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„Wir leben nicht, wir hausen“Malsbenden zieht Bilanz drei Monate nach der Flut

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Wie ein Rohbau wirkt das vor zehn Jahren liebevoll restaurierte Haus von Michaela Schumacher.

Schleiden-Gemünd – Die Straßen sind leerer geworden in Malsbenden, der Klang aus den Häusern hat sich verändert. Dort, wo zeitweise vor drei Monaten kein Durchkommen war, weil sich die Traktoren und Lastwagen stauten, die den Schutt aus den überfluteten Häusern fortschafften, hat der Verkehr sich beruhigt. Das monotone Rattern der Stemmhammer, mit denen der Putz von den nassen Wänden geschlagen wird, ist weitestgehend verstummt. Die Häuser trocknen dem Wiederaufbau entgegen.

Aktionen

Der Waschsalon, in Selbsthilfe eingerichtet, wird zwar zum 31. Oktober abgebaut. Das Zelt an der Urftseestraße soll stehenbleiben. Jeden Dienstag kommen die Landfrauen aus Kommern und bringen Essen, da die meisten Häuser keine Küche haben.

Am Wochenende 20./21. November wird Hans Mießeler aus Hellenthal kommen und Reibekuchen anbieten. Dann soll auch ein Weihnachtsbaum aufgestellt werden. Außerdem sind Aktionen für die Adventszeit angedacht. (sev)

Hier steht kein Haus, in dem nicht das Erdgeschoss oder das Hochparterre mannshoch überschwemmt war. Viele Gebäude stehen zur Zeit leer, ähneln eher einem Rohbau als einem gemütlichen Zuhause, manche sollen abgerissen werden. „Das Dorf ist tot, rund die Hälfte der Häuser ist zur Zeit nicht bewohnt“, sagt Klaudia Wergen. Viele Malsbendener sind derzeit bei Verwandten oder in Ferienwohnungen untergekommen. Auch sie wohnt aktuell bei ihren Eltern in Nierfeld, während in ihrem Zuhause die Wände trocknen. Wer konnte, ist hiergeblieben. Doch das war nicht für alle möglich. Denn Strom gab es lange Zeit nicht. Die Küchen sind zerstört, kochen ist für viele immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. Eine funktionierende Heizung gibt’s längst nicht überall.

Das sagt Arnold Hermes lakonisch. Mit seiner Frau Hannelore hat er die ehemalige Küche als Aufenthaltsraum eingerichtet. Geschlafen wird im ersten Stock, in den sich das Ehepaar in der Flutnacht geflüchtet hatte. Am nächsten Morgen, so erzählt der gelernte Elektriker, habe er bereits begonnen, den Müll rauszubringen und den Putz von den Wänden zu stemmen. „Zum Glück habe ich keine zwei linken Hände“, sagt Rainer Strüer lächelnd. Er setzt an der Außenfront des Hauses seines Vaters Helmut ein neues Fachwerk mit Eichenbalken. „Es ist noch zu früh für Freude“, bremst er die Begeisterung. Sie seien dabei, das Wichtigste zu machen.

„Hausen“ nennt Arnold Hermes seine derzeitige Wohnsituation.

Es sei schon traurig zu sehen, wie viele gegangen seien, sagt Helmut Strüer. Von so manchem Haus werde berichtet, dass es abgerissen wird. Doch die ersten Nachbarn kehren bereits zurück. „Vielleicht haben einige zu früh gesagt, dass sie nicht wiederkommen“, hofft er.

Denn Malsbenden ist mehr als nur der Fortsatz von Gemünd entlang der Urftseestraße Richtung Nationalpark. Viele leben hier seit ihrer Kindheit. Das Dorf mit seinen kleinen Häusern ist Heimat, viele Verwandtschaften bestehen kreuz und quer durch die Nachbarschaft.

Martina Paul, die in der Flutnacht plötzlich obdachlos wurde, sagt klipp und klar: „Ich gehe hier nicht weg, hier ist meine Heimat.“

Die Essensausgabe hat sich zum ständigen Treffpunkt entwickelt

Mit ihrer Nachbarin, deren Haus abgerissen werden musste, ist sie genau drei Häuser weiter gezogen, um es sich dort in drei Zimmern im ersten Stock wohnlich zu machen. „Wir haben da jetzt eine Mädels-WG“, erzählt sie. Es sei schön, von dort oben zu sehen, wo überall Licht sei und Menschen wohnen.

Rasenmäher holen, Kaffee trinken, ein Gespräch unter Nachbarn am „Bürgerhaus“ mit Martina Paul, Erwin Schnitzler und Klaudia Wergen.

Wer kann und will, geht dorthin, wo das Herz von Malsbenden schlägt: in das Zelt im Innenhof von Klaudia Wergen. Ursprünglich war es die Essensausgabe für die Mahlzeiten. Doch auch, als diese Unterstützung eingestellt wurde, blieb das Zelt stehen – in diesen drei Monaten hat es sich zu einem festen Treffpunkt entwickelt. Hier stehen immer gekühlte Getränke bereit, eine Tonne voll mit Schaufeln und Besen zur gefälligen Selbstbedienung. „Wer etwas braucht, kommt hier fragen, ob wir es haben“, so Wergen. In den ersten Tagen hatte sie ihrem Bruder Peter, der am Niederrhein wohnt, mitgeteilt, was in Malsbenden am dringendsten gebraucht wurde: Schaufeln, Gummistiefel, Handschuhe, Eimer, Hochdruckreiniger, Stromaggregate, Bautrockner, eine schier endlose Liste.

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Am Dorftreff kommt gerade Martina Paul vorbei, die sich hier den gespendeten Rasenmäher borgen will, den Erwin Schnitzler in seiner Garage aufbewahrt. Und weil Wergen gerade frischen Kaffee gekocht hat, bleiben die beiden noch auf ein Papptässchen stehen und erzählen. Die Nachbarschaft sei besser geworden seit der Katastrophe, bestätigen sie. „Hoffentlich bleibt das so“, sagt Schnitzler. Hier im Zelt finden sie Hilfe, hier finden sie Leidensgenossen, mit denen sie reden können. Von ihren alltäglichen Sorgen und von den Schrecken der Nacht, die ihr Leben veränderte. Von den Feuerwehrleuten, die von Haus zu Haus gegangen seien, um die Menschen aufzufordern, sich in Sicherheit zu bringen. Darüber, wie Schnitzler gelacht hat, als die erste Mülltonne die Straße heruntergeschwommen kam. „Erst kamen die Mülltonnen, dann ein Kühlschrank, dann die Autos und Anhänger“, erinnert er sich.

„Es tut gut, darüber zu reden“, stellt Paul fest. Auch wenn sie nur drei Häuser weitergezogen sei, so sei das Trauma im alten Haus geblieben, die Aussicht aus dem ersten Stock eine andere als die in der Flutnacht. Obwohl: „Manchmal kommen auch noch die Tränen.“