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„Ich bin erschüttert“Abi-Panne sorgt bei muslimischen Schülern für Extra-Stress

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Schüler sitzen bei einer Abitur-Prüfung in einem Klassenzimmer (Symbolfoto).

Schüler sitzen bei einer Abitur-Prüfung in einem Klassenzimmer (Symbolfoto).

Rund 72.000 Abiturientinnen und Abiturienten in NRW sind betroffen. Wir haben in Oberberg nachgefragt – die Stimmung ist durchwachsen.

„Erst war’s cool, dann aber ganz schnell nicht mehr“, sagt Adrian Großert und beschreibt damit seine Gefühlslage am späten Dienstagabend. Denn am Mittwochvormittag hätte der 18-Jährige aus Drabenderhöhe am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Wiehl die erste seiner Abiturklausuren geschrieben, im Leistungskurs Biologie. Doch die ist nun nach dem technischen Versagen des zentralen Downloads der Prüfungsaufgaben auf Freitag verschoben.

Adrian Großert gehört damit zu rund 72.000 Abiturientinnen und Abiturienten in ganz Nordrhein-Westfalen, die ungewollt zwei weitere Tage zum Pauken bekommen haben.

Der Wiehler Abiturient Adrian Großert sitzt vor seinen Lehrsachen am Schreibtisch.

Erst mal Geschichte statt Biologie: Der Wiehler Abiturient Adrian Großert ärgert sich über die Verschiebung der ersten Klausur.

„Erst fand ich es gut, dass ich nach vier Wochen Bio-Büffeln noch mal durchatmen kann“, erklärt er. „Aber die Klausur kommt so oder so – und damit auch der Stress und der Druck.“ Und statt Biologie startet der junge Mann nun mit Geschichte ins Abitur.

Lehrpläne von Schülern zu Nichte gemacht

Kurz nach 20.30 Uhr am Dienstag ist es, als die Schulen aus Düsseldorf die Nachricht erhalten, dass die Klausuren nicht wie geplant geschrieben werden können. Und für Oberbergs Jugendliche beginnt eine Achterbahnfahrt der Gefühle. „Ich hätte die Klausur so gerne hinter mich gebracht“, verrät etwa Lucia Gröger (17), Abiturientin am Aggertal-Gymnasium in Engelskirchen.

Sie hätte mit Chemie im Grundkurs die Prüfungsrunde begonnen, ihre Stufenkameradin Marie Kriebel derweil mit Biologie. „Ich hatte sogar schon die Snacks für den Tag vorbereitet“, schildert die 18-Jährige, die in sechs Tagen drei Klausuren vor der Nase hat. „Jetzt ist mein Lernplan völlig durcheinander, das finde ich so gar nicht cool.“

Muslimische Schülerin zeigt sich erschüttert

Ein Durcheinander fürchtet auch Schulleiter Balthasar Rechner, für 39 junge Leute ist dort der Abi-Plan aus dem Takt geraten. „Kommt es am Freitag zum Streik im Nahverkehr, dann wird das für viele Jugendliche echt schwierig“, überlegt Rechner.

Und dann seien da ja noch die Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens, die am Freitag das Zuckerfest feiern und in der Regel schulfrei bekommen – darunter Nesibe Y. aus Lindlar. „Auf das Fest verzichten zu müssen, ist ein harter Schlag, zumal auch das Lernen während des Ramadan sehr schwergefallen ist“, führt die 18-Jährige aus. „Viele haben gerade Besuch aus der Türkei. Ich bin erschüttert.“

So wie Balthasar Rechner schreibt auch Harm Meiners, stellvertretender Leiter des Gymnasiums in Lindlar, gerade an neuen Aufsichtsplänen für die Kolleginnen und Kollegen, die 30 künftige Absolventen betreuen. „Erbaulich ist das nicht, aber natürlich machbar – da müssen wir durch“, findet Meiners. Im Vergleich zu allem anderen sei das echt ein Klacks, stimmt ihm Kirsten Wallbaum-Buchholz, Leiterin der städtischen Gesamtschule in Waldbröl, zu. Dort sind 39 Jugendliche betroffen, darunter Muslime. Und die seien erst recht am Boden zerstört, heißt es.

Acht Lehrkräfte hatten sich in der Marktstadt ab 12 Uhr am Dienstag vergeblich bemüht, die Aufgaben aus dem Netz zu fischen. „Zunächst haben wir uns nicht mal getraut, zur Toilette zu gehen, weil wir immer dachten, dass endlich eine verbindliche Nachricht zum weiteren Vorgehen kommt“, blickt Wallbaum-Buchholz zurück und berichtet von einem Kollegen, der zum Hochzeitsgespräch mit dem Pfarrer gemusst hätte. „Aber er saß hier fest, seine künftige Frau in Köln.“

Uhrzeiten vom Ministerium nicht eingehalten

Gegen 21.30 Uhr sei endlich alles geregelt gewesen, jede Schülerin, jeder Schüler sei informiert worden. Minuten später sind dann auch nebenan, im Hollenberg-Gymnasium, die Lichter ausgegangen. „So eine Panne kann mal passieren“, gibt sich Direktor Frank Bohlscheid gelassen. „Ärgerlich aber war, dass uns zweimal Uhrzeiten für neue Nachrichten angekündigt waren, die dann aber nicht eingehalten wurden“, kritisiert er.

Genau das macht Thorgai Wilmsmann vom Homburgischen Gymnasium richtig sauer. „Das zentrale Abitur gibt es seit 2007, seitdem üben wir das Verfahren.“ 25 Schülerinnen und Schüler bereiten sich in Nümbrecht auf die Reifeprüfung vor, da sind sogar vier Fächer – Biologie, Chemie, Physik und Informatik – von der Verschiebung betroffen, sowohl in den Grund- als auch in den Leistungskursen. Was Wilmsmann besonders wurmt, ist der zähe Fluss an Informationen. „Probleme hat es früher schon gegeben, aber noch nie so massive“, erinnert sich der Direktor. Er hofft, dass den Jugendlichen am Freitag ein Streik im Nahverkehr erspart bleibt. „Der hätte gravierende Folgen.“