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Mit Rollstuhl zum RummelUpladin-Bewohner vergnügen sich auf dem Opladener Stadtfest

Lesezeit 4 Minuten

Beim Dosenwerfen kann nur mitmachen, wer die Stufe zum Wurfplatz hoch kommt, Rollstuhlfahrer schauen zu.

Leverkusen – Es geht viel um Erinnerungen an diesem Tag. Das blau-glitzernde Flugzeug auf dem Kinderkarussell, auf dem der längst erwachsene Enkel immer so gerne gefahren ist. Der Geruch von Zuckerwatte, der Assoziationen zu der Bonbontüte der geliebten Tante hervorruft. Selbst die Muskeln erinnern sich, wie das ging mit dem Dosenwerfen. „Eine habe ich stehen lassen, aber trotzdem so ein Gesichtchen hier bekommen“, lacht Erika Zimpel. Das Gesichtchen ist ein Schlüsselanhänger mit einem gelben Plüsch-Smiley.

Auf halbem Weg wird an einem Getränkestand haltgemacht, es gibt Wasser, Limo und Kölsch. Zum Abschluss des Rundgangs werden noch Reibekuchen serviert.

Zimpel ist eine der wenigen aus der Ausflugsgruppe, die es zum Dosenwerfen schafft. Denn Barrierefreiheit ist nicht gerade die Stärke der Kirmes auf dem Opladener Stadtfest. Das merkt man besonders, wenn man mit 45 Bewohnern des Hauses Upladin über den Marktplatz geht – oder besser rollt, denn die Allermeisten sind auf Rollstühle oder Rollatoren angewiesen. Jedes Jahr lädt der Kirmesveranstalter Wilfried Hoffmann die Bewohner des Haus Upladin zu einem kostenlosen Rundgang über die Kirmes ein. Aus sozialem Engagement und als Entschädigung für den Lärm, den die Nachbarn vier Tage lang ertragen müssen.

„Ach was, so laut ist das nicht“, winkt Ursula Eltgen ab. „Und wenn sie keinen Lärm vertragen, dürfen sie ohnehin nicht ins Upladin ziehen, hier in Opladen ist doch immer was los.“ Eltgen möchte ihr Alter nicht so genau verraten, aber sie ist fit und schiebt den Rollstuhl einer Freundin. Selbst bewohnt sie im Upladin ein gemietetes Apartment. „Und jetzt brauche ich nicht mehr selbst zu kochen, das ist doch toll!“ Bei dem Ausflug auf den Rummel sieht sie sich eher als Begleitung für die weniger mobilen. „Die freuen sich immer darauf, raus zu kommen und was anderes zu erleben als auf das nächste Essen zu warten.“ Für sie ist der Rummel nach dem Rundgang noch lange nicht vorbei, sie wird sich am Abend noch das Feuerwerk anschauen. „Die meisten schlafen da schon, aber ich gehe immer hoch auf die Dachterrasse!“

Koordiniert wird der Ausflug von Upladin-Mitarbeiter Olaf Bender. „Ich bin seit 20 Jahren hier und so lange machen wir das auf jeden Fall schon. Und es ist immer so, dass die Bewohner noch lange von dem Erlebnis sprechen.“ Auch wenn die Kirmes direkt vor der Tür stattfindet, der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Jeder Bewohner braucht einen Begleiter, der den Rollstuhl schiebt oder hilft, den Rollator über die vielen kleinen Schwellen zu lenken. „Ohne Ehrenamtliche wäre das nicht zu machen“, sagt Bender. Da ist einige Telefonarbeit gefragt.

Elise Christ muss nicht lange gefragt werden, sie ist ohnehin jeden Tag im Upladin. Von morgens bis abends. Ehrenamtlich. „Mein Mann ist gestorben, die Kinder weggezogen, mir macht es einfach Spaß, mit den Alten zusammen zu sein“, sagt sie strahlend. Es klingt, als würde sie sich selbst nicht zu den Alten zählen. Und mit ihren 81 Jahren wirkt sie auch nicht so. Perfekt geschminkt, mit Perlenkette, Ohrringen und einem Elan, von dem sich einige der über den Platz schlurfenden Jugendlichen einiges abschauen könnten. „Ich bin jedes Jahr dabei und die Bewohner sind alle glücklich und dankbar, dass es das gibt“, sagt Christ und wirft dann auch noch Mal für die Dame im Rollstuhl auf die Dosen, die selbst die Stufe nicht hochkommt.

Nach einer Pause bei Wasser oder Limo – der ein oder andere genehmigt sich zur Feier des Tages sogar ein Kölsch – geht es weiter zum Entchen angeln. Entchen mit Einhorn hat Konstanze Schmelter in diesem Jahr im Angebot und bunte Plüschsterne, die sie von ihrem Sohn an die Seniorengruppe verteilen lässt, geangelt oder nicht. „Ich bin immer begeistert, wenn die Gruppe kommt, das ist so schön zu sehen, wie sie sich freuen“, sagt Schmelter. „Ich hoffe, dass mir im Alter auch mal so etwas ermöglicht wird.

Erika Zimpel angelt auch ein paar Entchen, beim Blick auf die Fahrgeschäfte aber winkt sie ab. „Früher war ich ganz verrückt danach“, erinnert sich die Frau, die ihr Alter nicht, wohl aber ihr Geburtsjahr verrät: 1940. „Ich bin so oft gefahren, dass die Leute meine Mutter gefragt haben, wo ich das Geld dafür her habe.“ Das kam von Opa und Oma und floss nie in Süßigkeiten, sondern in Karussell-Tickets. Würde sie nicht gerne noch einmal? „Ach nein, dafür bin ich zu alt.“

Warum eigentlich, fragt man sich als Begleiter. Warum gibt es kein langsames, barrierefreies Fahrgeschäft, damit Senioren auf der Kirmes nicht nur in alten Erinnerungen schwelgen können? Sondern auch neue erschaffen.