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Interview„Entnazifizierung in Oberberg ist alles verzeihend verlaufen“

Lesezeit 4 Minuten

Otto Kaufmann (1900-1985) war Lehrer und Heimatforscher.

Was war Ihre Reaktion auf die plötzliche Diskussion über Otto Kaufmanns Vergangenheit? Waren Sie überrascht?

Gerhard Pomykaj: Überrascht war ich, dass die Diskussion gerade jetzt beginnt. Schließlich habe ich ja schon vor 20 Jahren in Band drei der Oberbergischen Geschichte über Kaufmanns Verstrickung geschrieben, im Kapitel über „Ausgrenzung, Verfolgung und Widerstand“ stand alles zu lesen, was man über die von Kaufmann in Gummersbach organisierte rassekundliche Ausstellung wissen muss. Das war eigentlich eindeutig.

Wieso hat damals die Öffentlichkeit nicht reagiert?

(schmunzelt) Vielleicht hat es niemand gelesen. Einer hat es gelesen: Stefan Müller-Dohmen, der im Jahr 2014 eine Biografie über Jürgen Habermas herausgebracht hat, hat sich darin auf die Ausstellung bezogen.

Jetzt gibt es den Hinweis, Kaufmann sei doch in der Entnazifizierung entlastet worden. Was sagen Sie dazu?

Wer die Geschichte der Entnazifizierung kennt, kann das gar nicht glauben. Ich habe das gerade erst noch mal bei Dr. August Dresbach, dem ersten Landrat und einem der wenigen Nicht-Nazis damals nachgelesen. Er schrieb, dass der Weg der Entnazifizierung in Oberberg damals sehr steinig begonnen habe, aber dann doch „alles verzeihend“ verlaufen sei.

Der frühere Kreisarchivar Gerhard Pomykaj bei der Verleihung der Goldenen Stadtdemedaille in Gummersbach.

80 Prozent aller Lehrer im Oberbergischen waren in der Partei, ähnlich viele Ärzte. Das ganze System wäre zusammengebrochen, wenn nicht viele davon entlastet worden wären, obwohl sie vorher eindeutig hinter dem System gestanden haben.

Die Lesart ist nicht neu: Der Wiederaufbau hätte nicht funktioniert, wenn man Nazis nicht integriert hätte. Eine andere ist: Da gab es Netzwerke von Nazis, die sich gegenseitig über Wasser gehalten haben. Was ist richtig?

Ich finde nicht, dass es da einen Widerspruch gibt. Natürlich gab es diese Netzwerke, auch und gerade im Oberbergischen. Und natürlich haben sie von den Nöten der Demokraten profitiert. Und es galt nicht nur für Nazis. Selbst ein kommunistischer Gewerkschafter wie Albert Nohl hat mit einem von Natur aus autoritären Deutschnationalen und NSDAP-Parteimitglied wie dem späteren Landrat Friedrich-Wilhelm Goldenbogen zusammengearbeitet, wenn es zum Beispiel um die Entlastung der Industriellen ging, damit die Fabriken wieder arbeiten können.

Warum war das so?

Zur Wahrheit gehört: Die meisten Menschen damals wollten es nicht anders. Der einzige Kreistag ohne Nazis war der von 1946, der von den Alliierten eingesetzt wurde. SPD und KPD haben dann sogar mit einer konsequenten „Entbraunung“ Wahlkampf gemacht – und krachend verloren.

Umgekehrt feierte die Sozialistische Reichspartei, kurz SRP, die sich in der Tradition von Hitlers NSDAP sah und 1952 verboten wurde, vorher im Südkreis große Erfolge.

Das stimmt, bis zu 15 Prozent haben sie da geholt. Der oberbergische Süden war für sie eine Art Pilotprojekt – vor allem aufgrund seiner Vergangenheit mit Ergebnissen von bis zu 80 Prozent für die NSDAP, und das schon vor der Machtübernahme 1933. Die SRP war schnell Geschichte – in Oberberg auch dank eines heftigen Widerstandes von Dresbach. Aber bei vielen blieb die Weltanschauung.

Und die Verstrickung aufarbeiten wollte erst recht kaum einer. Als in den 60er Jahren in einem Leserbrief die Vergangenheit von Otto Marrenbach, Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsfront und damit die rechte Hand von Robert Ley, einerseits und seine aktuelle Rolle im Bürgerverein in Brüchermühle angesprochen wurde, gab es einen Sturm der Entrüstung.

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Allerdings nicht über seine Vergangenheit: Der Bürgerverein hat sich eine Einmischung in seine Angelegenheiten verbeten. Und die deutsch-französische Aussöhnung wurde in Oberberg auch von Persönlichkeiten getragen, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren. Ernst Habermas war sogar als Besatzer in Frankreich während des Krieges. Sind die alle wirklich überzeugte Demokraten geworden?

Sie haben sich lange mit der NS-Geschichte Oberbergs beschäftigt. Ist alles ausgeforscht oder gäbe es vielleicht doch noch mehr Neues zu entdecken wie bei Otto Kaufmann?

Ausgeforscht ist sowas nie. In der jüngsten Vergangenheit hat der neue Stadt- und Kreisarchivar Manfred Huppertz die Dokumentation der Judenverfolgung in Gummersbach dankenswerterweise um viele neue Quellen ergänzt. Gerhard Jenders wiederum hat sich verdient gemacht, indem er die Orte von Zwangsarbeit in Oberberg dokumentiert hat. Das Wichtigste ist aber, eine Erinnerungskultur zu erhalten. Dazu leisten zum Beispiel Jenders und der Verein „Oberberg ist bunt, nicht braun“ einen großen Beitrag.

Gibt es manchmal doch eine Neubewertung von Personen?

Ein Beispiel ist Carl Hugo Steinmüller. Vor 1933 war er ein Gegner der Nazis, danach passte er sich an. Ich hielt das lange für reinen Opportunismus. Inzwischen gehe davon aus, dass er vor allem Ende der 30er Jahre aus Überzeugung mitgemacht hat.

Was passierte mit Steinmüller in der Entnazifizierung?

Er wurde entlastet.