Trauer, Trost und HoffnungIn Bad Münstereifel, Kommern und Zülpich gab es Andachten
Kreis Euskirchen – Der Verstorbenen gedenken und den Hinterbliebenen Halt geben – das wollten im Kreis zahlreiche Menschen anlässlich des ersten Jahrestags der Flutkatastrophe bei diversen Gottesdiensten und Andachten.
Bad Münstereifel
Unter freiem Himmel fanden sich am Donnerstag mehrere Hundert Teilnehmer zu einem ökumenischen Gedenkgottesdienst der Evangelischen und Katholischen Kirche vor der Jesuitenkirche in Bad Münstereifel zusammen.
„An den Ufern von Erft und Ahr sitzen wir und weinen“, eröffnete Pfarrerin Judith Weichsel den stimmungsvollen und sehr emotionalen Gottesdienst: „Hilflos haben wir zusehen müssen, wie das Wasser manchem bis an die Kehle gegangen ist, wie Häuser und Menschen zusammengebrochen sind.“
Die Seelsorger der beiden Kirchen – neben Weichsel traten auch der Leitende katholische Pfarrer Robert Rego und Gemeindereferentin Schwester Roswitha Fahrendorf an den Altar – wollten den Gedenkgottesdienst genau dort feiern, wo die Flut vor einem Jahr besonders spürbar war und sichtbare Schäden angerichtet hat, die auch heute noch nicht alle wieder behoben sind.
Gedacht werden sollte dabei nicht nur der Opfer der Flutkatastrophe, sondern auch der Spur, „die diese Nacht und die nachfolgenden Tage in den Herzen der Betroffenen hinterlassen hat“, wie es in der Einladung hieß.
Nach einer Schweigeminute und anschließendem Glockengeläut berichteten vier Gemeindemitglieder, wie sie den Beginn der Flutkatastrophe miterlebt hatten. Eine Pflegekraft aus dem Marienheim, Anwohnerin Daniela Decker aus Iversheim und Bastian Franken, einer der Helfer der ersten Stunde, nahmen die Zuhörer gedanklich mit zurück in den Abend des 14. Juli 2021.
„Als Feuerwehr mussten wir an diesem Abend lernen, dass wir nicht jeden sofort retten, nicht jedem sofort helfen konnten“, beschrieb ein Feuerwehrmann das Gefühl der eigenen Ohnmacht gegenüber den Naturgewalten.
In einem Dialog wollten Pfarrerin Weichsel und Schwester Roswitha dieser Hilflosigkeit aber auch ein Zeichen der Hoffnung und Zuversicht entgegensetzen, indem sie an die zahlreichen Helfer erinnerten, die in den Tagen, Wochen und Monaten nach der Flut in der Stadt mit anpackten: „Wir haben eine Stärke erlebt, die uns zu einer Gemeinschaft gemacht hat“, sagte Schwester Roswitha: „Viele waren gerade von den jungen Leuten begeistert, die in Bussen gekommen sind, um im Dreck zu arbeiten.“
Diese jungen Helfer hätten auch ihre gute Laune in die Stadt mitgebracht, die vielen Betroffenen „den Glauben an die Menschheit wiedergegeben hat“, wie Weichsel betonte.
Kommern
Die Helfergeschichte einer jungen Feuerwehrfrau aus Kommern war der Höhepunkt des ökumenischen Gedenkgottesdienstes der Stadt Mechernich in Kommerns Pfarrkirche St. Severinus.
„Gemeinsam sind wir stark!“, hatte Kommerns Ortsbürgermeister Rolf Jaeck zum Abschluss des eineinhalbstündigen ökumenischen Gedenkgottesdienstes zur Flutnacht verkündet. Es waren Worte, die wie der passende Schlusskommentar zu dem wirkten, was die Zuhörer im Kirchenraum rund 15 Minuten begeistert beklatscht hatten.
Hans Fuhs für die katholische und Michael Stühr für die evangelische Kirche hatten den Gottesdienst geleitet, der unter anderem vom Dietrich-Bonhoeffer-Chor sowie Nicole Besse an der Geige und Organist Jörg Schreiner musikalisch begleitet wurde.
Einer der Programmpunkte der geistlichen Feier war dann „Flutopfer und Helfer kommen zu Wort“. Darunter Luka Juliana Lenz, Feuerwehrfrau aus Kommern.
Vor einem Jahr war sie gerade 18 Jahre alt und erst seit einem dreiviertel Jahr aus der Jugendfeuerwehr in die Gruppe der erwachsenen Aktiven gewechselt. „Ich war noch im Grundlehrgang, wie fünf andere Kameraden auch. Wir waren noch nicht ganz fertig damit“, so Lenz zu Beginn ihres ganz persönlichen Flutprotokolls: Wie schon am Abend des 13. Juli zunächst ein Keller, dann das Kommerner Feuerwehrgerätehaus voll Wasser gelaufen seien.
Letzteres hatte es schon beim Hochwasser 2016 gegeben, doch dieses Mal waren es schlimme Vorzeichen, wie Lenz schnell schwante. Am 14. Juli dann begann für die junge Feuerwehrfrau der Tag mit der Alarmierung der gesamten Löschgruppe.
Es sei dann im Laufe des Tages ab dem Nachmittag wie in vielen Ecken der Eifel immer schlimmer geworden. Das Feuerwehrhaus wurde erneut geflutet, die Löschgruppe war zu diesem Zeitpunkt vor allen Dingen mit dem Stapeln von Sandsäcken an der Kommerner Ackergasse beschäftigt, einem der bekannten neuralgischen Punkte für Hochwasser des Bleibachs. Dessen Wasserstand stieg weiter an, und langsam habe sich bei ihr dann doch „Angst aufgebaut“, so die junge Frau offen. Am Abend dann sei die Situation schlicht immer mehr außer Kontrolle geraten.
„Wir wussten, dass wir nicht allen helfen konnten, die Hilfe brauchten. So viele Pumpen hatten wir ja gar nicht.“ Zu diesem Zeitpunkt war die Kommerner Löschgruppe zudem personell unterbesetzt: Einige der erfahrenen älteren Kameraden mussten daheim Eigentum und Familie schützen, andere waren zu einem ABC-Einsatz nach Breitenbenden ausgerückt.
Zurück blieb ein halbes Dutzend junger Kameraden und Luka Juliana Lenz, dazu ein älterer Feuerwehrmann, also im Wesentlichen eine Löschgruppe auf dem Ausbildungsstand des Grundlehrgangs, mitten in einem Katastrophengebiet. Es sollte eine Bewährungsprobe für Luka Juliana Lenz werden.
An einer Brücke über den Bleibach, unweit des historischen Ortskerns von Kommern, hatte sich ein Pkw verkeilt, es drohte eine Verklausung. Das Wasser staute sich vor der künstlichen Sperre immer weiter hoch. Auch Lenz musste dem tatenlos zusehen.
Da kam ein Abschleppunternehmer aus Kommern mit seinem Fahrzeug den jungen Feuerwehrleuten zu Hilfe: Man müsse allerdings ein Stahlseil durch das Fahrzeug ziehen, bevor er es aus dem Bleibach und von der Brücke wegziehen könne, so Lenz. Kamerad Klemens Kleinfeld erklärte sich zu der gefährlichen Arbeit bereit. Er musste dafür natürlich gesichert werden, nur wie?
„Den dafür nötigen Sicherungsknoten hatten wir gerade kurz vorher im Grundlehrgang gelernt – genauer gesagt: einmal gesehen, wie es geht“, so Luka Juliana Lenz. Pflichtbewusst wie sie ist, machte sich die junge Frau abends ans Nachknoten: Knüpfen, lösen, schneller, fester.
Genau das sollte sie in der Flutnacht an der Brücke in Kommern gut gebrauchen können: Sie sicherte so ihren Kameraden, der stieg in den Bach, zum Auto. Der Wagen konnte herausgezogen werden.
Das sei nicht der einzige Moment gewesen, der ihr auch nach einem Jahr in Erinnerung bleibe, so Lenz vor ihrem gebannt zuhörenden Publikum in St. Severinus. Als es kurz irrtümlich geheißen habe, zwei Kameraden würden vermisst, dann Kinder, sei es ähnlich dramatisch gewesen vor Ort.
Luka Juliana Lenz schloss ihren Bericht mit einem Satz, der alle Appelle an Solidarität und Hilfsbereitschaft, die den ganzen Gottesdienst begleitet hatten, zusammenfasste: „Ich wusste nach dieser Nacht, warum ich Feuerwehrfrau geworden bin – und dass ich die Arbeit gerne mache.“
Zülpich
„Ich will keine Sonntagsrede halten, denn mein Herz ist zerrissen“, begann Pfarrer Michael Haupt, der Kreisdechant Guido Zimmermann in der ökumenischen Gedenkandacht in der Pfarrkirche St. Peter vertrat: „Dieser Gedenktag lässt alles noch mal hochkommen. Kopfkino. Unterstützt wird dies durch die vielen Sondersendungen im Fernsehen und die vielen Artikel in den Zeitungen. Aber ich kann es bald nicht mehr sehen.“
Trauer, Schmerz und offene Fragen bewegten die Menschen auch ein Jahr nach der verheerenden Flutkatastrophe noch, wie Ulrich Zumbusch, Pfarrer der evangelischen Christusgemeinde Zülpich, während der Gedenkandacht ebenfalls betonte.
In Zusammenarbeit mit Haupt und Bürgermeister Ulf Hürtgen hielt er am Jahrestag der Flut den ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Römerstadt.
Nur wenige Plätze auf den Bänken blieben leer an diesem Tag. Vereinzelt griffen Teilnehmende auch zum Taschentuch. Nach dem gemeinsamen Eröffnungsgebet zündete man vier Kerzen an: Drei zu Ehren der drei Verstorbenen aus Zülpich und den Außenorten und eine weitere, um auch aller anderen Flutopfer zu gedenken. „Wir zünden auch eine Kerze im Gedenken an all die anderen Menschen an, die an anderen Orten in dieser Flutnacht ihr Leben ließen“, sagte Zumbusch.
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Im Anschluss trugen die Gemeindemitglieder die Ahr-Psalme von Stephan Wahl vor, einem Priester, der gebürtig aus Bad Neuenahr stammt. Begleitet wurden die Psalmen von stimmungsvollen Orgelimprovisationen. Neben Wut, Verständnislosigkeit und Schmerz war aber auch immer wieder das Thema Hoffnung Gegenstand der Andacht.
„Es ist die Dankbarkeit, dass es so viele Menschen waren, die ehrenamtlich und hauptberuflich halfen, die einfach da waren, im Matsch standen und aufbauten“, nennt Haupt als Grund dafür, warum er nach wie vor Berichte und Nachrichten über die Flut schaue, obwohl die Bilder in ihm alte Wunden aufreißen.
„Die Bilder der unaufhaltsamen Zerstörung haben sich nicht nur bei mir auf die innere Festplatte gebrannt“, sagte auch Bürgermeister Hürtgen in seiner Ansprache. „Ich habe aber auch den Mut in den Augen der Helfer gesehen. Wo Hilfe gebraucht wurde, da waren Nachbarn oder Feuerwehrkameraden zur Stelle“, fuhr er fort: Dank und Anerkennung seien das Mindeste, was man den Einsatzkräften sowie den Spendern und Helfern aussprechen könne.
Nach dem Schlussgebet waren die Teilnehmenden eingeladen, ebenfalls nach vorne zu kommen und eine Kerze für die Verstorbenen zu entzünden.