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Lebendiges OberbergSind Brombeeren listige Fleischfresser?

Lesezeit 4 Minuten
Ein Brombeerstrauch.

Schön, lecker und gefährlich: Die Brombeere hat Blüten, Beeren und Stacheln (keine Dornen).

Was rennt da über die Wiesen, was blüht hier am Wegesrand, was schwirrt über den See? Mit Unterstützung der Biologischen Station stellen wir Arten vor, die uns im Oberbergischen aufgefallen sind.

Wer im Bergischen Land eine Abkürzung durch ein Gebüsch nehmen möchte, scheitert mit hoher Wahrscheinlichkeit schon bald an einem pflanzlichen Stacheldraht – der Brombeere (Rubus sect. Rubus). Im Volksmund wird das Gewächs denn auch schlicht als „Dornen“ bezeichnet.

Bei dieser Sektion aus der Familie der Rosengewächse handelt es sich tatsächlich um „eine formenreiche Artengruppe mit zahlreichen z. T. schwierig unterscheidbaren Sippen und Kleinarten“, schreibt der Schmeil-Fitschen, das Standardwerk zur Bestimmung der Flora in Deutschland. „Zudem ist noch eine große Anzahl von Bastarden bekannt. Wer sich eingehender mit dieser schwierigen Gruppe beschäftigen will, muss Spezialliteratur benutzen.“ Botaniker sind bemüht, den weit über tausend verschiedenen Brombeeren ordnungsgemäß eigene Namen zu verpassen und kommen dabei zu bemerkenswerten Kreationen, etwa zu den Namen „Feindliche Brombeere“ (Rubus infestus), „Falsche Feindliche Brombeere“ (Rubus pseudinfestus), „Maßlose Brombeere“ (Rubus immodicus), „Unerkannte Brombeere“ (Rubus ignoratus), „Zwiespältige Brombeere“ (Rubus discors) oder „Wirrzähnige Brombeere“ (Rubus confusidens).

Die Brombeere hat auch was zu bieten

Die Brombeere ist aber nicht nur ein lästiges Hindernis in der Landschaft, das Kratzer auf Schienbeinen hinterlässt, Löcher in Funktionskleidung reißt und die Vegetationsökologen der Biologischen Stationen vor unlösbare Aufgaben bei der Kartierung stellt (sowohl bei der Begehung als auch bei der Bestimmung). Die Brombeere hat uns auch was zu bieten – und zwar Brombeeren! Die Beeren, die wissenschaftlicher betrachtet Sammelsteinfrüchte sind, verlängern die Erntesaison nach Erdbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren und Blaubeeren bis in den Herbst hinein. Wer im Früh- und Hochsommer verpasst hat, Früchte für Smoothies oder Marmeladen zu sammeln, kann das ab dem Spätsommer mit den Brombeeren nachholen.

Aber jetzt kommen wir wieder zu einer unangenehmen Seite dieses heimischen Strauches. Schafhalter proklamieren, mit der Brombeere eine neue Art fleischfressender Pflanzen entlarvt zu haben! Die Schäfer erleben es angeblich immer wieder: Plötzlich fehlt ein Schaf und kommt nicht zur Herde zurück. Nach Tagen findet man es, verendet mit dem Kopf voran in einem Brombeergebüsch stecken. Beim Grasen verfangen sich die unbedarften Wiederkäuer mit ihrer Wolle in den Ranken. Aufgrund der nach innen gerichteten Stacheln gibt es für die Tiere dann nur noch den Weg ins Zentrum der Pflanze, zur Wurzel. Also dort, wo die vielen Nährstoffe, die so ein Kadaver bietet, im Interesse der Pflanze aufgenommen werden könnten.

Die Stacheln geben auch eine Kletterhilfe ab

Das klingt verdächtig nach einem Plan, den die Brombeere verfolgt. Botaniker sträuben sich dagegen, Brombeeren der Zoophargie zu überführen. Dennoch könnte man die Frage stellen, warum sich in der Evolution der Brombeere nach innen gerichtete Stacheln durchgesetzt haben. Der Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky sagt: „Nichts in der Biologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Evolution.“ Die Stacheln, die nach außen gerichtet tatsächlich effektiver zur Abwehr von Fressfeinden eignen würden, geben einwärtsgerichtet aber auch eine sehr passable Kletterhilfe im Kampf um den besten Platz an der Sonne ab – ein Zweck abseits abenteuerlicher Hypothesen. Darüber hinaus sind fleischfressende Pflanzen per Definition Organismen, die andere Tiere fangen und töten, um Nährstoffe zu gewinnen, indem sie ihre eigenen Enzyme oder Bakterien verwenden, um sie zu verdauen.

Brombeeren verfügen nicht über solche Enzyme oder Bakterien, wie man sie von Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) oder Sonnentau (Drosera) kennt. Brombeeren locken die Schafe auch nicht an, wie es echte Fleischfresser tun würden. Schließlich sind keine wild vorkommenden Tiere im Verbreitungsgebiet der Brombeere bekannt, die ein wolliges Fell wie die dahingehend gezüchteten Schafe haben. Die nach innen gerichteten Stacheln der Brombeere waren lange vor dem Auftreten von wolligen Schafen in der Landschaft vorhanden. Ob sich im Pleistozän Moschusochsen oder Wollnashörner in ähnlicher Weise verhedderten, ist nicht belegt. Wer jetzt enttäuscht ist, kann sich damit trösten, dass sich Brombeeren aber als proto- oder präkarnivore Pflanze definieren lassen. Das sind Pflanzen, die nicht alle Voraussetzungen erfüllen, um als echte fleischfressende Pflanze anerkannt zu werden.

In den meisten Fällen bedeutet das, dass diese Pflanzen zwar Tiere fangen, aber keine Vorrichtungen zur Verdauung besitzen, so wie die Brombeere. Wir empfehlen jedenfalls, bei jedem Spaziergang eine Rosenschere mitzuführen. Nicht um sich wie im Horrorfilm gegen Angriffe von präkarnivoren Brombeertentakeln zu verteidigen, sondern um Ranken, die in Wege ragen, abzuschneiden. Mit der Zeit entwickeln sich an diesen Wegen wintergrüne Brombeerhecken, die im Spätsommer gesunde Früchte tragen und jeden Maschendrahtzaun oder Stacheldraht überflüssig machen.