Damit sich ein artenreicher und zukunftsfähiger Wald entwickeln kann, müssten mehr Rehe abgeschossen werden – auch im Oberbergischen Kreis.
Landesweite StudieForscher fordern viel mehr Abschüsse von Rehen in Oberberg
Ein einziger Biss genügt. Noch während das Reh den Haupttrieb der jungen Eiche zwischen seinen Kiefern zermalmt, steht bereits fest, dass dieses Bäumchen in den nächsten anderthalb Jahrhunderten kein einwandfreies Stammholz mehr bilden wird. Je mehr Rehe, desto größer das Risiko für die Sprösslinge, die nach dem Fichtensterben zuletzt überall im Land in die Erde gesetzt wurden oder sich selbst ausgesät haben.
Ob eine viel intensivere Jagd auf Böcke und Ricken die Verbissquote senken könnte, hat der Ökologe Frank Christian Heute in den vergangenen fünf Jahren mit der NRW-weiten Studie „Rehwildprojekt“ untersucht. Dazu wählte er zwischen Rhein und Ruhr aus rund 8500 Jagdbezirken zehn Forschungsreviere aus – darunter den Wald nahe Morsbach-Siedenberg und das Areal um die Wipperfürther Neyetalsperre.
Studie: Reh-Population in Oberberg viel zu groß
Im Februar wird Heute seine Expertise im oberbergischen Umweltausschuss vorstellen – dafür hat sich etwa das Morsbacher Kreistagsmitglied Klaus Solbach (UWG) stark gemacht. Solbach ist selbst Jäger und beklagt eine viel zu große Population im Kreis. „Gesund für den Wald sind etwa sieben Stück Rehwild pro 100 Hektar – inzwischen zählen wir hierzulande bis zu 50.“
In seiner 60-seitigen Studie erklärt Heute zunächst das Grundproblem. Im Sommer gibt es genügend Gras und Blätter, um die Rehe zu sättigen. Im Winter wird es spärlich. Dann knabbern die Tiere Triebspitzen an, weil in ihnen besonders viel Energie steckt. Ganz hinten auf dem Reh-Speiseplan rangiert allerdings ausgerechnet die Fichte – die wiederum auch der Mensch nicht mehr will. Kirsche, Eiche, Ahorn und Esche werden dagegen mit Vorliebe verputzt. „Das Bild vom aufgeräumten Unterholz ist nicht natürlich, sondern die Auswirkung der Streifzüge des Rehwildes“, betont Heute und nennt Zahlen.
So dokumentierte der Ökologe in Morsbach zwischen 2017 und 2022 elf verschiedene Baumarten, die sich ausbreiten konnten, darunter auch junge Douglasien und Kiefern. An der Neye waren es gar 16 Arten, darunter etwa sämtliche Eichen-Arten. Im zweiten Schritt stellt die Studie Zahlen zur Jagd gegenüber: In allen zehn Forschungsrevieren wurden „mehr Jäger auf die Fläche gebracht“, wie Heute es beschreibt.
Normalerweise komme in Oberberg ein Jagdpächter auf 250 Hektar Wald. In Wipperfürth kümmerte sich im Forschungszeitraum ein Jäger um nur 32 Hektar, in Morsbach wurde die Reviergröße auf 55 Hektar verkleinert. Zugleich wurde hier wie dort mehr geschossen: Im Schnitt sieben (Morsbach) bis zu 15 (Neye) Tiere pro Jahr, der oberbergische Schnitt liegt der Studie zufolge bei viereinhalb bis sechs.
Waldeigentümer in Wipperfürth jagen demnächst selbst
Ist es nicht seltsam, dass ein Ökologe häufigere Abschüsse fordert? „Klares Nein“, hält Heute dagegen. „Die Population des Rehwilds muss so weit dezimiert werden, dass sich ein artenreicher und zukunftsfähiger Wald entwickeln kann.“ Frank Christian Heute empfiehlt eine radikale Änderung der Jagdstrategie – und spätestens da wird es politisch. „Bislang haben die Waldeigentümer die Jagd oft an Menschen vergeben, die viel Geld aber wenig Zeit haben. Denen fehlt oft die Muße, zeitaufwendig durch das Unterholz zu steigen. Der Handwerker aus dem Dorf ist aus dieser Sicht gegenüber dem Arzt aus der Stadt oft der bessere Jäger.“
Als NRW-weit erste Genossenschaft haben die Eigentümer in Wipperfürth-Wingenbach inzwischen angekündigt, ab dem 1. April ihre Jagdrechte nicht mehr zu vergeben, sondern selbst in die Hand zu nehmen. „Die Pachteinnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den Schäden durch Verbiss“, erklärt der dortige Vorsitzende Hubert Dörmbach die Mehrheitsentscheidung.