkrankten vermittelt und vertieft werden sollen. Darüber hinaus verfügt die Alzheimer-Gesellschaft Bergisches Land über einen Stab ehrenamtlicher Demenzhelfer und -helferinnen, die – fachkundig geschult – elementar für die Entlastung von Angehörigen sind. „Wir vermitteln unsere Helferinnen und Helfer in Familien, wo sie den pflegenden Angehörigen die Zeit zum Regenerieren geben oder die Möglichkeit, liebgewonnene oder notwendige Dinge zu erledigen.“

Selbst wenn Corona persönliche Treffen auf ein Minimum beschränkt, so bleiben die vielfältigen sozialen Kontakte doch erhalten.