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Jahrestag der KatastrophePastor entschuldigt sich bei Flutopfern – Gedenkstelen eingeweiht

Lesezeit 7 Minuten
Vor einem Stahl-Schild mit der Aufschrift „Flut 2021“ stehen ein Blumengesteck und Kerzen.

Mit Stelen wird in Oberhausen, Schleiden, Olef, Nierfeld und Gemünd an die Flutkatastrophe erinnert.

Drei Jahre nach der Flut sind an allen Orten in Schleidener Tal Menschen zusammen gekommen, um gemeinsam zu gedenken.

Es ist ein ruhiger Sonntagvormittag. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Auf der Außenterrasse des Restaurants El Greco wehen die weißen Sonnenschirme leicht im Wind. Es ist noch nicht viel Betrieb. Sandra Baltsouras heißt gerade die ersten Gäste willkommen. Es ist kein leichter Tag für sie. Immer wieder kommen ihr die Tränen.

„Wir haben alles verloren, was wir uns 27 Jahre aufgebaut haben“, sagt sie. Drei Jahre ist es her, dass aus der Olef eine riesige Flutwelle wurde, die alles auf ihrem Weg mit sich riss und eine Schneise der Zerstörung im Schleidener Tal hinterließ. Heute führt sie nur ein paar Zentimeter Wasser.

Versicherung kurz vor der Hochwasserkatastrophe gekündigt

19 Jahre war das Restaurant von Baltsouras und ihrem Mann versichert. Dann lösten sie die Versicherung auf, kurz vor der Flut. Die Corona-Pandemie hatte den Betrieb gebeutelt, man habe geschaut, wo man Geld sparen könne, berichtet Baltsouras. Und bis dahin sei ja nie etwas passiert. Die beiden sind trotzdem geblieben und haben das Restaurant mit der staatlichen Wiederaufbauhilfe wieder aufgebaut. Noch immer gebe es überall etwas zu tun, sagt Baltsouras.

Dass sie bei der Arbeit den Fluss jeden Tag sieht, stört sie nicht. Sie habe auch keine Angst, wenn es anfange zu regnen. Schlimmer sind die Bilder im Fernsehen von anderen Hochwasserkatastrophen. Die wecken Erinnerungen: „So lange wie du das vor der Nase hast, kannst du auch nicht damit abschließen.“

Vor einem Restaurant Stühle und Sonnenschirme, eine Frau mit langen blonden Haaren bedient gerade einen Mann und eine Frau.

Alles verloren hatten auch Sandra Baltsouras und ihre Familie, die das „El Greco“ in Schleiden betreiben. Doch auch sie haben nach der Katastrophe von 2021 nicht aufgegeben und ihr Restaurant wieder aufgebaut.

Die beiden Gäste, die sie gerade bedient, kommen aus Bonn. Sie machen einen Sonntagsausflug. Es sei ihnen überhaupt nicht klar gewesen, dass auch Schleiden so stark von der Flut betroffen gewesen sei, sagen sie: „Von hier spricht keiner.“

Pfarrvikar Michael Krosch schämt sich für seinen Gedanken nach der Flut

Etwas weiter oberhalb der Olef in der Schlosskirche singt die Gemeinde gerade „Gloria, Ehre sei Gott“. Etwa 80 Menschen sind zum Gedenkgottesdienst gekommen. Pfarrvikar Michael Krosch macht deutlich, dass der 14. Juli 2021 ein besonderer Tag bleiben wird. Von Zeitwende spricht er, von der „Nacht unserer Apokalypse“. Und dann wird er sehr persönlich. Er wohne auf dem Salzberg und habe die Flut dementsprechend unbeschadet überstanden. Am nächsten Morgen habe er gedacht: „Gott sei Dank.“ Das sei Gotteslästerung. Noch immer schäme er sich für diesen Gedanken.

Wenig später richtet er sich direkt an die Zuhörer: „Ich bitte alle Betroffenen der Flutkatastrophe um Entschuldigung. Eure Kirche hat krachend versagt.“ Mit Ausnahme der Caritas sei die Kirche viel zu wenig präsent gewesen. Was sei eine Kirche wert, die nicht da sei, wenn man sie brauche? Zum Ende seiner Predigt zieht er drei Lehren aus der Katastrophe: „Der Klimawandel ist real. Das Leben ist zerbrechlich. Gemeinschaft ist das Fundament unseres Lebens.“

Gedenkstelen in Flutorten im Schleidener Tal wurden eingeweiht

Im Franziskuspark haben sich derweil schon ein paar Leute versammelt. Hier soll gleich nach der Messe die erste der fünf Gedenkstelen eingeweiht werden. In allen fünf von der Flut betroffenen Orten im Tal sollen sie an die Katastrophe erinnern: in Oberhausen, Schleiden, Olef, Nierfeld und Gemünd.

Durch einen Baustellenzaun hindurch sieht man eine Baustelle auf einem Fluss. Links und rechts sind Häuser.

In Schleiden läuft der Wiederaufbau der Brücke am Alten Rathaus. Das von der Flut schwer beschädigte Bauwerk ist abgerissen.

Noch sei die Stele nicht ganz fertig, berichtet wenig später Bürgermeister Ingo Pfennings. Die Betonplatten am Fuß der Stelen sollen noch verkleidet werden. Außerdem werden auf jeder Stele neun Steine montiert, einer für jedes Todesopfer in der Stadt. Die Angehörigen werden laut Pfennings darüber entscheiden, ob auch die Namen der Toten auf den Stelen verewigt werden.

Der Bürgermeister hält nur eine kurze Ansprache, erklärt, warum es die Stelen gibt, legt ein Gesteck nieder, lässt zum Abschluss „In unserem Veedel“ abspielen. Etwa 20 Menschen sind gekommen, der eine oder andere wischt sich Tränen aus dem Gesicht.

Oberhausener kritisieren Stadt Schleiden – Wiederaufbau zu langsam

Etwas weiter flussaufwärts in Oberhausen sitzt eine Gruppe Männer in einem Innenhof und lässt sich die Reste des dorfeigenen Flutfestes vom Vortag schmecken. Zur Einweihung der Stele am Zöllerplatz wollen sie nicht gehen. Die Stadt Schleiden habe Oberhausen bislang vernachlässigt, sagen sie. Der Wiederaufbau dauere zu lange.

Neben einer Gedenkstele zur Flutkatastrophe 2021 stehen zwei Feuerwehrmänner mit Fackeln. Bürgermeister Ingo Pfennings kniet vor der Stele und legt ein Gesteck ab.

Blumen legte Bürgermeister Ingo Pfennings an den Stelen nieder.

So denken offenbar nicht alle Oberhausener. Auch hier versammeln sich rund 20 Menschen an der Stele. Karl Josef Hahn ist mit Ehefrau, zwei Söhnen, Schwiegertochter und zwei Enkelkindern gekommen. Am Abend der Flut sei er bei einem Nachbarn gewesen. Als er nach Hause wollte, sei aus dem plätschernden Rinkenbach bereits ein reißender Strom geworden: „Man sah das Haus 30 Meter vor sich, aber kam nicht hin.“ In der Nacht sei er dann über den Berg und fast bis nach Schleiden gelaufen, um irgendwie nach Hause zu kommen.

Friedhof in Olef stand im Juli 2021 komplett unter Wasser

Mehr als 190.000 Menschen leben im Kreis Euskirchen, und in etwa genauso viele Geschichten gibt es auch zum 14. Juli 2021 und den Tagen danach. Wie die von Norbert Uerlings und Ilse Wolter aus Olef. Es sei schon die Tage vorher alles matschig gewesen, erinnert sich Uerlings. Doch das, was dann kam, damit habe doch keiner rechnen können.

„Ich wohne neben dem Friedhof, der war komplett unter Wasser“, berichtet er. Er sei dann sogar noch einmal rausgegangen, um sich umzusehen. „Mach dich nach Hause“, habe sie zu ihm gesagt, berichtet Wolter und beide lachen. Auch das hilft beim Verarbeiten: Über die Absurditäten dieser Nacht gemeinsam lachen.

Ein Mann und eine Frau sitzen nebeneinander auf einer Bank. Im Hintergrund stehen Leute.

In Olef hilft Norbert Uerlings und Ilse Wolter auch gemeinsames Lachen bei der Erinnerung an die Katastrophe vor drei Jahren.

Emotional wird es wenig später bei der Gesteckniederlegung an der Stele auf dem Olefer Dorfplatz. Nach „In unserem Veedel“ versagt Pfennings auf einmal die Stimme, er kämpft kurz mit den Tränen. Eigentlich seien die Flutkatastrophe und der Umgang mit den Folgen für ihn längst Alltagsgeschäft. Routine. „Aber es gibt immer Momente, wo es wieder hochkommt.“

Feuerwehrmann wurde beim Einsatz vom Wasser eingeschlossen

Sein „Fehler“ sei gewesen, zu Thomas Röttgen rüberzuschauen. Der Bürgermeister und der Feuerwehrmann kennen sich schon lange. Röttgen war in der Flutnacht im Einsatz. Zusammen mit seiner Frau habe er eine ältere Dame an der Urftseestraße evakuieren wollen, als das Wasser kam.

Sie seien die ganze Nacht in dem Haus eingeschlossen gewesen. Ein Schicksal, dass sie an diesem Abend mit einigen Einsatzkräften teilen. „Das ist schon komisch. Man macht das Fenster auf und hört Leute rufen. Man will helfen, aber steckt in einer Situation, wo das nicht geht“, beschreibt er seine Gefühlswelt. Einen Tag Pause gönnen er und seine Frau sich. Dann helfen sie weiter.

Viele Menschen im Schleidener Tal sind von der Flut traumatisiert

Nicht jeder steckt diese Nacht gut weg. „Wir haben auch Einsatzkräfte, die nicht mehr einsatzfähig sind“, berichtet Pfennings. Traumatisiert seien nicht nur die, die in der Nacht im Einsatz waren. Auch die, die später beim Aufräumen halfen, die mit dem Ausmaß der Katastrophe und den Geschichten der Menschen konfrontiert wurden. Pfennings nennt das Passivtraumatisierung. Die könne auch die Menschen betreffen, die bis heute helfen.

Mehrere Menschen stehen links und rechts am Rand einer Allee, in deren Mitte eine Stahl-Stele zur Flut 2021 aufgestellt ist.

In Gemünd verfolgten rund 100 Besucher die Gedenkfeier. Die Stele ist auf dem Marienplatz nahe dem Amtsgericht platziert.

Eine derjenigen, die seit drei Jahren dauerhaft helfen, ist Sabine Mießeler. Ihr haben sich viele Menschen anvertraut. Das sei oft schwer, sagt sie. Doch sie macht trotzdem weiter. Auch an diesem Gedenktag hilft sie den Betroffenen. „Es ist immer schwierig, wenn es schon einen Ort gibt, einen neuen Ort zu schaffen“, sagt sie und spielt damit auf den Stein am Eingang zur Fußgängerzone an. Seit der Flut treffen sich die Gemünder dort, um gemeinsam zu trauern, zu erinnern und Kraft zu schöpfen. Nun aber soll die neue Stele wenige Meter weiter in der Allee am Marienplatz der Erinnerungsort werden.

Um diesen Übergang zu gestalten, haben sich einige Gemünder vorab zusammen am Stein getroffen und dort neun Kerzen angezündet. Dann hat Mießeler ihnen ein Seil in die Hand gegeben. Zusammen und mit dem Seil seien sie dann einmal um den Stein herum und bis zur neuen Stele gelaufen, berichtet sie.

Etwa 100 Menschen haben sich inzwischen am Marienplatz versammelt. Neben der Einweihung der Stele gibt es hier auch noch eine ökumenische Andacht. Wieder fließen einige Tränen. Nachher nehmen sich viele Menschen in den Arm. „Wir gehen jetzt eine Pizza essen“, sagt eine Frau und hakt sich bei ihrer Nachbarin unter.