Die Flut hatte im Juli 2021 das gesamte Lebenswerk der Künstlerin mit sich gerissen. Nun wagt sie einen Neustart.
Neues Leben ohne FurchtKünstlerin Maf Räderscheidt ist zu Gast im Kulturbahnhof Morsbach
Es ist die Philosophie eines Neubeginns. Maf Räderscheidt bringt ihr neues Lebensgefühl mit einer Frage auf den Punkt: „Wenn du das Schlimmste schon hinter dir hast, wofür und wovor sollst du dich dann noch fürchten?“
Ihr Leben, ihre Physis, war das einzige, was sie nicht verloren hat in jener Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, als Olef und Urft mit brachialster Gewalt ihr gesamtes Lebenswerk vernichteten: über 40000 Aquarelle, 600 großformatige Ölgemälde, Bühnenbilder, Installationen, Scherenschnitte und auch die 5000 Bücher, die ein paar Tage zuvor gerade frisch aus der Druckerei angekommen waren.
Die Flut hatte der Künstlerin alles genommen
Ihr Atelier, ihr großes Lager, die Galerie – die Flut hatte ihr alles genommen und mit Öl und dem Abwasser der Klärwerke hochkontaminierten Schlamm hinterlassen, so giftig, dass die Künstlerin fast erblindet wäre und ihr Augenlicht nur dank dreier großer Operationen gerettet werden konnte. „Ich kann sogar ohne Brille lesen“, sagt die 70-jährige Künstlerin aus der Eifel mit schmunzelndem Stolz.
Und ist in Vorfreude auf den morgigen Sonntag, 21. Mai, denn an diesem Tag ist sie mit einer Ausstellung neuer Gemälde, einer improvisierenden Performance mit dem Jazz-Gitarristen Stefan Everling und einer Lesung aus ihren Büchern zu Gast im Kulturbahnhof Morsbach. „Kunst nach der Flut“ lautet der Titel des sicherlich außergewöhnlichen Nachmittags bei freiem Eintritt, zu dem Bürgermeister Jörg Bukowski um 16 Uhr die Besucherinnen und Besucher begrüßen wird.
Morsbach verbindet vieles mit der Flut, die das Ahrtal und Teile der Rureifel verwüstet hat, tatkräftige Geld- und Aufbauhilfe wird gerade auch aus der Gemeinde Morsbach heraus bis heute geleistet. Und so war es die Managerin des Kulturbahnhofes, Nadja Schwendemann, die zu Maf Räderscheidt nach Vogelsang reiste, wo die Künstlerkollegin zwischenzeitlich eine vorübergehende Bleibe gefunden hatte, in einem ehemaligen „Kameradschaftshaus“ – ohne Heizung, ohne Wasser, ohne Toilette. „Nadja kam mit Wolldecken und Heizlüftern an, wir haben uns eingehüllt und Pläne für eine Ausstellung in Morsbach geschmiedet.“
Dabei wollte Maf Räderscheidt nach der Flutnacht gar nicht mehr weiterleben. „Die Werke meines Großvaters Anton Räderscheidt wurden von den Nazis verbrannt, mein gesamtes Lebenswerk in einer Nacht zerstört, das kam mir vor wie ein Fluch, der auf unserer Familie liegt“, sagt Maf Räderscheidt. Dass sie dennoch ihren Lebensmut zurückgewonnen hat, ihre Kraft und vor allem eine Klarheit, die nie zuvor so stark und eindeutig ausgeprägt war, liegt auch an der unvorstellbaren Hilfsbereitschaft, die ihr entgegengebracht wurde. Nach drei Tagen hatte die Künstlerin bereits ihr erstes Aquarell gemalt, „mit dem Wasser, das noch in der Leitung stand.“
Seither arbeitet Maf Räderscheidt unermüdlich, im Wissen, das Verlorene nicht zurückholen zu können, aber in der Gewissheit, dass es noch so viel zu sagen gibt in der Kunst, in ihrer Kunst.
Eine Künstlerfamilie
Den ungewöhnlichen Vornamen „Maf“ hat sich die Künstlerin selbst gegeben, die Kurzform setzt sich zusammen aus den Vornamen von ihrer Großmutter, der Künstlerin Martha Hegemann, von deren Freundin Angelika Hoerle, ebenfalls Künstlerin, und von Felicitas Macarme, einer Ausdruckstänzerin. Maf Räderscheidt ist die Enkelin des Kölner Malers Anton Räderscheidt (1892 bis 1970), einem der bekanntesten Vertreter der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Kunstrichtung Neue Sachlichkeit.
In den 1970er Jahren war Maf Räderscheid eine der ersten weiblichen Meisterschüler an den Kölner Werkschulen, wo einer ihrer Kommilitonen der im vorigen Jahr gestorbene Direktor des Kunstkabinetts Hespert, Bodo Gerono, gewesen ist.